Meine Frau und ich besuchen Hartheim, ein kleiner Ort nahe Linz mit einem prächtigen Renaissanceschloss. Doch das Schloss hat eine rabenschwarze Vergangenheit. Dieser Artikel erschien in der Straßenzeitung Eibisch-Zuckerl.
Schon lange bevor Hitler an die Macht kam waren die Ideen der Reinhaltung einer „arischen Herrenrasse“ und die Erhaltung der Erbgesundheit sogar bei christlich-sozialen Politikern hoffähig.
„Unwertes Leben“
1929 erklärte Hitler am Reichsparteitag in Nürnberg „ würde Deutschland jährlich eine Million Kinder bekommen und 700.000 bis 800.000 der Schwächsten beseitigen, dann würde am Ende das Ergebnis vielleicht sogar eine Kräftesteigerung sein.“ Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten begann die konsequente Umsetzung dieser Ideen.
Eine Legalisierung der Tötung geistig und körperlich behinderter Menschen war aufgrund befürchteter Unruhen in der Bevölkerung undenkbar. Die Beseitigung „unwerten Lebens“ war Mord (auch nach den Gesetzen des Dritten Reichs). Deshalb erfolgten sämtliche dieser Aktionen unter strengster Geheimhaltung.
Die Aktion „T4“
Start der Aktion war der sogenannte „Gnadentod“-Erlass Hitlers, der auf den 1. September 1939 (Kriegsbeginn) rückdatiert wurde: namentlich zu bestimmende Ärzte sollten ermächtigt werden, unheilbar Kranken den Gnadentod zu gewähren.
Eine Tarnorganisation wurde in Berlin, Tiergartenstraße 4 eingerichtet (deshalb Aktion „T4“). Unterorganisationen oblag die Erfassung der Opfer, der Transporte in die Zwischen- bzw. Tötungsabteilungen, die Verwaltung der etwa 400 T4-Mitarbeiter und die Kostenabwicklung. Für die Auswahl der Opfer wurden 40 „Gutachter“ berufen. Die Entscheidung über das Schicksal der Opfer erfolgte aufgrund von Patientenbeschreibungen auf Meldebögen – die Menschen bekamen die Gutachter nie zu sehen. Unheilbare Erbkrankheiten sollten ausgerottet werden und gleichzeitig die Kosten für die Anstaltspflege gesenkt werden.
Kriterien für die Auswahl der Opfer wurden festgelegt, unter anderem:
- Menschen mit aufgezählten Geisteskrankheiten oder seniler Demenz, wenn sie nicht oder nur mehr mit mechanischen Arbeiten beschäftigt werden konnten,
- Menschen, die schon länger als 5 Jahre in einer Anstalt waren.
Als Tötungsmethode wurde die Vergasung mit Kohlenmonoxid (CO) festgelegt.
Sechs Anstalten wurden als Tötungsanstalten ausgewählt – eine davon war Hartheim.
Vorbereitungen und Organisation
Die Anstalt in Hartheim wurde Ende 1938 enteignet, die Patienten im März 1940 in andere Anstalten verlegt. Gleichzeitig wurde mit den Umbauarbeiten begonnen. Als ärztlicher Leiter wurde Dr. Rudolf Lonauer, als sein Stellvertreter Dr. Georg Renno installiert, die auch für die Anstalt in Niedernhart (heute Wagner-Jauregg Landesnerven-Klinik in Linz) die Leitung hatten.
Leiter des nichtmedizinischen Bereiches wurde der Polizeioffizier Christian Wirth aus Württemberg. Die Überwachung des Tötungsvorganges und die Sicherstellung der Geheimhaltung waren seine Hauptaufgaben. Hilfskräfte wurden zuerst vor Ort angeworben, die meisten aber kamen direkt aus der T4-Zentrale – insgesamt etwa 60 Personen.
Da die Meldebögen der Anstalten für die T4-Zentrale zu zögerlich einlangten, wurden im Frühjahr 1940 Ärztekommissionen in die großen staatlichen Anstalten geschickt, die in wenigen Tagen die Krankenakte von tausend und mehr Pfleglingen durcharbeiteten und ihr Schicksal entschieden.
Bald darauf kamen aus Berlin Listen mit den Namen der Personen, die getötet werden sollten. Da in den Listen fast alle Pfleglinge aufschienen, mussten die Anstalten um Streichungen kämpfen, damit sie ihre Werkstätten und landwirtschaftlichen Betriebe weiter betreiben konnten.
In der ersten Maihälfte 1940 begannen die Tötungen in Hartheim.
Generalstabsmäßige Planung
Zuerst waren Pfleglinge aus Niedernhart an der Reihe. Hier musste Platz für ein „Pufferlager“ geschaffen werden. Wenn mit einem Transport mehr Menschen kamen, als Hartheim bewältigen konnte, wurden die Opfer für einige Tage in Niedernhart „zwischengelagert“.
Als nächste waren die großen Anstalten in NÖ und Wien an der Reihe. Mauer-Öhling, Steinhof, Ybbs und Gugging – eine nach der anderen, dazwischen einige wenige andere Anstalten. Später waren Anstalten im westlichen Österreich, in Bayern und im heutigen Slowenien an der Reihe.
Diese großen Anstalten in Wien und NÖ dienten als „Drehscheiben“ für weitere Patiententransporte. Die freigewordenen Betten wurden mit Pfleglingen aus kleineren Anstalten (z.B. Neudörfl) wieder aufgefüllt. In der ersten Jahreshälfte 1941 wurden diese entweder über Niedernhart oder direkt nach Hartheim abtransportiert. Die Patientenbewegungen sind über die Eingangs-/Abgangs-Bücher der Anstalten meist gut dokumentiert.
Ablauf der Morde
Transportlisten kamen aus Berlin und gingen an die betroffene Anstalt und an Hartheim. Die Transporte erfolgten mit den drei grauen Reichspostbussen aus Hartheim oder bei größerer Anzahl mit der Bahn bis Linz und dann mit den Bussen. Von den Bussen gelangten die Pfleglinge durch eine schmale Tür in den Entkleidungsraum und dann in den Aufnahmeraum.
Hier überprüfte ein Arzt anhand Krankenakten und Transportlisten die Identität der Opfer. Spätere Organentnahme für Präparate oder vorhandene Goldzähne wurden am Körper der Opfer markiert. Anschließend wurden die Pfleglinge in die ca. 25 m² große Gaskammer gebracht. Gewöhnlich waren 30 bis 60 Menschen drin, manches Mal auch mehr. Die luftdichten Türen wurden geschlossen und Dr. Lonauer oder Dr. Renno öffneten im Nebenraum den Gashahn. Nach 10 bis 15 Minuten Einleiten waren die Menschen tot.
Nach ca. einer Stunde war die Gaskammer entlüftet und die Brenner öffneten die Türen. Sie zerrten die ineinander verkrampften Leichen auseinander und schleiften sie in den Totenraum. Gekennzeichnete Leichen wurden separiert. Die Brenner brachen Goldzähne (Übersendung an T4-Zentrale). Gehirne und andere Organe wurden vom Pathologiegehilfen entfernt und in Formalin konserviert.
Neben dem Totenraum war der Krematoriumraum. Der mit Koks beheizte Ofen war für zwei Leichen vorgesehen. Aus Kapazitätsgründen wurden bis zu acht Leichen gleichzeitig verbrannt und der Ofen wurde in zwei 12-Stunden-Schichten rund um die Uhr betrieben. Die Anlage war damit ständig an der Grenze der Belastbarkeit. Der Ofen war an den Hauskamin angeschlossen, durch den zeitweise dicker schwarzer Rauch entstieg. Die Asche wurde in die nahe Donau gekippt, später am Grundstück entsorgt.
Geheimhaltung
Es wurde viel zur Täuschung von Opfern und Angehörigen unternommen: Abgangsstempel „in eine der Direktion nicht genannte Anstalt übersetzt“, Verständigung der Angehörigen über Verlegung in eine weit entfernte Anstalt und von dort auch die Todesnachricht (die Poststücke wurden zum Versenden mit Kurieren dort hingeschickt.)
Auskünfte an Angehörige durfte nur Dr. Lonauer persönlich erteilen (und die waren gelogen). In der Todesnachricht stand immer, dass wegen der Gefahr der Verbreitung ansteckender Krankheiten die sofortige Einäscherung des Leichnams angeordnet wurde.
Alles nur vorgespiegelt – die Wahrheit war der Transport nach Hartheim und dort die Vergasung der Opfer. Und die Mitarbeiter in Hartheim wurden mit Einweisung in Konzentrationslager bedroht, wenn sie die Geheimhaltung durchbrechen sollten.
Die Zahl der Opfer
In Hartheim wurden von Mai 1940 bis August 1941 insgesamt 18.269 aus nahezu 100 Anstalten ermordet (in allen sechs Tötungsanstalten zusammen im Rahmen der Aktion T4 insgesamt 70.273 Opfer).
In der Opferdatenbank der Dokumentationsstelle Hartheim wurden 3 Kinder, 23 Frauen und 30 Männer ermittelt, die Wiener Neustadt als Wohnort hatten.
Ende der Aktion T4
Die Bevölkerung von Hartheim wurde zunehmend unruhiger und es wurde „herumgeredet“, was auch Berlin gemeldet wurde. Ein deutscher Richter prangerte die Euthanasiemorde an seinen behinderten „Mündel“ an, ein Linzer Staatsanwalt klagte Dr. Renno an (von Berlin niedergeschlagen). Der Bischof von Münster predigte offen gegen die Morde an Behinderten und warnte, dass Kriegsinvalide als Nächste betroffen seien. Hitler brach die Aktion T4 am 24. August 1941 ab. Die Aktivitäten wurden sofort eingestellt.
Das Morden ging aber in anderer Form weiter: In Hartheim als Morde an kranken oder missliebigen KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern (Aktion „14f13“, weitere etwa 104.000 Opfer), in verschiedenen Pflegeanstalten als „wilde Euthanasie“ durch Vergiften und Verhungern.
Mitarbeiter aus Hartheim wurden in verschiedene Vernichtungslager versetzt und konnten dort ihre Erfahrung einbringen und das Töten fortsetzen.
Hartheimer Statistik
In Hartheim wurde die Statistik über alle 6 Tötungsanstalten gefunden. Die Anzahl der Opfer („Desinfektionen“) ist penibel aufgezeichnet, Kosteneinsparungen wurden errechnet (heute mehr als 3 Milliarden US$). Diese Erfolgsrechnung ist an Perversität kaum zu überbieten.
Das Ende des Mordens in Hartheim
Mit dem letzten Häftlingstransport am 11. Dezember 1944 endete die Aktion 14f13 in Hartheim, das damit die am längsten betriebene Tötungsanstalt war. Ein Trupp von KZ-Häftlingen aus Mauthausen musste danach die Tötungseinrichtungen rückbauen und die Spuren der Nutzung soweit wie möglich beseitigen.
Die gerichtliche Verfolgung der Täter
Dr. Rudolf Lonauer entzog sich der Justiz beim Herannahen der US-Armee durch Vergiftung. Dr. Georg Renno konnte zunächst untertauchen, 1967 ein später Prozess, 1973 für verhandlungsunfähig erklärt.
Büroleiter Christian Wirth war nach Hartheim Kommandant im Vernichtungslager Belzec und starb bei einem Partisanenüberfall bei Rijeka. Franz Stangl, Verwaltungs- und Büroleiter war führend in Sobibor und Treblinka tätig. Mit Hilfe eines Bischofs in Rom Flucht nach Syrien und Brasilien. 1967 verhaftet, ausgeliefert und 1970 in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt, 1971 in der Haft verstorben.
Brenner Vinzenz Nohel wurde von einem Militärgericht in Dachau 1946 verurteilt und 1947 gehenkt. Der Brenner Josef Vallaster war nach der Aktion T4 führend in Belzec und Sobibor tätig und wurde bei einem Häftlingsaufstand in Sobibor erschlagen.
Hartheim heute
1969 wurde im Schloss ein Gedenkraum eingerichtet. 1998 Projekt „Gedenkbuch Hartheim“ (namentliche Erfassung der Opfer in Hartheim – Außenstelle des OÖ Landesarchives). 2003 OÖ Landesausstellung „Wert des Lebens“ und Gründung von „Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim“.
Unser Besuch
Die Räume der Gedenkstätte sind weitgehend leer. Keine Einrichtungen wie in einem Museum. Im ersten Raum lange Listen mit Namen der Opfer – insgesamt mehr als 24.000. Auch der Raum der Gaskammer ist leer. Nur die Stelle, wo das Gas eingeleitet wurde, ist mit einem kurzen Rohrstück gekennzeichnet.
Für jeden Raum gibt eine kleine Wandtafel über dessen Funktion Auskunft. Die Wirkung ist eigenartig. Die Fantasie regt an nachzudenken, wie es hier im vollen Betrieb ausgesehen haben mag, wie es gewesen ist. Ruhe kehrt erst wieder im Meditationsraum ein. Gedämpftes Licht durch farbige Fenster und ein rechteckiger Glasbehälter mit Kieselsteinen aus der Donau, gesammelt von Volksschulklassen – für jedes Opfer einer.
Die Betroffenheit über die unvorstellbaren Vorgänge im „Mordschloss“ konnten wir lange nicht abschütteln.