Embryonenforschung

Sechs Zellen und die Folgen; Auszüge aus einem "Format"-Interview.

Forscherin im Labor
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Birgit Primig-Eisner, Mitarbeiterin der Lebenshilfe Österreich und Vorsitzende der von Behindertenverbänden initiierten Ethikkommission; Elisabeth Pittermann, Ärztin und Gesundheitsstadträtin von Wien, Ulrich Körtner, Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin, und Johannes Huber, Hormonspezialist und Vorsitzender der Ethikkommission des Bundeskanzleramtes.

FORMAT: Die Reaktionen auf das vergangene Woche veröffentlichte Klonexperiment nach der Dolly-Methode, bei dem ein menschlicher Embryo aus sechs Zellen entstand, sind gewaltig. Es gibt Eilgesetzgebungen und durchwegs Ablehnung. Dabei meinen Experten, die Zellteilung im Labor sei ein „wissenschaftlich armseliger Unfug“ gewesen. Warum herrscht dann diese Aufregung?

HUBER: Weil etwas in der Luft liegt. Vielleicht wird beim Menschen eines Tages auch möglich sein, was bei Dolly möglich war. Dieser Schritt, der medizinisch in der Tat nichts Neues bietet, macht hellhörig und sensibel.

PRIMIG-EISNER: Die Aufregung rührt auch daher, daß im Bereich der Biomedizin wahnsinnig viel noch ungeregelt ist. Außerdem gibt es ein gewaltiges Informationsdefizit und zugleich ein Informationsbedürfnis. Wenn ich in Schulklassen eingeladen werde, werden sofort Fragen nach dem Unterschied zwischen therapeutischem und reproduktivem Klonen gestellt. Aber es ist auch für mich als relativ informierte Person nicht so leicht, diese Begriffe zu erklären.

HUBER: Auch Professoren aller Art tun sich schwer, diese Dinge zu vermitteln. Man muß aber schon dazusagen, daß die gesamte ernstzunehmende wissenschaftliche Gemeinde gegen das reproduktive Klonen ist. Damit kann keinem Menschen geholfen werden. Anders ist das beim therapeutischen Klonen. Da geht es um die Linderung von schwerstem Leid.

PRIMIG-EISNER: Aber man muß auf diesem Gebiet zwischen schweren Erkrankungen und Behinderungen unterschieden. Wenn jemand Krebs oder Aids hat, ist therapeutisches Klonen vielleicht wirklich ein Zukunftsmodell. Schwierig wird es für mich dort, wo man beginnt, Behinderungen wegzutherapieren. Behinderungen sind ein komplexer Teil einer Persönlichkeit. Ob man da nicht in die Persönlichkeit eines Menschen eingreift?

FORMAT: Indem man sie heilt?

PRIMIG-EISNER: Dieses Heilen ist für mich in diesem Fall eine sehr fragwürdige Angelegenheit. Viele behinderte Menschen leiden eher unter ihrer Umgebung. Der Heilsgedanke ist da eher kritisch zu beleuchten. Ich kenne viele Rollstuhlfahrer, die sagen: Ich will mein Leben nicht erneut auf den Kopf stellen.

PITTERMANN: Meine Mutter war durch ein Erbleiden schwer sehbehindert. Sie hätte alles darum gegeben, nicht sehbehindert zu sein. Sie hat mir sogar einmal gesagt, wenn ihr Kind dieses Leiden auch gehabt hätte, hätte sie nicht gewußt, ob sie mit ihm freiwillig aus der Welt scheiden soll. Sie wäre über eine Heilung sehr glücklich gewesen, und ich glaube, viele Rollstuhlfahrer wären das auch. Ich bin dagegen, daß man Menschen züchtet, aber ich bin niemals dagegen, daß man in der Medizin weiterlernt, um Stammzellen zu adaptieren, aus denen eines Tages Organe entstehen können. Wobei ich dazusagen möchte: Das ist meine persönliche Position und nicht unbedingt die der SPÖ. Im ORF wurde vor kurzem gemeldet, ein zweijähriges Kind könne nur durch eine Lebertransplantation gerettet werden. Hoffentlich, wurde gesagt, findet sich bald ein Spender. Niemand bedenkt, daß ein anderes Kind sterben muß, um eine Leber spenden zu können. Da ist es mir doch lieber, ich bringe Zellen dazu, daß dieses Kind geheilt werden kann. Dann muß ich nicht der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß ein anderes Kind stirbt.

PRIMIG-EISNER: Ich bin nicht explizit gegen jede weitere Forschung, aber man muß dort vorsichtig sein, wo man beginnt, in die Persönlichkeit einzugreifen, indem man Behinderung wegtherapiert. Wir leben jetzt schon in einer Gesellschaft, die von der Medizin erwartet, daß sie eine heile Welt mit lauter gesunden und schönen Menschen schafft.

PITTERMANN: Das wird´s aber nie geben.

HUBER: Gerade die moderne Medizin zeigt ja, daß wir alle behindert sind. Jeder von uns trägt, auch wenn er gesund erscheint, irgendwelche Schwachstellen in sich.

FORMAT: Was machbar ist, wird auch gemacht – der Satz beschreibt immer wieder das Dilemma zwischen biomedizinischem Fortschritt und den ethischen Bedenken dagegen. Ist das US-Experiment nun ein Dammbruch?

KÖRTNER: Wir werden bestimmte Entwicklungen sicher nicht aufhalten können. Das bedeutet aber keineswegs, daß man die Forschung libertinistisch laufen läßt. Man kann sich dem Problem der Embryonenforschung als Ethiker nur stellen, wenn man versucht, die Entwicklung zu steuern.

FORMAT: Der Vorsitzende der hauseigenen Ethikkommission jener Firma, die den Embryo hergestellt hat, meint, sein Wirken habe die Experimente um sechs Monate verzögert. Das klingt, als hätte Ethik in der Medizin nur ein wenig aufschiebende Wirkung.

KÖRTNER: Ich glaube nicht, daß die Ethik nur auf die Bremse steigt. Es gibt auch Entwicklungen, die begrüßenswert sind. Aber in unserer Gesellschaft ist es eine politische Frage, ob ethischer Rat gewünscht wird oder nicht.

PRIMIG-EISNER: Ich bin eigentlich sehr froh über diesen Bremsfaktor. Dadurch bleibt Zeit, diese brisanten Dinge intensiver zu diskutieren.

HUBER: Was den Fortschritt betrifft, sind Erfolge fast durchwegs auf dem wenig umstrittenen Gebiet der adulten Stammzellen zu verzeichnen. Wir vergessen immer, daß auch Erwachsene über omnipotente Stammzellen verfügen, aus denen andere Körperzellen und vielleicht sogar Organe entstehen können. Ich will damit das amerikanische Experiment nicht ironisieren, aber bei den embryonalen Stammzellen ist man noch nicht sehr weit. Nur glaub ich, daß man in alle Richtungen forschen sollte.

FORMAT: Soll auch mit embryonalen Stammzellen, die eigens für diesen Zweck hergestellt wurden, geforscht werden?

PITTERMANN: Wenn man die Notlage einer Frau ausnützt und sie für ihre Eizellen bezahlt, hielte ich das für grob unethisch. Auch die Hormonstimulation zur vermehrten Gewinnung von Eizellen ist für die Frau ein Problem. Aber warum soll man überzählige Embryonen aus einem gewollten Abortus oder aus der künstlichen Befruchtung entsorgen? Warum ist das schutzwürdiger als die Entnahme eines Organs aus einem Menschen, der gelebt hat?

FORMAT: Wächst mit der Zahl der wissenschaftlichen Publikationen die Gefahr des Wissenstransfers von der seriösen Forschung zu den Menschenzüchtern der Raelianer-Sekte und des Antinori-Clans?

HUBER: Der Antinori ist in der wissenschaftlichen Gemeinde geächtet, der steht im Eck. Aber natürlich kann man auch, bildlich gesprochen, die Atombombe im Keller bauen. Ich bin allerdings der Meinung, sollte es irgend jemandem gelingen, im Keller einen Klon herzustellen, bricht nicht die Welt zusammen. Ich bin strikt gegen das Klonen von Menschen, aber in Kellern können schlimmere Dinge passieren.

KÖRTNER: Kriminelle Forscher kann es im Einzelfall durchaus geben. Das ist aber kein Argument gegen die Ethik oder dagegen, die Forschung gesetzlich zu regeln. Zu diskutieren ist jetzt, wie eng oder weit die Grenzen gezogen werden sollen. Wo sind die ethischen Grenzen für politische Kompromisse, die dem gesellschaftlichen Frieden dienen? Darüber gehen die Ansichten auseinander. In jedem Fall markieren die Menschenrechte eine unbedingt zu respektierende Grenze.

FORMAT: Wie könnte dieses Spektrum der Möglichkeiten aussehen?

KÖRTNER: Was wir brauchen, ist öffentlich geförderte und kontrollierte Forschung. Die amerikanische Haltung ist ein wenig doppelmoralisch. Dort werden bestimmte Dinge nicht staatlich gefördert, man läßt sie aber im privatwirtschaftlichen Bereich geschehen. Wir werden sicher eine gesamteuropäische Lösung suchen müssen – mit regionalen Unterschieden. Großbritannien geht in der Frage des therapeutischen Klonens viel weiter als der Kontinent. Und ich vermute, daß in Deutschland die Forschung mit importierten Stammzellen ermöglicht wird.

PITTERMANN: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß. Ausländische embryonale Stammzellen sind nicht schützenswert, inländische schon? Also das klingt fast nach den Nürnberger Rassegesetzen.

FORMAT: Als was ist das sechszellige Gebilde aus den US-Labors denn überhaupt zu bezeichnen?

PITTERMANN: Als sechs Zellen. Was glauben Sie, wie oft sechs Zellen bei einer Frau natürlich abgehen? Es gehen viel mehr Embryonen ab als sich einnisten. Und wenn man wie ich zum Schwangerschaftsabbruch steht, ist es nur konsequent zu fragen: Warum ist ein früher Embryo, der übrigbleibt, weil eine Frau beschlossen hat, keine Kinder mehr zu wollen, schützenswerter als einer aus einem Abortus?

HUBER: Aus den sechs Zellen in den USA wäre nie ein Mensch geworden. Da hätte es auch noch ein Signal von der Mutter gebraucht. Angenommen, die sechs Zellen wären intakt gewesen, was ich bezweifle, dann hätten sie sich zu einer Stammzellkultur entwickelt, zu mehr aber nicht.

KÖRTNER: Für mich sind sechs Zellen durchaus mehr als nur sechs Zellen. Vom geborenen Menschen aus rückwärts betrachtet macht es für mich keinen Sinn, eine objektiv feststellbare Grenze zu ziehen und zu sagen: Ab da ist das ein werdender Mensch.

HUBER: Ich warne davor, daß nur die Naturwissenschaft die Frage nach dem Beginn des Lebens beantworten soll. Darüber muß ein gesellschaftlicher Konsens erzielt werden, in dem die Weltanschauung des einzelnen natürlich auch eine Rolle spielt.

FORMAT: Wird sich die Embryonenforschung durchsetzen?

KÖRTNER: Ich gehe davon aus, daß die Forschung mit Stammzellen aus überzähligen Embryonen in Europa kommen wird. Das therapeutische Klonen lehne ich allerdings ab, weil hierbei Embryonen nur zu Forschungszwecken gezüchtet werden.

PITTERMANN: Wenn ein Ziel in zehn Schritten zu erreichen ist, sollte man sich nicht nach dem ersten Schritt schon vor den Folgen des elften fürchten. Dann sollte man dieses Ziel anstreben und klar definieren: Bis hierhin und nicht weiter.

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