Die österreichische Gebärdensprachgemeinschaft hat lange genug gewartet

Heute wird demonstriert – für die Österreichische Gebärdensprache an Österreichs Schulen

Demo in Wien am 30.9.2016 für Gebärdensprache anlässlich der International Week of the Deaf
Lukas Huber

Im September wird alljährlich die „International Week of the Deaf“ begangen. Heuer steht die Woche unter dem Motto „Mit Gebärdensprache bin ich gleichberechtigt“. Eine Gruppe gehörloser Privatpersonen, die Aktionsgemeinschaft für die Bildung Gehörloser, hat sich in den letzten Monaten zur Aufgabe gemacht, am 30.09. eine Demonstration unter dem Motto „Schluss mit den Barrieren“ zu organisieren.

Um 11 Uhr startete die Demonstration beim Wiener Westbahnhof. Das Ziel: das Bundesministerium für Bildung und Frauen. Der Österreichische Gehörlosenbund unterstützt diese Aktion.

„Bisher haben die österreichischen Gesetze kaum Rücksicht auf gehörlose Menschen genommen. Gerade das Recht auf Bildung ist bisher untergegangen bzw. zu kurz gekommen. Daher hat sich die Gehörlosen-Community entschlossen für ihre Rechte einzustehen und hat für Freitag den 30. September eine Demonstration organisiert.“ So lautet der Einladungstext für die Demo. Der ÖGLB möchte hierzu ein paar Hintergrundinformationen beisteuern.

Wie eine unlängst präsentierte Studie der Universität Wien aufzeigt, fehlt in Österreich – im Gegensatz zu anderen EU-Ländern wie z.B. Portugal, Dänemark, Rumänien, Serbien, Tschechien – die gesetzliche Grundlage für bilingualen Unterricht.

In der Studie „De-Sign Bilingual“ wird außerdem thematisiert, dass es in Österreich zwar Curricula für bimodalen-bilingualen (ÖGS-Deutsch) Unterricht gäbe, diese jedoch noch nicht entsprechend ausgereift seien. Viele gehörlose Kinder und Jugendliche erhalten nur dank des individuellen Engagements ihrer Eltern, LehrerInnen bzw. DirektorInnen Zugang zu barrierefreier Bildung.

Bildungsangebote mit ÖGS als Unterrichtssprache sind sehr limitiert. Die häufige faktische Verweigerung der ÖGS in der Frühförderung und Bildung stellt eine Einschränkung der eigenen Identität gehörloser und schwerhöriger Menschen dar. Für die Tätigkeit als Pädagogin/Pädagoge in Kindergärten und Schulen mit gehörlosen Kindern und Jugendlichen wird beispielsweise offiziell keine Sprachenkompetenz in ÖGS vorausgesetzt.

Eine von vielen Folgeerscheinungen: Ein nur sehr kleiner Anteil aller gehörlosen erwachsenen Menschen schätzt ihre Deutschkenntnisse als ausreichend ein. Lediglich ca. 100 haben die Matura bestanden bzw. nur ca. 30 haben ihr Studium abgeschlossen.

Dieses Zitat aus einer Studie des IHS aus dem Jahr 2014 bestätigt die Forderungen des ÖGLB nach inklusiver Bildung: „Deutsche Lautsprache ist als Schriftsprache unerlässlich für den Bildungserfolg, doch durch die Beherrschung ihrer Erstsprache haben gehörlose Kinder eine Chance deutsche Lautsprache – als ihre erste Fremdsprache – in einem Maß zu erlernen, die zu voller und wirksamer Bildungsteilhabe befähigt. Dazu bedarf es neuer Ideen zur Umsetzung bilingualen Unterrichts wobei zuvorderst PädagogInnen mit umfassender ÖGS-Kompetenz gebraucht werden bzw. gehörlose PädagogInnen, die gehörlose SchülerInnen nach einem anspruchsvollen Lehrplan unterrichten können statt sie nur zu ‚betreuen‘. Mit der Bildungsteilhabe steht und fällt in der Folge die Arbeitsmarktintegration.“

Demo in Wien am 30.9.2016 für Gebärdensprache anlässlich der International Week of the Deaf
Lukas Huber

Daher fordert der ÖGLB erneut folgende Maßnahmen umzusetzen:

  • Neuausrichtung von Bildungsinstitutionen für gehörlose und schwerhörige Schulkinder und Umbau in eine inklusive Schule unter Einbeziehung der ÖGS als Schwerpunkt
  • Zweisprachige Kommunikationsförderung vom Kindergarten bis zum Schulabschluss für Angehörige der Gebärdensprachminderheit unter Einbeziehung der ÖGS (bimodal-bilingual)
  • Förderung der Ausbildung gehörloser und schwerhöriger PädagogInnen, damit SchülerInnen im Unterricht sogenannte „Native Signer“ zur Verfügung stehen. Diese können ihre Muttersprache und Kultur viel besser vermitteln und somit die Identitätsbildung gehörloser Kinder und Jugendlicher unterstützen.
  • Einführung der ÖGS als Förder- und Unterrichtssprache (u.a. die Ergänzung der § 16 des SchUG, § 17 des SchUG für Berufstätige, welche die Unterrichtssprachen regeln, weiter u.a. §§ 3 und 15 der Prüfungsordnung für AHS)
  • Ergänzung entsprechender Ausbildungsordnungen bzw. Curricula für die Ausbildung von ElementarpädagogInnen und Lehrkräften um Ausbildungsangebote in der ÖGS
  • Verordnung von zweisprachigen Lehrplänen Deutsch-ÖGS (inklusive entsprechend veränderte Lehrpläne für den muttersprachlichen Unterricht) für alle österreichischen Schulen
  • Aufnahme von ÖGS als wählbare Fremdsprache und Maturafachangebot an allgemeinen Schulen
  • Ergänzung der Sprachencode-Liste um die Österreichische Gebärdensprache für die Bildungsdokumentation
  • Im nationalen Bildungsbericht soll der Status der Österreichischen Gebärdensprache im österreichischen Bildungssystem behandelt werden

Am heutigen Tag zeigen gehörlose Kinder, Jugendliche und Erwachsene wie wichtig ihnen Bildung und gesellschaftliche Teilhabe sind. Wir alle sind Staatsbürger Österreichs und die Österreichische Gebärdensprache ist ein Teil von Österreichs Sprachenvielfalt. Es wird Zeit, dass die Politik diese Sprache nun auch in der Praxis klar anerkennt.

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