Ein Prozess der gesellschaftlichen Spaltung

Die Debatte rund um die Mindestsicherung. Ein Kommentar.

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Nachdem Ende 2016 die bundeseinheitliche Lösung zur Mindestsicherung an v.a. ÖVP-geführten Landesregierungen scheiterte, stellte die aktuelle ÖVP-FPÖ Bundesregierung Ende Mai 2018 ihre Pläne zur Neuauflage vor.

Sie will eine ordnungspolitische Fürsorgeleistung formen: Klare Trennung zwischen braven Armen und AusländerInnen, Hürden zur Integration werden erhöht, um eine Leistungseinschränkung zu rechtfertigen und de facto eine Unterstützung für Wohnkosten minimiert.

Staatliche Hilfen in Notlagen werden diskreditiert

Von Bedarfsorientierung ist bei der Sozialleistung Mindestsicherung schon lange nicht mehr die Rede, auch nicht im neuen Entwurf der Bundesregierung. Bisher ist die Leistung für Menschen in besonders prekären Lebenssituationen, für die das Nötigste nicht mehr erreichbar ist, bedeutsam. Daher braucht es die Mindestsicherung, um das Mindeste – Lebensunterhalt und Wohnen – für sie zu sichern.

Im Verhältnis mit anderen Sozialausgaben führt die Mindestsicherung schon bisher ein Schattendasein. Denn nur rund ein Prozent der staatlichen Sozialleistungen fließt in dieses individuell so wichtige Hilfesystem.

Trotzdem eignet sich die Mindestsicherung offensichtlich vortrefflich, um Neiddebatten zu befördern und die LeistungsbezieherInnen zu diskreditieren. Ein Prozess der gesellschaftlichen Spaltung, der bewusst und ohne ökonomische Not des Staates angezettelt wird.

Zerstückelung der Mindestsicherung

Die aktuelle Entwicklung mutet fast grotesk an. Hatte die Verfassung aus den 1920er Jahren  im Rahmen der Armenfürsorge noch ein Bundesrahmengesetz – ähnlich der Kinder- und Jugendhilfe – vorgesehen, prägten wegen fehlender Umsetzung viele Jahrzehnte neun verschiedene Länderregelungen – zuerst Armenfürsorge, später Sozialhilfe – diese Hilfeleistung. Der Ruf nach Vereinheitlichung war geprägt von besser abgestimmten und umfassenderen Leistungen.

Erst die Bemühungen um die Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) ermöglichten ein abgestimmtes, österreichweites Mindeststandard-Modell für Menschen in Notlagen. Die BMS war aber schwach und nur durch eine Bund-Länder-Vereinbarung abgesichert, die bei erster Gelegenheit unterlaufen und dann ab Ende 2016 nicht mehr verlängert wurde.

Die Bundesregierung will nun erneut eine bundeseinheitliche Lösung, greift aber das erfolgreiche Modell der BMS nicht mehr auf, sondern entfernt wesentliche Errungenschaften der Absicherung. Die Ziele der alten BMS und des neuen Regierungsvorschlags sind auch zu verschieden: Geht es in der BMS um Integration (auch in den Arbeitsmarkt) und Bekämpfung von Armut, sind die aktuellen Vorschläge von Reduktion und Ausgrenzung geprägt.

Ministerratsvortrag und Folgen

Mittels Vortrag an den Ministerrat definierte die ÖVP-FPÖ-Koalition ihre Pläne für eine bundesweite einheitliche Mindestsicherung Neu. Die Unterstützung für den Lebensbedarf und die Wohnkosten wird gleichwertig mit sogenannten integrations- und fremdenrechtlichen Zielsetzungen genannt.

Noch gilt vieles als politische Ankündigung mit klaren Signalen: Leistungszugang und das Beherrschen der deutschen Sprache werden verknüpft, aber als Arbeitsqualifizierungsbonus versteckt; Höchstbeträge sollen österreichweit und auf niedrigem Niveau gelten, dafür aber auch Wohnkosten mitumfassen und so zu einer Deckelung führen. Familien werden durch die radikale Kürzung ab dem dritten Kind besonders benachteiligt und manifester Armut ausgesetzt.

Verunsicherung von armutsgefährdeten Menschen

Mindestsicherung wird nicht von allen Menschen beantragt, die auf die finanzielle Hilfe einen Anspruch haben. Die sogenannte Non-Take-Up-Quote ist sozialwissenschaftlich gut belegt und wird mit der Stigmatisierung des Leistungssystems, der Scham der Beantragung und den administrativen Hürden begründet.

Diese Hürden werden durch die Vorschläge zur Mindestsicherung Neu angehoben, die Stigmatisierung deutlich gesteigert.

Für Menschen mit Beeinträchtigungen stellt die Mindestsicherung trotz der suboptimalen Rahmenbedingung eine wichtige Absicherung dar. Eine eigene Wohnung zu finanzieren, Selbstständigkeit trotz Beeinträchtigung erfolgreich zu leben, Teilhabe an der Gemeinschaft durchzusetzen – das alles wird für sie mit der Mindestsicherung möglich. Dafür steht kein anderes Leistungssystem zur Verfügung.

Ausnahmen für Menschen mit Beeinträchtigungen?

Der Plan der Bundesregierung sieht auch einige wenige Abfederungen bei den neuen Hürden vor. So sollten Menschen mit Beeinträchtigungen nicht zum Nachweis von Deutschkenntnissen verpflichtet werden. Ob dies auch auf NichtösterreicherInnen zutrifft, die doch unter die fremdenrechtlichen Zielsetzungen der Mindestsicherung Neu fallen, bleibt noch offen.

Menschen mit Beeinträchtigungen benötigen aber mehr als Ausnahmen. Es geht um die gleichberechtigte Teilhabe in der Gemeinschaft, wie dies auch in der UN-Behindertenrechtskonvention zugesichert wird.

Diese Zielsetzung wird durch die Mindestsicherung nur sehr unzureichend erfüllt und birgt darüber hinaus die Schattenseite von Diskriminierung und Zugangshürden. Eine Änderung ist dringend erforderlich!

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