"Ein Schutz zwischen den Menschen der EU und der Union fehlte bislang."
„Die europäische Grundrechtecharta ist nicht umsetzbar in ein rechtsverbindliches Instrument, denn das war kein Auftrag der Staats- und Regierungschefs. In Nizza kann es daher zu keiner Rechtsverbindlichkeit kommen, aber auch eine Proklamation der Charta wäre von Wert“, sagte SPÖ-Europasprecher und Delegierter zum Grundrechtscharta-Konvent Mittwoch bei einer Fachtagung des Renner-Instituts.
Inhaltlich habe man eine Balance finden müssen zwischen denjenigen, die keine sozialen Grundrechte wollten und denjenigen, die auf starke rechtliche Verbindlichkeit für die sozialen Grundrechte bestanden. Einem erklärte, im besten Fall werde es in Nizza zu einer Einigung kommen, wie die Charta in Zukunft ein rechtsverbindliches Instrument werde.
„Ein Schutz zwischen den Menschen der EU und der Union fehlte bislang. Der Auftrag der Staats- und Regierungschefs lautete, Grundrechte der Menschenrechtskonvention, der Sozialcharta und der gemeinsamen europäischen Verfassungstradition zu katalogisieren“, legte Einem dar. Dass die Regierungschefs diese Grundrechte gewährten, könnte man als Marketinggag sehen, denn Grundrechte würden üblicherweise von unten erkämpft und nicht von oben gewährt.
Die Vorgangsweise bei der Entstehung der Charta empfand Einem als beispielhaft. Im Gegenteil zu der fruchtlosen Grundrechte-Diskussion in Österreich gebe es jetzt ein Ergebnis. Einem betonte, in Anbetracht der langsamen Entscheidungsbildungsprozesse in der EU, die unter anderem auf unterschiedliche Rechtskulturen zurückzuführen seien, sei das Ergebnis sogar schnell zustande gekommen. „Das Konvent war sehr diszipliniert“, so Einem.
Zum Inhalt der Charta sagte der SPÖ-Europasprecher, es habe vor allem über soziale Grundrechte heftigste Debatten gegeben. Dabei sei das „haarsträubende Argument“ aufgetaucht, dass soziale Rechte im Gegensatz zu politischen Grundrechten zuviel kosteten. Das sei Unsinn, sagte Einem und verwies auf das teure Justizsystem. Man habe Kompromisse schließen müssen und beispielsweise das Streikrecht bekommen im Gegenzug dafür, dass man unternehmerische Freiheit gewährt habe. „Es ist uns gelungen, Rechte für Kinder, Behinderte und ältere Menschen durchzusetzen, wobei das Letztere besonders schwierig war“, unterstrich Einem.
Mit Unverständnis reagierte Einem auf Forderungen, Illegalen keine Grundrechte zu gewähren. Bei solchen Diskussionen werde „Stimmung gegen ein angemessenes Grundrechteverständnis gemacht“. Vor allem Sozialdemokraten und Grüne hätten um einheitliche soziale Grundrechte gekämpft. Einem wies darauf hin, dass man damit nicht nationale Rechte ersetzen könne. Wenn man in Österreich soziale Grundrechte wolle, müsse man sich dafür einsetzen.
Zur Frage nach dem weiteren Vorgehen sagte der SPÖ-Europasprecher, der Gipfel in Biarritz habe gezeigt, dass die Staats- und Regierungschefs die Charta akzeptierten. Gegen eine Rechtsverbindlichkeit hätten sich Schweden, Großbritannien, Dänemark und Irland ausgesprochen. Deshalb könnte es in Nizza passieren, dass es mit Einverständnis des europäischen Parlaments und der Kommission „nur“ zu einer Proklamation komme. Die zweite Möglichkeit sei eine Ergänzung des Artikels sechs des EU-Vertrages – dieser Option gegenüber zeigte sich Einem skeptisch. Wünschen würde man sich in Nizza eine Einigung über das Verfahren, das die Charta in Zukunft zu einem Teil des EU-Vertrages mache, so Einem.
Die Rechtsverbindlichkeit würde auch zu einer stärkeren demokratischen Legitimation der Union führen: durch bessere plebiszitäre Elemente wie EU-Volksabstimmungen. Sicher sei bereits jetzt, dass der EuGH die Charta in seiner Rechtssprechung berücksichtigen werde und sie dadurch schrittweise zum Gegenstand der europäischen Rechtssprechung würde, schloss Einem.