„Diskriminierung, ein Kavaliersdelikt?“ – Tagungsbericht

Am 2.6.2003 fand in der Akademie der Wissenschaften eine Antidiskriminierungstagung des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte statt, bei der auch die legitimen Forderungen der Menschen mit Behinderungen vehement und klar präsentiert wurden.

Tagung zur Antidiskriminierung
Krispl, Mag. Michael

Unter der provokanten Fragestellung „Diskriminierung – Ein Kavaliersdelikt“ wurde die noch für heuer vorgeschriebene Umsetzung der beiden Antidiskriminierungsrichtlinien 2000/43/EG – Antirassismusrichtlinie – und 2000/78/EG – Rahmenrichtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – von ExpertInnen, Betroffenen, Sozialpartnern und VertreterInnen der Ministerien diskutiert. Ziel der Veranstaltung war es, die Antidiskriminierungsmaßnahmen auf internationaler und europäischer Ebene zu beleuchten sowie die derzeitige Situation und Rechtslage für die von den Richtlinien erfassten diskriminierten Gruppen darzustellen und die für Österreich aus Sicht der NGOs geforderten und seitens der öffentlichen Stellen geplanten Maßnahmen zu präsentieren und zu diskutieren.

Hier sollen nun die aus Sicht der Menschen mit Behinderungen wesentlichsten Inhalte wiedergegeben werden.

Schon zu Beginn der Veranstaltung wies der Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte, Univ.-Prof. Dr. Hannes Tretter, darauf hin, dass man Diskriminierungen nicht bloß mit Rechtsvorschriften bekämpfen könne, sondern es auch eines breiten sozialen Dialoges bedürfe. Selbstreflexion, Selbstkritik, Akzeptanz und Respekt wären die Voraussetzungen, um das Postulat der Freiheit und Gleichheit, wie es in zahlreichen internationalen und europäischen Deklarationen und Konventionen festgeschrieben ist, zu verwirklichen. Wenngleich man Diskriminierungen nicht nur mit Rechtsinstrumenten begegnen könne, so Dr. Tretter, schaffen diese doch eine gesellschaftspolitische Realität; daneben sei auch die emotionale Komponente wesentlich.

Der Vizepräsident der Richtervereinigung, Dr. Wolfgang Aistleitner, hob in seinem Impulsreferat hervor, dass Diskriminierung in den verschiedensten Formen und Intensitäten zu Tage trete und oftmals sogar gerade dort, wo man sich eigentlich erwarte, dass Diskriminierungen bekämpft werden sollten; er dokumentierte dies durch eine Vielzahl anschaulicher Entscheidungen von Verwaltungsbehörden und Gerichten. Dr. Aistleitner betonte auch, dass die „Nichtdiskriminierung“ ein bisschen weniger sei als die „Gleichstellung“.

Die Forderungen der Menschen mit Behinderungen durfte ich, Mag. Michael Krispl (Verein Blickkontakt), im Rahmen dieser Tagung als Bürgerrechtler und Mitglied des „Forum Gleichstellung“ präsentieren. Dabei war es mir wichtig, die wesentlichsten Schwachstellen unseres österreichischen Rechtssystems aufzuzeigen:

  • „Berufsverbote“ für behinderte Menschen

    Man möchte es kaum glauben, aber oftmals ist behinderten Menschen trotz des Benachteiligungsverbotes in Artikel 7 Abs. 1 der Österr. Bundesverfassung und trotz absolvierter Berufsausbildung der Zugang zu bestimmten Berufen verwehrt. In Österreich liegt das zumeist daran, dass für verschiedenste Berufe die volle „körperliche und geistige Eignung“ verlangt wird. Über diese „körperliche und geistige Eignung“ entscheiden Behörden, die meist von den konkreten Lebensrealitäten und Fähigkeiten behinderter Menschen kaum eine Ahnung haben und deshalb auch, oftmals basierend auf Vorurteilen und Irrtümern, die Eignung behinderter Menschen zur Ausübung bestimmter Berufe negieren. So dürfen in Österreich blinde JuristInnen weder RichterInnen noch StaatsanwältInnen werden, behinderte Menschen oftmals nicht die Pädagogischen Akademien besuchen oder zumindest nicht das Lehramt ausüben, nicht KindergärtnerIn, ErzieherIn oder PflegehelferIn werden etc.

    Damit muss durch die Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG im österreichischen Recht endgültig Schluss gemacht werden; Auswahlkriterium darf künftig – wie auch sonst – lediglich die persönliche Qualifikation einer JobwerberIn sein! Auch die Richtlinie schreibt die Beseitigung von Berufszugangsschranken vor.

    Außerdem müsste zum Nachteilsausgleich – ähnlich wie in der Frauengleichbehandlung – auch eine Bevorzugung (positive Diskriminierung) behinderter JobwerberInnen vorgesehen sein, auch wenn die Richtlinie das nicht zwingend vorschreibt.

  • Es gibt kein Recht auf Arbeitsplatzassistenz für Menschen mit Behinderungen!

    Menschen mit Behinderungen benötigen im täglichen Arbeitsprozess teilweise Handreichungen; z. B. muss einer blinden SachbearbeiterIn ein handschriftlicher Vermerk vorgelesen oder müssen Aktenstücke und Arbeitsmaterialien eingescannt werden oder sie bei Außendiensten Assistenz haben, einem körperbehinderten Menschen muss unter Umständen beim Handling mit Büchern und Akten (Umblättern) oder bei der Verwendung von Lochern oder Heftmaschinen geholfen werden etc.

    Diese Handreichungen erledigen ArbeitsplatzassistentInnen, auf die es in Österreich aber keinen Rechtsanspruch gibt. Ein solcher Rechtsanspruch auf Arbeitsplatzassistenz wäre durch die Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinie aus Sicht der Behindertenbewegung im österr. Recht festzuschreiben, da die Richtlinie den Diskriminierungsschutz auch auf die Bereitstellung eines geeigneten Arbeitsumfeldes und von entsprechenden Arbeitsbedingungen erstreckt.

  • Es gibt kein Recht auf den Einsatz von auch für behinderte Menschen barrierefrei benutzbare elektronische Medien!

    Damit elektronische Medien – z. B. das Internet oder der elektronische Akt – auch von Menschen mit Behinderungen chancengleich benützt werden können, bedarf es einer entsprechenden barrierefreien Programmierung nach den so genannten WAI-Kriterien – Accessibility-Standards für behinderte UserInnen. Diese Kriterien werden aber nicht verpflichtend berücksichtigt, so dass elektronische Medien oftmals nur sehr erschwert genutzt werden können, was die Konkurrenzfähigkeit am Arbeitsmarkt massiv einschränkt.

    Gerade für die Arbeitswelt wäre durch die Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinie die Beachtung der WAI-Kriterien bei der Auswahl der verwendeten elektronischen Medien für verbindlich zu erklären, um den Diskriminierungsschutz hinsichtlich der Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.

  • Die Möglichkeit zur Teilqualifikation entsprechend den jeweiligen Fähigkeiten eines behinderten Menschen ist im derzeitigen Bildungs- und Ausbildungssystem so gut wie nicht vorhanden!

    Manche Menschen mit Behinderungen hätten zwar in bestimmten Teilbereichen einer Berufssparte gut einsetzbare Fähigkeiten, könnten jedoch nicht das gesamte Spektrum der Anforderungen eines Berufszweiges erfüllen. Nach dem österreichischen Ausbildungssystem heißt es aber in der Regel „Alles oder Nichts“; wer nicht alle Anforderungen erfüllt, ist aus dem Ausbildungsangebot ausgeschlossen. Die Option zur Qualifikation in Teilbereichen, je nach den konkreten Fähigkeiten, ist so gut wie nicht vorhanden. Modelle einer Teilqualifizierung wären sohin zu entwickeln und im Ausbildungssystem zu implementieren.

  • Die soziale Sicherheit von arbeitswilligen behinderten Menschen wird oftmals im Fall eines Arbeitsversuches nachhaltig bedroht!

    Viele Menschen mit Behinderungen wären in der Lage, eine Teilzeitbeschäftigung -wenn auch vielleicht nur eine geringfügige – auszuüben. Derzeit fallen jedoch mit dem Einstieg in ein solches Beschäftigungsverhältnis viele Leistungen, die zur Existenzsicherung behinderter Menschen dienen (z. B. Invaliditätspension, Waisenpension, Dauerleistung der Sozialhilfe, Familienbeihilfe), weg. Damit wird aber deren soziale Sicherheit nachhaltig bedroht, da sie zur Finanzierung ihrer Lebensbedürfnisse – insbesondere persönlicher Assistenz, Pflegedienste etc. – eines bestimmten Mindesteinkommens bedürfen. Dieses Mindesteinkommen fällt bei einem Arbeitseinstieg in vielen Fällen weg, da das Einkommen durch Teilzeitarbeit zumeist geringer ist als die entfallende Sozialhilfe- oder Pensionsleistung. Und scheitert der Arbeitsversuch, so leben diese Leistungen auch in der Regel nicht wieder auf. Das Risiko ist somit für viele Menschen mit Behinderungen zu hoch, so dass sie quasi zur Arbeitslosigkeit „gezwungen“ werden.

    Chancengleichheit und Gleichbehandlung im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG hieße auch, flexible Arbeitsmodelle unter Wahrung des in diesen Fällen unentbehrlichen Netzes sozialer Sicherheit zu Schaffen.

  • Die Behindertenvertrauenspersonen haben zu wenige Befugnisse!

    Die Richtlinie versteht den Diskriminierungsschutz von Menschen mit Behinderungen in der Arbeitswelt auch im Hinblick auf die Mitgliedschaft und die Vertretung durch gesetzliche und freiwillige ArbeitnehmerInnenvertretungen, woraus sich eine Stärkung der Behindertenvertrauenspersonen wohl unschwer ableiten läßt.

  • Es existiert ein eklatantes Informationsdefizit bei ArbeitgeberInnen und deren Interessensvertretungen über die Fähigkeiten und Lebensrealitäten behinderter ArbeitnehmerInnen, die Förderungsmöglichkeiten, das Angebot an technischen Hilfsmitteln etc., was oftmals dazu führt, dass aus Angst vor der ungewissen Herausforderung behinderte BewerberInnen nicht in die engere Wahl für einen Arbeitsplatz kommen! Gezielte Informationskampagnen könnten hier Abhilfe Schaffen.
  • Die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen müssen in den sozialen Dialog einbezogen werden!

    Schon in den Arbeiten zur Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinie aber auch künftig muss ein enger Kontakt zwischen den Interessenvertretungen und den öffentlichen Stellen aufrecht gehalten werden, um die Positionen der Menschen mit Behinderungen von vornherein entsprechend zu wahren, wie dies ja auch die Gleichbehandlungsrichtlinie festschreibt.

  • Chancengleichheit und Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen in der Arbeitswelt – insb. hinsichtlich des Zuganges, der Karrierechancen, eines den Bedürfnissen entsprechenden Arbeitsumfeldes, der Fortbildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten … – muss zu einem behördlich durchsetzbaren Rechtsanspruch werden!

    In diesen Verfahren muss auch eine Beweislastumkehr und ein Verbandsklagerecht vorgesehen sein, wie dies ja auch die Gleichbehandlungsrichtlinie zwingend vorschreibt!

Die Vertreterin des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit, Dr. Anna Ritzberger-Moser, stellte im Rahmen der Veranstaltung auch den auf beamtenebene erstellten interministeriellen Diskussionsentwurf für eine Änderung des Gleichbehandlungsgesetzes vor, der die Umsetzung der beiden Antidiskriminierungsrichtlinien gewährleisten soll.

Sie hielt dabei fest, dass insbesondere hinsichtlich der Einbindung der NGOs (Vereine) geplant sei, den Entwurf im Begutachtungsverfahren allen interessierten Organisationen zur Stellungnahme zu übermitteln. Auch hinsichtlich des Verbandsklagerechts, das im derzeitigen Entwurf nur den Sozialpartnern zusteht, räumte sie ein, dass es wohl noch Diskussionsbedarf gäbe. Zur Frage der Beweislastumkehr betonte sie jedoch, dass sie hier das im Entwurf enthaltene Modell einer Beweismaßerleichterung – mit Glaubhaftmachung und Wahrscheinlichkeitsprüfung – präferiere. Für den Bundesbereich wies Dr. Ritzberger-Moser auch darauf hin, dass diese Umsetzungsmaßnahmen nicht nur im Gleichbehandlungsgesetz – das ja im Wesentlichen nur für privatwirtschaftliche Arbeitsverhältnisse gilt -, sondern auch im sogenannten Bundes-Gleichbehandlungsgesetz – das insbesondere für Bundesbedienstete gilt – umgesetzt werden müssen; sie hob aber hervor, dass die Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinien neben dem Bund auch eine Sache der Länder wäre, die vor allem im Landesdienstrecht, dem Schul- und Bildungsrecht und dem Sozialhilferecht entsprechende Maßnahmen zu setzen hätten.

In der Diskussion wurde stark kritisiert, dass die NGOs in die Erarbeitung der Umsetzungsmaßnahmen nicht eingebunden wurden und dass der – auch bei der Veranstaltung nicht verteilte – Diskussionsentwurf, so weit er den VeranstaltungsteilnehmerInnen bekannt war, als bloße Umsetzung der durch die Richtlinien vorgeschriebenen, nicht zu unterschreitenden Mindeststandards zu bezeichnen ist. Vor allem die VertreterInnen der diskriminierten Gruppen zeigten sich enttäuscht, dass es offenbar in Österreich den politischen Auftrag gibt, lediglich das Minimum umzusetzen und nicht darüber hinaus zu gehen.

Dr. Ritzberger-Moser betonte jedoch, dass jene Bereiche, die die Menschen mit Behinderungen betreffen, im Entwurf des BMWA nun nicht mehr mitbehandelt werden sollen. Diese werden nun in der Arbeitsgruppe Behindertengleichstellungsgesetz erarbeitet.

Ziel der österreichischen Behindertenbewegung ist es nun, vor allem vor dem Hintergrund der am 6.5.2003 durch den Herrn Vizekanzler Mag. Herbert Haupt eingesetzten Arbeitsgruppe „Behindertengleichstellungsgesetz“, die eine Arbeitsgruppe der Bundesregierung ist, diese legitimen Forderungen in künftig geltendes Recht umzusetzen.

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