Die Wiener ÖNORM-Story

Darf auf ÖNORMEN im Landesrecht verwiesen werden? Die Expertise eines der ranghöchsten Juristen der Wiener Magistratsdirektion und die neue Wiener Arbeitsstättenverordnung in Land- und Forstwirtschaft bringen Licht ins Dunkel.

ÖNORM
BIZEPS

Die Frage, ob auf ÖNORMEN, wie etwa die ÖNORM B 1600 zum barrierefreien Bauen, in Wiener Landesgesetzen verwiesen werden darf, wurde von der zuständigen Baurechtsabteilung MA 64 bislang so beantwortet, dass das nicht üblich und auch nicht so einfach möglich sei. Das Gegenteil bewies erst kürzlich eine vom Verein Blickkontakt durchgeführte österreichweite Recherche.

Auch an höherer Stelle im Wiener Magistrat wird offenkundig eine andere Meinung als in der MA 64 vertreten.

Bereits im September 2002 fragte der ÖVP-Behindertensprecher Mag. Franz Karl die Magistratsdirektion der Stadt Wien, ob ÖNORMEN – z. B. die ÖNORM B 1600 für barrierefreies Bauen – in Landesgesetzen zitiert werden können.

Für die Magistratsdirektion antwortete am 17. Oktober 2002 deren Leiter Dr. Peter Pollak wie folgt:

Zu Ihrer Anfrage betreffend die Zitierung von ÖNORMEN in Bundes- und Landesgesetzen darf ich Ihnen mitteilen, dass diese Vorgangsweise unter Einhaltung bestimmter Bedingungen sowohl von der Lehre wie auch vom Verfassungsgerichtshof als verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet wird.

Grundsätzlich handelt es sich bei ÖNORMEN um allgemeine Richtlinien, die vom Österreichischen Normungsinstitut ausgearbeitet wurden. ÖNORMEN sind an sich rechtlich unverbindlich, können jedoch vom Bundes- und Landesgesetzgeber – je nach Zugehörigkeit der Materie – für verbindlich erklärt werden. Folgende Vorgaben sind dabei aus verfassungsrechtlichen Gründen jedoch einzuhalten:

  • Es ist lediglich eine so genannte „statische“ Verweisung auf ÖNORMEN zulässig. Das heißt, es darf auf solche Richtlinien nur in einer ganz bestimmten Fassung verwiesen werden. Anderenfalls würde dem Österreichischen Normungsinstitut eine Gesetzgebungskompetenz eingeräumt, da es diesfalls das Österreichische Normungsinstitut in der Hand hätte, durch eine Änderung der verwiesenen ÖNORM geltendes Recht abzuändern.
  • Die ÖNORM, auf die der Gesetzgeber verweist, muss ausreichend genau bestimmt sein, z. B. durch die Angabe der Fundstelle, des Datums etc. und zusätzlich muss die ÖNORM im gleichen Publikationsorgan, in dem auch das verweisende Gesetz oder die verweisende Verordnung kundgemacht wird oder in einem hinsichtlich der allgemeinen Zugänglichkeit gleichwertigen Publikationsorgan veröffentlicht werden.

Nun, damit sollten wohl alle Zweifel endgültig ausgeräumt sein. Es stünde damit einer Verbindlicherklärung der einschlägigen ÖNORMEN für barrierefreies Bauen, wie der ÖNORM B 1600 oder den ÖNORMEN V 2100 bis V 2106, im Bereich der Wiener Bauordnung nichts entgegen. Jetzt geht es nur noch um den Willen der zuständigen PolitikerInnen und BeamtInnen, das auch tatsächlich machen zu wollen.

Und wie ein jüngstes Beispiel aus dem Bereich der Stadt Wien zeigt, ist es nicht nur möglich, sondern sogar konkret machbar, in einem Wiener Landesgesetz bzw. einer Verordnung auf die ÖNORM B 1600 zu verweisen:

So findet sich seit 3. Juli 2003 erstmals in einer Verordnung der Wiener Landesregierung auch ein klarer Verweis auf die ÖNORM B 1600 – barrierefreies Bauen.

Die Wiener Arbeitsstättenverordnung in Land- und Forstwirtschaft, LGBl. für Wien Nr. 27/2003, kundgemacht am 3. Juli 2003, sieht unter der Überschrift „Barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten“ in § 16 die Einhaltung der Grundsätze der ÖNORM B 1600 für zumindest eine Toilette, einen Waschplatz, die Duschen und zumindest einen Aufzug in Arbeitsstätten in der Land- und Forstwirtschaft vor. § 16 Abs. 6 der Verordnung schreibt für Arbeitsstätten, die nach Wirksamwerden dieser Verordnung geplant oder errichtet werden, sogar vor, „bei der Planung darauf Bedacht zu nehmen, dass Einrichtungen nach Abs. 2 bis 5 – barrierefreie WCs, Waschplätze, Duschen und Aufzüge sowie Ausgangswege – vorgesehen werden oder eine nachträgliche Adaptierung ohne unverhältnismäßigen Kostenaufwand leicht erfolgen kann“.

Es dürfte daher wohl vorsichtige Zuversicht angebracht sein, dass auch die Wiener Baurechtsabteilung MA 64 dem Beispiel der Magistratsabteilung 58 folgt und in den aktuellen Entwurf einer Wiener Bauordnungsnovelle eine Verweisung auf die ÖNORM B 1600 für barrierefreies Bauen aufnimmt. Damit wäre das von den Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen so vehement geforderte Ziel, barrierefreies Bauen für alle Menschen mit Behinderungen, also nicht nur körperbehinderte, sondern auch sinnesbehinderte Menschen, zu verwirklichen, unschwer zu erreichen.

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