Diversity-Management – auch auf der anderen Seite des Tresens?

Noch ein wiedergekautes Diversity-Thema … oder doch eine erweiterte Sichtweise?

Taschenrechner, daneben Euros
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Über Diversity-Management gibt es zweifellos eine Unzahl von Beiträgen und Werken in allen Variationen und Komplexitätsstufen. Fakt ist auch, dass die Diversity-Idee immer mehr an Bedeutung gewinnt und anscheinend in jedem Unternehmen, das auf sich hält, theoretisch fix verankert ist. Jedoch kann man sich gelegentlich des Eindrucks nicht erwehren, dass die theoretische Verankerung und die praktische Realisierung, aus welchen Gründen auch immer, weit auseinander klaffen.

Den Unternehmen, in denen eine vorbildliche Realisierung der Diversity-Philosophie statt gefunden hat, ist dieser Beitrag nicht gewidmet, sondern ausschließlich den anderen, bei denen eine große subjektiv oder objektiv wahrnehmbare Image-Diskrepanz zwischen „einem internen und einem externen Eindruck“ besteht.

Entdeckung einer erfolgreichen Idee

In der Tat ist die Grundidee bzw. die Philosophie des Diversity-Managements eine logische und gleichzeitig so einfache, dass sie beinahe genial ist:

Man hat in den o.g. Betrieben entdeckt, dass man intern mit Menschen, zu tun hat, die, abseits von bloßem unternehmensbezogenen Fachnutzen und kühler Sachlichkeit doch eigene Lebensgeschichten haben. Man hat nicht nur mit einer abstrakten Größe „Personal“, die nur „Kosten verursacht und Probleme aller Art macht zu kämpfen. Es ist ein offenes Personalentwicklungsgeheimnis geworden, dass man mit den geachteten und geschätzten KollegInnen bessere Absatzzahlen bzw. wirtschaftliche Ergebnisse jeglicher Art erzielen kann und noch krisensicherer und wettbewerbsfähiger wird. Unter dem Strich wurde die besondere Bedeutung des Personals wieder neu entdeckt.

Man hat obendrein noch festgestellt, dass es doch nicht nur in den Drittländern und sonstigen fernen Entwicklungsgebieten, sondern auch vor der eigenen Haustür, eine Behinderung, Fremdsprachigkeit, Elternschaft, Alter, Hautfarbendifferenzen und sonstige abweichende Merkmale zum „idealen Standardmitarbeiter“ gibt.

Wo lebt noch Diversity?

Die theoretische Ausrichtung von Diversity-Management-Philosophie hört oft im Backoffice-Bereich, auf der säuberlich von der Außenwelt isolierten internen Personalebene, auf den internen Meetings auf. Aber was passiert tatsächlich auf der anderen Seite des Tresens? Wie geht man praktisch mit der „nicht idealen“, ja mit nicht ganz „messbar standardisierten“ Kundschaft um? Wie nimmt man sie wahr? Hat aus der Sicht des Unternehmens, ein Kunde, der mit dem angedachten idealen „Standardkunden“ wenig gemein hat, überhaupt eine ökonomische / unternehmerische Bedeutung?

Diversity live

Ich bin mit größter Sicherheit nicht das einzige lebendige Diversity-Exemple – ein Mensch mit Behinderung. Ich komme gelegentlich in Situationen, mit dem Personal von teilweise traditionellen und renomierten Betrieben, in den unerfreulichen Genuss, sich zu wundern, wer einzelne Personalmitglieder ausgewählt, engagiert, in den Kundenfragen betriebsextern oder intern eingeschult, kontrolliert und auf die Kundschaft, im wahrsten Sinne des Wortes, „losgelassen hat“.

Ehrlich gefragt, liebe Leserin, lieber Leser, wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie einen namhaften Laden betreten, nichts ahnend und mit dem Vorhaben ein Geschäft anzubahnen oder gar abzuschließen und sehen ein entgegenkommendes, häftig gestikulierendes „Personalelement“, das dazu unartikuliert brüllt und auf Ihre Brille, auf Ihr Hörgerät, oder auf Ihren Gehstock mit dem Zeigefinger stechend deutet? Im gleichen Atemzug werden Ihnen nebulose Gründe aufgezählt, warum Sie den Laden nicht betreten dürfen und wenn Sie es doch wagen, wird Ihnen mit Polizei gedroht. Nachdem Sie sich, trotz Protesten des heldenhaften Betriebsregelnhüters doch in den Laden getraut haben, beginnt die nächste Phase der „individuellen Kundenbetreuung“, die sich im Managementjargon „subtile Reduzierung des Kundenstocks“ nennen sollte.

Das jeweilige, über jedes Maß engagierte Mitglied des Verkaufspersonals, wechselt die Strategie, hört mit Drohungen aller Art auf und beginnt mit Ihnen, auf den ersten Blick sachlich korrekt, allerdings so „gepflegt und diskret“ besser gesagt theatralisch zu kommunizieren, dass man den ganzen Laden problemlos unterhalten kann. Ihnen wird dazu in der Hoffnung, Sie „als Kunde binden zu können“, einseitig das Du-Wort aufgedrückt. Sie können sich sicherlich vorstellen, wie das Geschäft an Ende abgeschlossen wurde und wie die evtl. angedachten Folgegeschäfte ausgeschaut haben?

Aber doch nicht bei uns … oder?

Über solche und ähnliche Vorkommnisse könnte man weitere Berichte verfassen, bedauerlicherweise konkret aus Wien und leider nicht, wie man es irrtümlich annehmen könnte, aus einem sehr fernen Ort.

… und warum kann so etwas passieren?

Jede komplexe zwischenmenschliche Interaktion, dazu gehört die Kommunikation allemal, ereignet sich zweifellos auf mehreren Ebenen. Einer der naiven Erklärungsversuche könnte so aussehen, dass man als Diversity-Kunde, dem angepeilten „Standardkunden“ nach oberflächlichen äußeren Merkmalen wahrscheinlich nicht entspricht. Somit wird ein solcher Kunde auch nicht entsprechend wahrgenommen bzw. bewusst ignoriert, um mit ihm keine wertvolle Arbeits- oder Beratungszeit zu verlieren (wie man es wahrscheinlich bei der einstigen Crash-Einschulung vom damals neuen Mitarbeiter verlangt hat).

Müsste das nicht ein Einzelfall sein?

In der Tat sind die Betriebe, in denen man sich nicht nur als MitarbeiterIn, , sondern auch als Kunde, dank u.a. in den Geschäftsalltag erfolgreich integrierter Diversity-Philosophie sehr wohl fühlt, subjektiv betrachtet in der Mehrzahl. Es passiert leider nicht ganz so selten auch anders. Konkret handelt es sich um eine persönliche Erfahrung, nachdem ich als blinder Mensch mit meinem offiziellen und ordentlich gekennzeichneten Blindenführhund im Dienst einen angesehenen traditionellen Laden in Wien betreten habe.

Anregung der Problemthematisierung

Solche und ähnliche unliebsame Vorkommnisse gelegentlich nicht nur mir gelegentlich, sondern in allen denkbaren Variationen tausenden Menschen mit einer mehr oder weniger sichtbaren Behinderung, mit einer anderen Hautfarbe, mit einem anderen Dialekt und natürlich auch den Menschen / Kunden / Klienten, bei denen man auf den ersten Blick kein Diversity-Merkmal erkennen kann. Sie können sich sicherlich vorstellen, wie man sich fühlt, wenn man persönlich oder telefonisch an einen Verkäufer / Berater / Kundenbetreuer gerät, dessen Umgang mit Menschen „auf den ersten Blick „etwas schroff wirkt“, „der aber ansonsten ein ganz netter Kerl ist“, was man oft dann entschuldigend zu hören bekommt, wenn man sich „in den oberen Etagen“ beschwert.

Die ehrliche Thematisierung einer echten Personalsensibilisierung sollte in der Unternehmensführung zumindest so hoch angesiedelt sein, wie die Pflege üblicher BWL-Kennzahlen. Eine quantitative Meßmethode dafür (deren gibt es noch nicht viele, diese Faktoren wurden bisher nicht als wichtig betrachtet), könnte dem einen oder anderen Geschäftsstrategen möglicherweise einige Überraschungen bereiten.

Möglicherweise eine Provokation?

Diese Zeilen klingen sicherlich sehr provokant. Ehrlich gesagt, das sind sie in der Tat auch und das sollen sie auch sein. Sie sollten eine Diskussion anregen, um eine Überprüfung der gegenwärtig vielfach bestehenden Unternehmensstrukturen in Gang zu setzen. Sie sollten auch zu etwas breiter positionierten Unternehmenswerten anregen und last but not least, eine qualitative Weiterentwicklung, dort wo es notwendig ist, zu einer wirklich ehrlichen kundenorientierten und geeigneten Personalmanagementpolitik anleiten und einen Kampf gegen kundenorientierte „Betriebsblindheit“ aufnehmen.

Dadurch kann sich wahrscheinlich auch die eine oder andere Pleite verhindern lassen, oder wenn doch nicht, werden wir es hoffentlich herzlicher miteinander haben, nicht wahr?

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