oder: Der Klappsesselrolli ist geboren.
Ich will Ihnen folgenden Lesespaß (literarisch hochwertig !) nicht vorenthalten.
Der Designer Ioan Kloss hat sich intensiv mit dem Rollstuhl auseinandergesetzt, den Holzrollstuhl (wieder)erfunden und einen Prospekt mit folgenden Text verteilt.
„Der Arriva ist ein klappbarer Aktivrollstuhl. Beim ersten Blick wird deutlich, daß er anders aussieht als vergleichbare Rollstühle: Er ist aus Holz.
Die Verwendung von Naturmaterialien ist besonders körper-, haut- und umweltfreundlich und auf dem Rollstuhlmarkt eine echte Innovation. Aufgrund der neuen Klapprichtung ist die starre Lehne und der Sitz nicht faltbar. Diese außergewöhnliche Stabilität vermeidet das übliche „Durchhängen“ im Sitz. Damit wird möglichen Organschäden und Atmungsstörungen vorgebeugt.
Durch diese sitzergonmischen Gesichtspunkte veränder sich die Haltung des Rollstuhlfahrers. Im Arriva ist die Position des Sitzenden fest und bestimmt. So vermittelt sie dem Menschen Souveränität und Sicherheit und steigert das Selbstbewußtsein des Fahrers. Der Rollstuhlfahrer sitzt auf einer angenehmen Polsterung, die aus Leder und Naturstoffen gefertigt ist. Ein neues Körpergefühl entsteht.
Im Gegensatz zu Metall wird Holz durch den Gebrauch mit der Zeit immer schöner und lebendiger und stellt am Ende seiner Produktzeit kein Entsorgungsproblem dar. Die individuelle Anpassung des Rollstuhls an den Menschen ist Voraussetzung für die Vermeidung von Sekundärschäden. Aus diesem Grund fertigt Menghin Human Products den Arriva auf Bestellung. Jeder Einzelne kann von Hand und unter Berücksichtigung der individuellen Probleme und Anforderungen hergestellt werden. Der Arriva wird dann ausschließlich für Sie gebaut.
Er ist kein Rollstuhl von der Stange, sondern Ihr ganz persönlicher Begleiter, wie ein Kleidungsstück. So bieten sich Ihnen die Möglichkeiten, aus verschiedenen Holzarten und -farben sowie aus unterschiedlichen Leder- und Stoffbezügen auszuwählen. Jeder Arriva ist ein Wertstück, das dem Verlangen nach Umweltverträglichkeit, dem Bedürfnis nach Design und den hohen Ansprüchen der Orthopädie gerecht wird.“
Uff, da war ich aber platt!
Ein Rollstuhl unter dem Motto „zurück zur Natur“ war geboren. Genau das hatte den kritischen RollstuhlfahrerInnen, des 20. Jahrhunderts gefehlt. Der fast wiederverwertbare Rollstuhl (was passiert eigentlich mit den Rädern?) war erfunden.
Unwesentliche Details und störende Fragen bezüglich der Finanzierung werden in Zukunft beim Rollstuhlkauf durch DIE Frage ersetzt: Ist er oder ist er nicht – wiederverwertbar?
Doch halt!
So ganz kann das mit der „Innovation“ ja nicht stimmen. Habe ich nicht im steirischen Holzmuseum schon einen sehr alten Holzrollstuhl gesehen. Zugegebener Maßen konnte dieser nicht mit dem Designerprodukt von Ioan Kloss mithalten. Einige interessante Details hat aber auch schon dieser alte Holzrolli, die dem neuen wertbeständigen Wunderwuzzi fehlen: Zum Beispiel Bremsen.
Toll, da bleibt einem der Atem weg!
Es ist zwar nett, wenn der Prospekt uns verspricht, daß „Atmungsstörungen vorgebeugt“ werden kann. Ich befürchte aber, daß ein in Fahrt gekommener Designerrollstuhl ohne Bremsen uns völlig den Atem nimmt. Auch mit der „Wertstück“ dürfte es dann vorbei sein, wer will schon auf einem Scheiterhaufen sitzen?
Der Prospektnachsatz „Änderungen, die technische und formale Ausführung betreffend, bleiben vorbehalten“ läßt wieder Hoffnung zu.
Unser Arriva wird sicherlich auch bei den Krankenkassen anklang finden. Durch die ungefederte, direktüberrollten Erlebnisse vermittelt der Arriva ja „dem Menschen Souveränität und Sicherheit und steigert das Selbstbewußtsein des Fahrers.“ (Geschafft !!)
Der Nachsatz „Ein neues Körpergefühl entsteht“ könnte allerdings auch als eine Vorwarnung verstanden werden.
Ich bin gespannt, ob dieser Klappsesselrollstuhl den Markt erobern wird, denn immerhin sind Menghin Human Products, nach eigener Definition „Produkte, die in die Welt gehören“.