Diskussion um ärztlich assistierten Suizid – die Geschichte darf nicht vergessen werden

Der Verein Schloss Hartheim äußert sich in einer Stellungnahme zur Diskussion um die Freigabe des ärztlich assistierten Suizids

Schloss Hartheim
Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim

Im September 2020 beschäftigte sich der Österreichische Verfassungsgerichtshof mit dem Verbot der Sterbehilfe. Die österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende hatte sich vor dem Verfassungsgerichtshof für eine Entkriminalisierung der Sterbehilfe eingesetzt.

Somit wurde die Diskussion um das Thema Sterbehilfe auch in Österreich wieder aktuell. Auch der Verein Schloss Hartheim veröffentlichte im September eine Stellungnahme zum Thema. Es gehe zwar nicht darum, die aktuelle Diskussion um die Sterbehilfe mit den historischen Entwicklungen, die im Nationalsozialismus zur Ermordung von kranken und behinderten Menschen geführt haben, gleichzusetzen, heißt es in der Stellungnahme, dennoch dürfe die Geschichte nicht außen vor gelassen werden.

Der Utilitarismus der im Nationalsozialismus den Umgang mit kranken Menschen und Menschen mit Behinderungen bestimmt hat und mit brutaler Konsequenz umgesetzt wurde, sei nicht verschwunden, sondern würde gerade in Krisenzeiten wieder sichtbar werden.

Vom individuellen Wunsch hin zur gesellschaftlichen Verpflichtung

Die Befürworterinnen und Befürworter verweisen in ihrer Argumentation auf das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen. Im Falle einer schweren Erkrankung solle man dem Kontrollverlust über das eigene Leben und Sterben entgegenwirken.

Das Argument der Selbstbestimmung sei aber nicht der Endpunkt der Argumentation, heißt es in der Stellungnahme. So wurde aus dem individuellen Wunsch die gesellschaftliche Wünschbarkeit, indem nicht mehr die Betroffenen selbst, sondern Dritte bestimmten.

Eine Freigabe des assistierten Suizids wäre laut Verein Schloss Hartheim das falsche gesellschaftliche Signal für den Umgang mit schwerkranken, behinderten und pflegebedürftigen Menschen:

„Aus der Möglichkeit des assistierten Suizids könnte eine gesellschaftliche Erwartung bzw. Verpflichtung zum assistierten Suizid entstehen. Dies kann anhand der Entwicklung in jenen Ländern belegt werden, in denen eine entsprechende Regelung schon existiert. Zum Teil wurde dort auch bereits der Schritt von der individuellen Zustimmung bzw. der Forderung des Einzelnen auf Sterbehilfe hin zur Fremdbestimmung über das Leben von Menschen, die sich selbst nicht äußern können (bzw. minderjährig sind) vollzogen.“

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10 Kommentare

  • @Oliver Hackler
    1. Es ist mir bewusst, dass das Thema „Sterbehilfe“ ein sehr vielschichtiges und komplexes ist, das weder in einem Posting noch in einem Buch abgehandelt werden kann.
    2. Ärztlich assistierter Suizid bzw. aktive Sterbehilfe sind kein ausschließliches Behindertenthema – ja, da gebe ich Ihnen Recht. Jedoch sind diese Themen gesellschaftlich und historisch gesehen miteinander verknüpft.
    3. In einem Zeitungsartikel wurde ein dt. Palliativmediziner zitiert, der (sinngemäß) sagte: In unserer heutigen Gesellschaft muss jemand, der sich – aus freien Stücken und reiflichen Überlegungen – dazu entschließt, aus dem Leben zu scheiden keine harte Suizidmethode wählen. Es gebe genügend Quellen, sich zu informieren und andere (weichere) Methoden zu finden. 4. Vorausgesetzt es würde in Ö. die Möglichkeit eines assistierten Suizids / aktive Sterbehilfe geben: wie soll das denn genau ausschauen? Wer definiert die Kriterien? Wer soll/darf/muss das durchführen? Wie wollen Sie Missbrauch verhindern? Gesellschaft und Politik verändern sich. Wenn dieses Instrumentarium einmal da ist, bekommt man es nicht wieder so leicht weg. Ausgegangen wurde einst von extremen Ausnahmefällen. Doch Angebot schafft Nachfrage. Einst strenge Kriterien werden gelockert, Anwendungsbereiche erweitert. Bedenken Sie auch: die Rolle von „künstlicher Intelligenz“ in der Medizin. Computer-Programme, die heute schon über Behandlung und Nicht-Behandlung entscheiden, entscheiden morgen über Weiterleben, Sterben (lassen) und ev. sogar Töten.
    5. Weder Dt. noch Ö. hat bis dato die UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt, damit alle Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben führen können. Die Zustände in Alten- und Pflegeheimen sind zum Großteil erschreckend: zuwenig Personal, zuwenig Ressourcen, erschöpfte Mitarbeiter:innen, große Bettenburgen bzw. „Totale Institutionen“, veraltete Konzepte. Auch gibt es keinen rechtlichen Anspruch auf Hospiz- und Palliativversorgung und kein flächendeckendes Angebot. – Falls eine Öffnung hin zu Sterbehilfe/Suizidbeihilfe kommt, glauben Sie, dass Politik und Gesellschaft bereit sind, hier endlich etwas grundlegendes zu verändern/verbessern? Die Grundstimmung von heute ist ja: „Jung, gesund, erfolgreich“, „leistungsfähig“. Starker Trend zum Utilitarismus und Sozialdarwinismus.
    6. Die gute Nachtricht am Schluß: Die meisten Menschen, die eine Behinderung/chronische Erkrankung erwerben bzw. Ende des Lebens stehen, möchten sehr wohl leben. Nehmen die Herausforderung an. Genießen noch die kurze Zeit, die ihnen bleibt. Hinterfragt man diejenigen, die Suizidwünsche äußern, heißt es fast immer: „Ich will – so – nicht mehr leben.“ Es sind die Umstände, die belastend bis unerträglich empfunden werden. Werden diese verbessert (Schmerzmedizin, mobiler Dienst, …) sind die allermeisten froh, dass sie noch leben. Und: ich gebe Ihnen Recht: Für-sorge ist mit vielen negativen Gefühlen und mitunter auch Erfahrungen verbunden. Aber: es gibt auch andere Unterstützungsformen, Herangehensweisen: vor allem die sogenannte „persönliche Assistenz“. Ein selbstbestimmtes Leben und eine Unterstützung dort, wo ich es brauche und wie ich es möchte.

    • Zitat:
      3. In einem Zeitungsartikel wurde ein dt. Palliativmediziner zitiert, der (sinngemäß) sagte: In unserer heutigen Gesellschaft muss jemand, der sich – aus freien Stücken und reiflichen Überlegungen – dazu entschließt, aus dem Leben zu scheiden keine harte Suizidmethode wählen. Es gebe genügend Quellen, sich zu informieren und andere (weichere) Methoden zu finden.“

      Es bleibt bisher bei dieser Behauptung. Weder dieser Interviewte noch Sie haben den Beweis dafür erbracht, dass es verlässliche Informationen zu schnellen, sicheren und schmerzarmen Methoden gibt, zu der jeder Sterbewillige Zugang hätte. Außerdem sollte der ärztlich assistierte Suizid grundsätzlich erlaubt und nur ausnahmsweise verboten werden, nicht umgekehrt.

    • Wir werden hier keine Selbtsmordtipps dulden, also bleibt es bei Andeutungen.

  • „Für die, die unbedingt sterben möchten, gibt es in Österreich genügend Möglichkeiten von Patientenverfügung, Therapie-Abbruch, Palliative Sedierung …“
    Sie haben das unangenehme Thema sterbenswilliger, jedoch nicht sterbenskranker Menschen vermutlich vorsichtshalber unter den Tisch fallen lassen, mal von den unangenehmen Seiten beim Sterben durch Unterlassung abgesehen. Die können sich ja einfach vor den Zug werfen oder auf dem Dachboden erhängen. Oder es gibt sie in ihrer Welt nicht, Sie sagen einfach die Zauberformel psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung und Gelähmte werden gehend, Blinde sehend, Depressive lebensfroh, die Welt ein Paradies.

    Ich gebe Ihnen, was Ihre kritischen Anmerkungen betrifft, in allen Punkten Recht. Schwächere Menschen wurden und werden ausgegrenzt, den Eltern wird die Last der Selektion auferlegt und natürlich werden ältere und pflegebedürftige Menschen mehr oder weniger dezent angehalten, abzutreten, vor allem, wenn es doch so einfach ist.
    Aber ich widerspreche Ihnen darin, dass wir das Übel mit Verboten, d.h. Zwang zur Fürsorge, aus der Welt schaffen können. Manche halten ihre Schmerzen nicht aus, weder physische noch psychische Schmerzen sind in jedem Fall bis auf ein erträgliches Maß linderbar, Andere wollen einfach nicht mehr leben, wieder Anderen wird ihre soziale und ökonomische Situation zu viel, die man auch nicht einfach so ändern kann. Nur weil Sie es so wollen, werden deswegen Menschen in Heimen nicht liebevoller behandelt und die Familien haben auch nicht mehr Zeit und Lust auf die Pflege/den Beistand.
    Es wird auch immer Behinderte geben, die mit ihrer Behinderung nicht leben wollen, trotz ausreichender medizinischer Versorgung.

  • 1. Ist ärztlich assistierter Suizid kein ausschließliches Behindertenthema.
    2. Weiß jeder, wie es ist, auf andere mehr oder weniger angewiesen zu sein, der mal ein Kind war. Das war jeder mal, glaube ich. Bei den meisten sitzt der Schrecken aus dieser Zeit noch tief, großteils unbewusst. Auch wenn nach außen hin diese Lebensphase noch so verharmlost und verklärt wird, kann ich mir kaum vorstellen, dass niemand Angst davor hat, Ähnliches wiedererleben zu müssen. Daher ist für mich die Angst auch sehr nachvollziehbar.
    3. Nur weil Behinderten und Alten nicht aktiv sterbegeholfen werden darf, werden sie noch lange nicht unbedingt menschlich behandelt, man zwingt sie nur dazu, bis zum Schluss auszuharren.

  • @ Peter Puppe
    1. Der gesellschaftspolitische, utilitaristisch gefärbte Druck auf vulnerable Menschen/Bevölkerungsgruppen lässt sich schwer in eine Statistik-Tabelle mit konkreten Zahlen pressen. Gerade behinderte (und ihnen nahestehenden) Menschen verfügen aufgrund der täglichen Diskriminierungen („Alltagseuthanasie“) über ein Sensorium für gesellschaftliche Tabubrüche. 2. Ich empfehle Ihnen ua den Blog von Alex Schadenberg, der immer wieder von diesen Grenzüberschreitungen in der Praxis (z.B. im amerikanischen Oregon) berichtet. Fakt ist auch, dass die Zahlen in den Ländern, wo es die Möglichkeit des assistierten Suizids / aktive Sterbehilfe gibt, im Steigen begriffen sind. Angebot schafft Nachfrage. 3. Übrigens: Sätze, die behinderte Menschen sehr oft hören: „Ein Leben im Rollstuhl, das würde ich mir nicht geben.“ „Ein Kind mit Downsyndrom? Das kann man doch heutzutage verhindern.“ Und: gerade jetzt durch die Corona-Krise werden die jahrzehnte langen Versäumnisse in der Pflege und der Assistenz noch mehr sichtbar. Die „stille Triage“ wird immer stärker ergänzt, durch diskriminierende Kriterienkatalogen von medizinischen „Fach“gesellschaften. Der Lebenswert von hochbetagten, alten, chronisch (psychisch) kranken und auch behinderten Menschen wird zunehmend in Frage gestellt. – Für die, die unbedingt sterben möchten, gibt es in Österreich genügend Möglichkeiten von Patientenverfügung, Therapie-Abbruch, Palliative Sedierung … Werbung für Sterbeberatung brauchen wir definitiv nicht! 4. Zur Info: Ich vertrete hier NICHT den Verein Hartheim. Ich bin Teil der Selbstbestimmt Leben Bewegung in Österreich, ua mit dem einschlägigen Blog @uebersleben (auf Twitter).

  • Meine vorsichtige pro-assistierter-Suizid-Einstellung entspringt zugegebenermaßen in erster Linie meinem Egoismus:
    MIR graut davor, dass ICH eines Tages daliege, ohne MEINE Entscheidung umsetzen zu können, die ICH treffe, weil ICH vielleicht entsetzliche Schmerzen leide oder MEINEN körperlichen oder geistigen Verfall miterlebe. Und: ICH fürchte mich davor, dass MICH einmal ein geliebter Mensch anbetteln könnte, ich möge ihm helfen, und ICH muss antworten „Sorry, darf nicht.“ Und: MICH belastet das Wissen, dass in jedem Augenblick viele Menschen vor Schmerzen den Tod herbeisehnen und niemand darf ihnen helfen.

    Dabei stimmen – abgesehen von der Behauptung, dass die moderne Palliativmedizin solche Gedanken ganz überflüssig mache und von Polemiken, die Leute wie mich einfach beschimpfen, die meisten Argumente der anderen Seite durchaus! (Mögliche Drittbestimmung, finanzielles Interesse, utilitaristische Einstellung, Reminiszenz Nazi-Ideologie usw.).

    Wie jetzt Gesetze aussehen müssten, mit denen beide Seiten leben könnten, weiß auch ich nicht genau. Sie müssten sorgsam und mit viel Empathie und vielen Sicherungen ausgearbeitet werden und wären zum Schluss auch nicht perfekt, jedoch vielleicht doch eine Verbesserung.

    Aber einfach gegen eine Reform zu opponieren, das lässt Leute wie mich mit unseren ebenfalls legitimen Sorgen im Regen stehen.

  • Hallo,
    nennen Sie das ’seriös‘? Auch in der ‚Stellungnahme des Vereins Schloss Hartheims‘ findet sich KEINERLEI (woher auch?) Quellenangabe oder ernsthaftes Argument!??? Solche News erinnern mich stark an die vergangene Ära Trump, sorry!
    Peter Puppe, Sterbeberater seit 2005

  • Hallo,
    Sie kennzeichnen als Zitat, geben aber keine Quelle an für diese absolute FALSCHmeldung:

    „Aus der Möglichkeit des assistierten Suizids könnte eine gesellschaftliche Erwartung bzw. Verpflichtung zum assistierten Suizid entstehen. Dies kann anhand der Entwicklung in jenen Ländern belegt werden, in denen eine entsprechende Regelung schon existiert. Zum Teil wurde dort auch bereits der Schritt von der individuellen Zustimmung bzw. der Forderung des Einzelnen auf Sterbehilfe hin zur Fremdbestimmung über das Leben von Menschen, die sich selbst nicht äußern können (bzw. minderjährig sind) vollzogen.“

    Also, bitte nachreichen! Es gibt ’solche‘ Entwicklungen weltweit NICHT!
    Peter Puppe, Sterbeberater seit 2005

    • Die Quelle war bereits im Artikel angegeben, wenngleich auch weiter oben verlinkt. Es handelt sich um eine Stellungnahme des Vereins Schloss Hartheims, einem Gedenkort für die Opfer der nationalsozialistischen Krankenmordaktionen. Ich habe dies jetzt klarer ersichtlich gemacht.