Die Selbstvertretung und das Unterstützungsprojekt der Lebenshilfe

Die Lebenshilfe Steiermark hat beschlossen, den Aufbau einer selbstständigen Selbstvertretungsorganisation von Menschen mit Lernschwierigkeiten zu unterstützen.

Sie hat sich nicht für das Modell „Klientenbeirat“ entschieden, bei dem letztlich immer noch ein Lebenshilfegremium darüber stünde, sondern für eine unabhängige Organisation, die selbständig im Sinne ihrer Interessen interveniert. Ein Projekt des Landesverbandes organisiert die Unterstützung.

Was heißt Selbstvertretung?
Was meinen Menschen mit Lernschwierigkeiten, die wir bisher „Menschen mit geistiger Behinderung“ genannt haben, wenn sie „Selbstvertretung“ sagen?

  1. Selbstvertretung hat zum Ziel, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten leben können, wie andere Menschen auch. Sie wollen Zugang zu normaler Arbeit haben. Sie wollen selbst bestimmen, wie und wo sie wohnen wollen. Sie wollen selbst bestimmen, wie und mit wem sie zusammen sein wollen. Kurz: Es sind die Forderungen der Menschenrechtsdeklaration von 1948. Und es erstaunt, dass diese Forderungen nicht schon längst realisiert sind.
  2. Selbstvertretung heißt weiterhin, dass sich Menschen mit Lernschwierigkeiten durchaus zutrauen die zentralen Entscheidungen in ihrem Leben gut selbst zu treffen. Obwohl sie derzeit noch zu den am stärksten fremdbestimmten Menschen in unserer Gesellschaft gehören, sind sie zunehmend überzeugt, dass sie in eigener Sache selbst Experte und Expertin sind.
  3. Selbstvertretung heißt, sich an den Stellen, wo derzeit die Entscheidungen über ihr Leben fallen, einzubringen. Das bedeutet, die eigenen Interessen selbst gegenüber PolitikerInnen, BeamtInnen, den DienstleisterInnen und in der Öffentlichkeit zu vertreten.
  4. Selbstvertretung heißt aber auch zu wissen, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten UnterstützerInnen brauchen. Wesentlich aber ist, dass die Person die Unterstützung will, selbst entscheidet wann, von wem und wie sie das will.

Bedenken gegen das Projekt
Es gibt im Wesentlichen drei Bedenken gegen das Projekt zur Unterstützung einer selbständigen Selbstvertretungsorganisation. Diese sind in der Planung zu berücksichtigen, da sie auf tatsächliche Gefahren hinweisen.

  • Einwand: Eine selbständige Interessensvertretung von Menschen mit Lernschwierigkeiten wird zu schwach sein, um politisch erfolgreich zu sein.

    Der Gedanke, dass eine Selbstvertretungsorganisation selbständig und ohne den Schutz einer Eltern- und Trägerorganisation erfolgreich sein könnte, ist bei uns relativ neu. Es brauchte Dokumente wie die „Standard-Rules“ der Vereinten Nationen und die entsprechenden Richtlinien für Programme der Europäischen Union und vor allem die Praxiserfahrungen von „People First“ aus dem angloamerikanischen Raum, um eine Einstellung wachsen zu lassen, daß unter bestimmten Rahmenbedingungen Selbstvertretungsorganisationen durchaus erfolgreich sein können. In unserem Projekt geht es u.a. um die Frage, ob die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden können.

  • Einwand: „Unsere Klienten sind noch nicht so weit.“ oder „Unsere Klienten sind zu schwer behindert für eine Selbstvertretung.“

    Gegen eine solche Haltung anzuschreiben ist vergebene Liebesmüh. Dahinter steht im Grunde die Einstellung, daß Betreuer wissen, was das Beste für eine behinderte Person ist und daß Maßnahmen deshalb durch Professionelle gesetzt werden müssen – am besten nach dem Prinzip der kleinen Schritte, um ja einer Überforderung vorzubeugen… Wir erleben aber, daß mehr geht, als viele Fachleute meinen, daß die wichtigsten Impulse zum Lernen aus der Umwelt – insbesondere durch Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind – kommen, sowie aus dem Selbstbewußtsein, selbst für das eigene Schicksal verantwortlich zu sein. Und diese Erfahrungen wollen wir verbreiten.

  • Einwand: Das Selbstvertretungsprojekt dient doch nur der Profilierung der Lebenshilfe und einzelner MitarbeiterInnen und nicht den Menschen mit Lernschwierigkeiten.

    Mit diesem Vorwurf sind LebenshilferepräsentantInnen, insbesondere die Projektleitung, auch persönlich gefordert: Steckt vielleicht in der fortschrittlichen Projektleitung so etwas wie „defektologisches Denken“? Jene pädagogische Aggressivität, die die Maßnahmen durch Professionelle setzt, die weiß was das Beste für eine Person ist? Die Projektleitung ist sich der Problematik bewußt und weiß, daß die Haltung der „dialogischen Assistenz“ ständig errungen werden muß. Das Ringen um dialogische Begleitung muß sich natürlich in der Arbeit der Projektleitung wiederspiegeln. Es wird sich das darin zeigen, ob vorgeplante Maßnahmen im Prozeß verändert werden: weggelassen oder neugeplant, wenn der bisherige Plan dem Anspruch der dialogischen Assistenz nicht genügt.

Die Phasen des geplanten Projekts
Das seit April 2001 laufende Projekt hat im Wesentlichen vier Schritte:

1. Vorbereitungsphase mit
– der Vernetzung der DienstleisterInnen,
– der Einladung aller interessierten Menschen mit Lernschwierigkeiten und
– den Vorbereitungsworkshops (Abschluß: September 2001)

2. Ausbildungs- und Beratungsphase
Hier lernen Menschen mit Lernschwierigkeiten, wie man über Selbstvertretung informiert und wie man KollegInnen berät. (Abschluß: Dezember 2001)
Das Gelernte wird erprobt mit
– Menschen mit Lernschwierigkeiten,
– Eltern,
– BetreuerInnen,
– PolitikerInnen.
(Mit Hilfe regionaler und zentraler Veranstaltungen, per Telefon und per Internet)

3. Ausbau förderlicher Rahmenbedingungen für eine Selbstvertretungsorganisation
Hier geht es um
– Suche und Ausbildung von SympathisantInnen und ehrenamtlichen AssistentInnen,
– nationale und internationale Vernetzung,
– Zur-Verfügungstellung von Easy-to-read-Versionen wichtiger Informationstexte (zu denken ist an Informationen zum Behinderteneinstellungsgesetz oder zu anderen Rechtsfragen),
– Fortbildung für Menschen mit Lernschwierigkeiten,
– Öffentlichkeitsarbeit.

4. Gründung einer Selbstvertretungsorganisation
Das Projekt: „Unterstützung des Aufbaus einer Selbstvertretungsorganisation von Menschen mit Lernschwierigkeiten“ wird mit Mitteln aus der „Beschäftigungsoffensive der österreichischen Bundesregierung für Menschen mit Behinderung“ unterstützt.

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