Ein Brief geht auf die Reise

Ein einfaches Web-Formular, Adressdaten und Text eingeben - und schon geht ein Brief in Blindenschrift auf die Reise. Doch wie kam es überhaupt zu diesem Service?

Homepage Braillepost
Braillepost.be

Nach der kurzen Vorstellung des Web-Angebots www.braillepost.de wollten wir einen genaueren Blick hinter die Kulissen dieses Angebots werfen. Was lag also näher, als den Initiator Marc Dürnholz zu befragen. Das Interview führte Eva Papst.

BIZEPS-INFO: Was war die Motivation für www.braillepost.de?

Marc Dürnholz: Unsere Tochter Lorena ist neun, geburtsblind und besucht im deutschsprachigen Belgien die 4. Klasse einer Regelgrundschule, an der ich als Lehrer selbst unterrichte.

Zur Erleichterung der Integration wurde im Juni 2004 durch die Schule ein PC mit Brailledrucker erworben, wobei sich jedoch eine Finanzierungslücke ergab. Das Unterrichtsministerium übernahm 60 Prozent der Kosten, für den Rest sollte die Schule – eine freie Schule in privater Trägerschaft – gerade stehen.

BIZEPS-INFO: Viele Schulen mit blinden Kindern nutzen einen Braille-Drucker. Wie entstand die Idee, diesen Drucker durch die Anbindung ans Internet einem breiten Publikum zur Verfügung zu stellen?

Marc Dürnholz: Wir sind in der Vergangenheit immer wieder gefragt worden, wie man unserer Tochter denn mal schreiben kann – sei es zum Geburtstag oder wenn sie mit der Jugendgruppe „auf Lager“ ist. Immerhin hat ja nicht jeder einen Brailledrucker oder eine Blindenschriftmaschine bei sich zu Hause rumstehen. Auch ist nicht jeder blinde Empfänger der Post fit am PC, und manchmal ist man ja auch froh, etwas auf Papier Gedrucktes schnell mal nachlesen zu können.

BIZEPS-INFO: Wie wurde das erwähnte Finanzierungsproblem gelöst?

Marc Dürnholz: Ein entsprechendes Projekt wurde in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Blindenhilfswerk „Spendet uns Licht und Liebe“ ausgearbeitet und fand den Gefallen potenzieller Zuschussgeber und Sponsoren (Aktion 48, Dienststelle für Personen mit Behinderung, Internet-Provider Euregionet), die daraufhin zusagten, die Kosten für den bis dahin ungedeckten Teil der Investition zu tragen und darüber hinaus Mittel bereitzustellen, um – vorläufig für die Dauer von drei Jahren – die Funktionskosten zu decken, wobei im Wesentlichen Papier und Umschläge als Verbrauchsgüter finanziert werden müssen. Der Rest (Webhosting, Versicherung) wird durch Sponsoring gedeckt.

BIZEPS-INFO: Gab es Vorbilder für Ihre Idee?

Marc Dürnholz: Nach dem französischen Vorbild von www.handicapzero.org wurde die Idee geboren, unseren Drucker nicht nur für die alleinigen Zwecke der Schule zu nutzen, sondern ihn wie einen Netzwerkdrucker einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, wobei als „Netz“ das Internet funktionieren sollte.

Gerd Xhonneux, Informatiker, schuf daraufhin auf ehrenamtlicher Basis eine Site, die es dem interessierten Nutzer erlaubt, unter Angabe seiner Koordinaten und der Koordinaten des blinden Adressaten diesem eine Nachricht in Punktschrift zukommen zu lassen.

BIZEPS-INFO: Welchen Weg nimmt eine solche Nachricht?

Marc Dürnholz: Über die Adresse www.braillepost.be (oder auch www.braillepost.de) gibt der Auftraggeber einen Text auf seiner PC-Tastatur ein, der anschließend „verschickt“ wird.

Dadurch wird eine Email generiert, die unverzüglich an die Schule verschickt wird; gleichzeitig erhält der Dienst tuende Freiwillige eine SMS auf sein Handy, so dass er weiß, dass ein neuer Auftrag eingegangen ist.

In der Schule werden die eingehenden Nachrichten durch den ehrenamtlichen Mitarbeiter des „virtuellen Postamtes“ unter Verwendung des Programms HBS (Hagener Braille System) wahlweise in Voll- oder Kurzschrift umgewandelt und ausgedruckt. In einem Kuvert verlässt das Schreiben anschließend portofrei als Blindensendung das belgische Eupen, um in Kürze in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Luxemburg … den Empfänger zu erreichen.

BIZEPS-INFO: Wie hoch ist die Akzeptanz von www.braillepost.de?

Marc Dürnholz: Bei einem Internet-Wettbewerb im Februar erhielt unsere Seite prompt den ersten Preis als beste private Webseite. Der Erfolg der Idee stellte sich schnell ein, im ersten Halbjahr wurden bereits über 150 Blindensendungen aller Art per Internet in Auftrag gegeben: Zeitungsausschnitte, Geburtstagsgrüße, Liedtexte, Geburtsanzeigen, … kurz – alles, was auch sonst durch den Briefträger ins Haus kommt, wurde durch uns bearbeitet und kostenlos weitergeleitet.

Auch die örtliche Jugendgruppe, in die unsere Tochter gerne geht, schickt uns mittlerweile sämtliche Einladungsschreiben und Informationen an die Email-Adresse info@braillepost.be, so dass sie wie alle anderen Kinder auch selbst nachlesen kann, was sie denn auf der nächsten Zusammenkunft erwartet.

BIZEPS-INFO: Gibt es Braillepost nur auf Deutsch?

Marc Dürnholz: Nein. Da in Belgien neben der Minderheit von 70.000 Deutschsprachigen die Volksgruppen der Flamen und Wallonen die Mehrheit bilden, war eine Ausdehnung des Angebotes auf die beiden anderen Landessprachen Französisch und Niederländisch eine logische Folge: Seit dem 21. Juli 2005 – dem Nationalfeiertag in Belgien – funktioniert das Angebot dreisprachig, die Anzahl eingehender Aufträge aus dem belgischen Inland ist seither sprunghaft gestiegen. Über 500 Blindensendungen wurden so im ersten Jahr seines Bestehens europaweit verschickt.

BIZEPS-INFO: Wie aufwändig ist die mit dem Dienst verbundene Arbeit?

Marc Dürnholz: Bisher stellt die Bearbeitung der eingehenden Aufträge noch kein logistisches Problem dar. Bei einem weiteren Anwachsen des Zuspruches ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass über kurz oder lang Partnerorganisationen aus dem Blindenwesen gesucht werden müssen, die über einen Punktschriftdrucker verfügen, den sie in den Dienst der guten Sache stellen möchten. Aber auch um die Zeit zwischen dem Verfassen des Briefes und der Zustellung zu verkürzen, wäre eine regionale Aufteilung der eingehenden Aufträge sicherlich eine in der Zukunft weiter zu verfolgende Idee.

Wir wünschen uns, dass in Zukunft auch Vereine aller Art (Kultur, Sport usw.) den Dienst verstärkt nutzen, um ohne großen Aufwand mit blinden Mitgliedern kommunizieren zu können. Eine Mail ist ja schnell verschickt, und die meisten Texte liegen ohnehin in elektronischer Form vor.

BIZEPS-INFO: Welche Zukunftsvision haben Sie?

Marc Dürnholz: Vielleicht könnte man ja über eine gemeinsame Internet-Plattform Aufträge annehmen und diese, je nach Zustellgebiet, regional an Partnerorganisationen weiterleiten … Aber das ist (noch?) Zukunftsmusik. Doch wer weiß? Die Domainnamen www.braillepost.com und www.braillepost.org wurden bereits reserviert und stehen für einen Ausbau der Idee zur Verfügung.

BIZEPS-INFO: Vielen Dank für das Interview.

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