Die verschwiegenen und vergessenen Probleme in der Mindestsicherung

Reformbedarf bei Mindestsicherung: Prävention, Behinderung, fehlende Soforthilfe, Gesundheit, Vollzug, leistbares Wohnen, Unterhalt neu

Armutskonferenz
Armutskonferenz

„Wer sieht unsere Ängste und Sorgen?“, fragen Menschen, die von Armut betroffen sind. Es gibt zahlreiche Probleme in der Mindestsicherung, die sich nicht nach den Kampagnen der Parteibüros richten: Fehlende Soforthilfe, Aufwand bei Menschen mit Behinderungen, veralteter Unterhalt, schlechter Vollzug, mangelnde Hilfe bei Gesundheitsproblemen, nicht leistbares Wohnen. Nach einem Jahr Debatte wäre es jetzt Zeit, sie in den Blick zu nehmen“.

Reform bei Menschen mit erheblicher Behinderung

Was in der Diskussion oft untergeht: In den meisten Bundesländern kommt der Mindestsicherung auch die Rolle zu, ein finanzielles Existenzminimum
für Menschen mit so genannter erheblicher Behinderung, wenn sie in Privathaushalten leben, sicherzustellen. Auf deren besondere Bedürfnisse – wie z.B. ein gegenüber anderen Personen erhöhter Regelbedarf – hat die Mindestsicherung derzeit keine Antwort. Menschen mit Beeinträchtigungen haben höhere Lebenshaltungskosten, erhalten aber im Rahmen der BMS in der Regel keine zusätzlichen Hilfestellungen.

Für die benötigte Unterstützung bei der Besorgung von Einkäufen, der Reinigung der Wohnung, der persönlichen Unterstützung bei Körperpflege und Ernährung etc. werden Soziale Dienste benötigt, ebenso für die persönliche Begleitung und Unterstützung. Darüberhinausgehende Hilfeleistungen können nicht zugekauft werden: beispielsweise für kleine Reparaturarbeiten im Haushalt, laufende Instandsetzungen in der Wohnung – Alltagserledigungen, für die ein Mensch mit Beeinträchtigungen vielfach externe Unterstützung benötigt.

Fehlende Soforthilfe

Wann immer es keine effektive Soforthilfe gibt, ist das dramatisch. In existenziellen Notlagen sind drei Monate Warten auf eine Entscheidung auch zu lange: wovon in der Zwischenzeit gleichzeitig die Miete zahlen und Nahrungsmittel und vieles andere Notwendige kaufen? Diese Bestimmungen sind im konkreten Vollzug aber häufig keine gelebte Praxis. „Überbrückungshilfen“ sind vielerorts eher die Ausnahme denn die Regel. Sofern sie gewährt werden, ist die Form und oder Höhe oft völlig unzureichend.

Mangelnde Hilfe bei Gesundheitsproblemen

Gibt es seitens der Unterstützungsfonds der Krankenkassen keine oder nur bescheidene Unterstützung, sind etwa Therapien, Brillen, Schuheinlagen oder Hörgeräte nicht finanzierbar. Selbiges gilt für Zahnersatz und andere notwendige Zahnbehandlungen. Diätkost bei Diabetes wird zum unleistbaren „Luxus“.

Werden BMS-BezieherInnen über die BMS in die Krankenversicherung einbezogen, müssen sie zwar keine Kostenanteile selbst tragen, sehr wohl aber Selbstbehalte für Heilbehelfe und Hilfsmittel. Auch die Befreiung vom Kostenbeitrag für Anstaltspflege gilt zwar für die regulär Versicherten, nicht aber für mitversicherte Angehörige – und damit in aller Regel nicht für die Kinder in BMS-Haushalten. Eine Nicht-Inanspruchnahme kann wiederum dazu führen, dass notwendige Behandlungen oder Untersuchungen nicht durchgeführt werden und sich gesundheitliche Probleme dadurch verschärfen.

Sonderbedarf: Wohn- und Lebensbedarf

Das wären Sonderbedarf -Kosten für Bedarfe, die nicht als Kosten des täglichen Lebens gewertet werden können. Stichwörter sind: Geburt eines Kindes, Reparaturen, Kautionen für Wohnungsanmietungen, etc. Auch die Delogierungsprävention ist in einigen Bundesländern als Zusatzleistung geregelt und sollte jedenfalls verbindlich österreichweit als verpflichtendes Leistungsangebot aufgenommen werden.

Neu-Regelung bei Unterhaltspflichten

Sozialämter fordern AntragstellerInnen pauschal dazu auf, ihre Eltern bzw. volljährigen Kinder auf Unterhalt zu klagen. Auch dann, wenn es keinerlei Hinweise darauf gibt, dass die Selbsterhaltungsfähigkeit (noch) nicht erlangt worden bzw. verloren gegangen wäre. Was viele Betroffene nicht wissen: Zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern bestehen nur im Ausnahmefall tatsächlich auch Unterhaltspflichten. „Hier wird mehr behauptet als geprüft“, so die Armutskonferenz. Viele der Klagsaufforderungen der Ämter sind rechtlich äußerst fragwürdig. Hier braucht es eine zeitgemäße Definition der „vorrangigen Leistungen Dritter“:

Unterhaltsverpflichtungen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern bzw. sogar zwischen Enkeln und ihren Großeltern. Die derzeitigen
Regelungen sind mit einem modernen Sozialstaatsverständnis nicht zu vereinbaren.

Mehr Prävention

Wenn die Mindestsicherung steigt, stimmt in anderen Bereichen der Gesellschaft etwas nicht. Erwerbsarbeit und Versicherungsleistungen können Einkommensarmut zunehmend weniger verhindern. Es genügt also nicht, über die Mindestsicherung allein zu sprechen – die Vermeidung von Einkommensarmut wäre zentrale Aufgabe.

„Die Mindestsicherung kann nicht der „Staubsauger“ für alle strukturellen Probleme sein, die in der Mitte der Gesellschaft angelegt sind: Arbeitslosigkeit, Pflegenotstand, prekäre Jobs, nicht leistbares Wohnen, mangelnde soziale Aufstiegschancen im Bildungssystem.“, macht die Armutskonferenz aufmerksam. Besser ist es präventiv zu verhindern, dass Leute in die
 Mindestsicherung fallen.

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4 Kommentare

  • Na, dann beginnt doch endlich mit der sog. „Inclusion“ wo jeder einzelne von uns und euch gefragt ist!
    Hier geht es nicht nur um das leidige Geld, sondern um menschliche Grundrechte, die nachzulesen sind!
    Eines davon heißt:“ Recht auf Arbeit!“
    In diesem Zusammenhang müsste dringend eine neue Definition für Leistung und Arbeit gefunden werden!
    Meine behinderte Schwester sitzt schon über 2 Jahre zuhause, isoliert und beschäftigungslos, weil niemand gewillt ist, einen sehr klugen, fleißigen und liebenswerten Menschen, wie Andrea, “ aufzunehmen“!

  • Ich stimme dem natürlich vollinhaltlich zu, was im Zeitungsartikel gesagt wurde, will aber noch ergänzen, dass es auch absolut nicht einzusehen ist, dass bei als erwerbsunfähig deklarierten Menschen mit Behinderungen oder chronisch kranken Menschen, die Eltern zu einem Unterhalt verpflichtet werden! Oft sind dies nach wie vor (auch ohne gemeinsamen Haushalt mit dem/der BMS-Bezieherin) die Hauptunterstützungs-/-betreuungspersonen.

    Ausgaben die Menschen mit Behinderung oft NOCH haben, (auch) wenn sie von BMS leben, sind sicher Mehrkosten in der Mobilität; oft muss Kleidung abgeändert oder überhaupt für eine Person genäht werden; Selbstbehalte bei Heilbehelfen und Hilfsmitteln, Inkontinenzmaterial; Gesundheitsausgaben, die nicht von der GKK übernommen werden; größerer Wohnraumbedarf, der sich auf die Kosten schlägt, … Jedenfalls ist es KEINESFALLS gerechtfertigt, dass sich der Bezug von FB in der Herabsetzung des Richtsatzes für Menschen mit chronischen Krankheiten oder Behinderungen niederschlägt, wie dies bei uns in OÖ der Fall ist – neben diesem verheerenden Eltern-Unterhalt, den ich persönlich überhaupt nicht einsehe! Von wegen Gleichstellung von Menschen mit Behinderung mit nichtbehinderten Menschen und UN-Behindertenrechtskonvention.

  • … und wieder. So lange in einschlägigen Berichten oder Artikeln die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung als „besonders“ hingestellt werden, wird es keine Inklusion geben. Gleichstellung darf nichts Besonderes, sondern muss Selbstverständlichkeit sein!

  • Baustelle Grundsicherung – leider ist immer noch nicht absehbar, dass die österreichische Regierung sich mal mit den sozialen Grundrechten auseinandersetzt und diese in der Verfassung so verankert, dass diese auch individuell eingeklagt und durchgesetzt werden können. Stattdessen wird bestenfalls gejammert, was soziale und Wohnsicherheit nicht alles kostet. Stattdessen wird herumgeeiert, ob diesen und jenen (vor allem jenen, die nicht von da sind – Heimat der Neider!) nicht doch ein wenig weggenommen werden könnte. In Ergänzung zur Anmerkung der Armutskonferenz:
    Her mit sozialen Grundrechten:
    * Recht auf Wohnen und
    * Recht auf Schutz vor Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit gehören in die Verfassung
    Schluss mit der Neiddebatte, Mobbing und BMS-Bashing (a la: wer nix eingezahlt hat, soll auch nix kriegen!)
    Das Gegenteil muss gelten: Wer (noch) nichts eingezahlt hat (sei es weil krank, behindert oder frisch zugewandert), soll entsprechende Chancen bekommen, an dieser Gesellschaft teilzuhaben und nach eigenen kräften und Kompetenzen was beizutragen.