Die „Wiener Linien“

Im Folgenden eine persönliche Zusammenstellung der derzeitigen Situation zur Anwendung des Leitliniensystems für blinde und sehbehinderte Personen.

Blindenleitliniensystem
Votava

Im Bereich der Stadt Wien hat bei den Wiener Linien in den letzten Jahren ein deutliches Umdenken in Richtung behindertengerechter öffentlicher Verkehr stattgefunden. Durch den Einbau von Liften in U-Bahnstationen, die Neubeschaffung von Niederflurbussen mit Klapprampe und die in Auslieferung befindlichen Niederflur-Straßenbahngarnituren werden wesentliche Verbesserungen für mehrere Gruppen von Fahrgästen erreicht. Das taktile Leitsystem für sehbehinderte und blinde Menschen erhöht deren Mobilität wesentlich.

Die Österreichischen Bundesbahnen sind diesem positiven Beispiel noch nicht gefolgt. Insbesondere ein taktiles Leitsystem für sehbehinderte und blinde Fahrgäste wurde nicht einmal in Ansätzen auf den Bahnsteigen der ÖBB verwirklicht.

Das gemeinsam mit sehbehinderten und blinden Menschen entwickelte taktile Leitsystem ist in seiner grundsätzlichen Form in der ÖNORM 2102, Normengruppe B, vom 1. November 1997 „Technische Hilfen für sehbehinderte und blinde Menschen – Taktile Bodeninformationen“ festgelegt.

Dieses System beruht auf der jahrelangen Sammlung von Erfahrungen, Auswertung von Tests und gemeinsamer Arbeit der Betroffenen mit Experten der Wiener Linien und des Österreichischen Normungsinstitutes.

Grundsätzlich besteht das System nur aus zwei Komponenten, dem Leitstreifen (sieben Linien) und dem Aufmerksamkeitsfeld. Das System ist mit den Schuhen, vor allem aber mit dem Langstock (langer Blindenstock) sehr gut tastbar und soll den sehbehinderten und blinden Fahrgästen eine bessere Orientierung ermöglichen. Die Breite des gesamten Leitstreifens muß mindestens 40 ±5 cm betragen (z. b. 7 Einzelstreifen mit einer Breite von 3 cm und einem jeweiligen Zwischenabstand von ebenfalls 3 cm).

An Kreuzungen von Leitstreifen sowie an Stellen, wo Aufmerksamkeit gefordert ist, werden sogenannte Aufmerksamkeitsfelder angebracht (schachbrettartige Muster), die den Betroffenen eine Änderung der Situation anzeigen. Bei den Aufmerksamkeitsfeldern liegen die Erhebungen des schachbrettartigen Musters in der Verlängerung der Vertiefung der Leitstreifen. Diese Anordnung ermöglicht ein leichteres Auffinden von Aufmerksamkeitsfeldern durch die Möglichkeit des Führens des Langstockes in der Vertiefung zwischen den Streifen.

Der Absturz in den Gleisbereich kann von dem Leitsystem selbstverständlich nicht verhindert werden, solange sich aber der sehbehinderte oder blinde Fahrgast auf diesem befindet, bewegt er sich in einem sicheren Bereich. Die Geräuschkulisse in den Stationen bietet eine zusätzliche Orientierungshilfe.

Durch die verschiedenen Materialien der Bodenbeläge in der Wiener U-Bahn gestaltet sich die Verwirklichung der Leitsysteme in den einzelnen Stationen teilweise sehr aufwendig. Die Wiener Linien sind aber in Zusammenarbeit mit den betroffenen Behinderten und deren Organisationen bemüht, die Probleme möglichst optimal zu lösen.

Diese Zusammenarbeit muß als beispielgebend bezeichnet werden. Bis Jahresende 1999 werden über 80 % der Wiener U-Bahnstationen mit dem Blindenleitsystem ausgestattet sein. Stationen, in welchen noch Bauarbeiten durchgeführt werden (z. B. Einbau von Liften), folgen. Die restlichen ca. 15 % sind Otto-Wagner-Stationen, die unter Denkmalschutz stehen. Hier wird noch nach Lösungen gesucht.

Blindenleitsystem in Otto-Wagner-Stationen
Aufgrund des Denkmalschutzes war bisher eine Anbringung von Leitlinien in Otto-Wagner-Stationen nicht möglich. Wie aber hätte Otto Wagner das Problem selbst gelöst? Diese Frage sei gestattet. Otto Wagner war ein Architekt, dessen Maßstäbe noch heute Gültigkeit haben. Insbesondere an dem in seinen Bauwerken verwendeten Stufenmaß sollte sich so manch ein Architekt einer modernen Anlage ein Beispiel nehmen.

Die Verwirklichung des Leitsystems betreffend sollten die Überlegungen von Otto Wagner nachempfunden werden, als ob er bereits den Auftrag gehabt hätte, ein solches zu installieren.

Im originalen Bodenfries finden sich strukturierte und nicht strukturierte Flächen. Die optische und farbliche Gestaltung des Belages kann beibehalten werden. Im Bereich des Leitsystems müßten jedoch die derzeitigen Bodenfliesen entfernt und durch solche mit der entsprechenden Struktur der Leitlinien und Aufmerksamkeitsfelder in Berücksichtigung der links und rechts davon erforderlichen nicht strukturierten Flächen ersetzt werden.

Längerfristig wäre das sicher eine umsetzbare Lösung, da teilweise schon Fliesen schadhaft sind, defekte Stellen – sicher nicht im Sinne des Denkmalschutzes – mit Asphalt ausgebessert wurden und in manchen Stationen der ursprüngliche Belag bereits durch einen vollkommen anderen ersetzt wurde.

Die ÖBB zeigten bisher keine Bereitschaft, die Bahnsteige ihrer Bahnhöfe und Haltestellen mit einem taktilen Leitsystem für sehbehinderte und blinde Fahrgäste nach dem Beispiel der Wiener U-Bahn auszustatten.

Seit vielen Jahren bevorzugen die ÖBB aus Gründen des Designs die Pflasterung ihrer Bahnsteige mit Verbund-Betonsteinen. Dieser Belag erlaubt nachträglich nur unter großem Aufwand eine Installierung eines Leitsystems, was immer wieder als Argument der ÖBB für die Einsparung eines solchen vorgebracht wurde.

Die mehrfachen Ersuchen der sehbehinderten und blinden Benutzer und deren Organisationen, andere Beläge (z. B. Gußasphalt) zu verwenden, blieben bei den ÖBB unbeachtet. Selbst auf den Bahnsteigen, auf welchen kein Verbundpflaster liegt, waren die ÖBB trotz mehrerer Ersuchen sowie Angeboten der Zusammenarbeit nicht bereit, ein Leitsystem zu errichten (u.a. Kreuzungsstationen mit der Wiener U-Bahn, Nahverkehrs-bahnsteige).

Das Beharren der ÖBB auf Bahnsteigen mit Verbundpflasterung ist kein Argument gegen die Einrichtung eines tastbaren Leitsystems. Eine gerade und klare Trennungslinie zwischen Pflasterung und Asphalt ist möglich (ähnlich wie die Begrenzung der gepflasterten Parkplätze zum Straßenbelag). Die Entfernung eines ca. 1 m breiten Streifens des Verbundpflasters in ausreichendem Abstand von der Bahnsteigkante und der Ersatz durch Gußasphalt ermöglicht auf letzterem die problemlose Anbringung des Leitsystems.

Durch überlegte Gestaltung der Maßnahmen könnte eine ansprechende architektonische Gestaltung der asphaltierten Abschnitte mit dem Leitsystem und der gepflasterten Zonen erzielt werden. Weiters besteht auch die Möglichkeit der Pflasterung mit Rillenplatten, durch die das Leitsystem dargestellt wird, wobei jedoch unbedingt darauf geachtet werden muß, daß zwischen Rillenplatten und normaler Pflasterung ein ca. 40 cm breiter, strukturfreier Bereich vorhanden ist, um eine deutlich tastbare Unterscheidung zwischen dem Leitsystem und der Pflasterung zu ermöglichen.

In jedem Fall muß aber die in der Norm vorgegebene Mindestbreite des Leitstreifens eingehalten werden. Ein breiterer Leitstreifen ist besser auffindbar und bietet einen wesentlich besseren Tastkontrast zum umgebenden Material. Durch eine über das Umgebungsniveau erhabene Ausführung kann der Tastkontrast noch verstärkt werden.

Mitte Juni 1999 wurde von sehbehinderten und blinden Experten ein neuer Betonstein getestet, der sich problemlos in die Pflasterung der ÖBB-Bahnsteige integrieren läßt. Nach der Umsetzung angeregter Verbesserungen und der Bewährung der neuen Rillensteine in einem Pilotversuch könnte nun in der Zukunft auch auf ÖBB-Stationen mit Verbundpflasterung ein Blindenleitsystem eingerichtet werden.

Ganz generell ist anzumerken, daß bis auf wenige Ausnahmen das Gesprächsklima zwischen Behindertenvertretern und der ÖBB als eher kühl zu bezeichnen ist.

Von den ÖBB wird immer wieder argumentiert, daß nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz von Behinderten die ÖBB benützen. Woher diese Zahlen stammen und wer erfaßt wurde, ist bisher im Dunklen geblieben.

Mit ziemlicher Sicherheit haben sich aber die Verantwortlichen des größten flächendeckenden Verkehrsunternehmens Österreichs noch nicht die Frage gestellt, weshalb die Benützung der ÖBB für einige Gruppen von Fahrgästen (ältere und behinderte Menschen, Eltern mit Kinderwagen, Fahrgäste mit Gepäck oder Fahrrädern usw.) problematisch ist.

Der Mangel an Kundenservice im allgemeinen und im speziellen an behindertengerechten Einrichtungen sowie hohe Stufen in die Wagen, ein breiter Spalt zwischen der untersten Einstiegsstufe und der Bahnsteigkante, unterschiedliche Bahnsteighöhen, nicht genügende Mehrzweckabteile, großteils fehlende seitenselektive Türsteuerung, und anderes mehr, sind einige der Ursachen.

Von Bund, Ländern und Gemeinden, die nach wie vor die finanziellen Bedürfnisse der ÖBB abdecken, sowie von der Politik müßte wesentlich größerer Druck auf die Förderung des öffentlichen Verkehrsmittels und seine behindertengerechte Ausstattung ausgeübt werden.

Anwendung des Leitsystems
Sehbehinderte und blinde Menschen haben auf großen Verkehrsflächen, Plätzen, Bahnsteigen, im Bereich von Lichtsignalanlagen, weitläufigen Eingangshallen usw. erhebliche Orientierungsprobleme. In all diesen Fällen ist das Leitsystem äußerst hilfreich, da es die Mobilität von sehbehinderten und blinden Menschen wesentlich verbessert.

Bei Außenanlagen muß unbedingt darauf geachtet werden, daß die Höhe der mittleren fünf Streifen die maximal zulässige Höhe von 4 mm erreicht, anderenfalls ist auf strukturierter Oberfläche das Leitsystem kaum zu ertasten. Die äußeren beiden Leitstreifen sind in jedem Fall zur Minderung der Stolpergefahr um 1 mm niedriger auszuführen.

Als einfachste und kostengünstigste Form des Leitsystems hat sich die Aufbringung mittels Kaltplastik (weißer Bodenmarkierungsfarbe) auf möglichst glattem Gußasphalt erwiesen.

Das Leitsystem hat sich in den bisherigen Anwendungsbereichen äußerst bewährt und wird von den Benützern als Schritt zur Integration betrachtet.

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