Engagierter Aufbruch in Richtung Inklusion

Auf Einladung von Direktorin Andrea Rieger besuchte BIZEPS am 10. November 2015 die Caritas-Schule "Am Himmel" in Wien. Ein Erfahrungsbericht.

Direktorin Andrea Rieger
Caritas

Die idyllisch gelegene Schule macht nicht nur wegen ihrer farbenfrohen Gestaltung einen offenen und einladenden Eindruck auf uns.

Wir werden freundlich empfangen und in die Direktion gebeten. Wie sich bald herausstellen wird, steht sie – wie fast alle Räume – auch den Schülerinnen und Schülern offen.

Während unseres sehr intensiven Gedanken- und Erfahrungsaustausches kommt einer von ihnen vorbei, um Frau Rieger einen Aufsatz zu zeigen, auf den er stolz ist. Sie bittet ihn herein und nimmt sich kurz für ihn Zeit. Außerdem ermuntert sie ihn, ihr wieder einmal etwas zu zeigen. Sie sagt, das komme öfter vor und „das freut mich“.

Einer der beiden versperrten Räume ist das Lehrerzimmer, weil dort auch Medikamente aufbewahrt werden, aber selbst an dieser Tür findet sich eine Einladung. Auf einem Schild steht folgender Text zu lesen: „Ich freue mich, wenn du klopfst.“ Auch der Entspannungsraum ist nicht immer geöffnet. Andrea Rieger versichert uns aber: Die Kinder können jederzeit danach fragen. Dann können sie es sich auf einem Wasserbett bequem machen und sich bei Lichtstimulation zwischendurch erholen.

Eine Schule für alle

Seit September 2015 hat man sich auf einen neuen Weg begeben (wir haben darüber berichtet). Die Schule „Am Himmel“ soll gemäß der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen inklusiv geführt werden. „Wir wollen eine Schule für alle“, wie es Frau Rieger nennt.

Dies wird mithilfe von Mehrstufenklassen erprobt. Parallel gibt es derzeit noch Sonderschulklassen. Für jedes Kind wird aber eine individuelle Arbeitsmappe erstellt und es kann frei entscheiden, wo es mitlernen möchte. So gibt es eigene Räume für verschiedene Fächer, zum Beispiel einen Sprachraum und einen Mathematikraum. Die individuellen Lernziele sind nicht nur gut für behinderte Schülerinnen und Schüler.

Andrea Rieger erzählt von einem nicht behinderten Buben, der es besonders genießt, individuell herausgefordert zu werden. Er hat eine schnelle Auffassungsgabe und bekommt daher Zusatzaufgaben, um sich nicht zu langweilen. Die angebotenen Lernmittel sind je nach Schwierigkeitsgrad in einem Farbsystem geordnet. An diesem können sich die Kinder orientieren.

Viele Gemeinschaftsräume laden zum Austausch und zum gemeinsamen Lernen ein. In sogenannten Atelierstunden können die Kinder aus unterschiedlichen kreativen Angeboten wählen. Bei unserem Besuch sind sie gerade eifrig dabei Martinskipferl zu backen und Laternen zu basteln. Die Kipferl werden uns stolz zur Verkostung angeboten.

Positive Überraschungen

Die Direktorin berichtet von den ersten Erfahrungen nach der Umstellung. Sie erzählt von einer Mutter, die anfänglich sehr skeptisch gewesen sei, ob es für ihr behindertes Kind gut ist, das geschützte Umfeld für nicht behinderte Mitschülerinnen und Mitschüler zu öffnen. Sie sei extra zu ihr gekommen, um ihr zu sagen, dass sie begeistert ist.

Es ist auch nicht immer notwendig, dass die Pädagoginnen und Pädagogen automatisch sofort eingreifen, wenn es zwischen behinderten und nicht behinderten Schülern Konflikte gibt, sagt Rieger. Oft haben die Kinder eigene Strategien im Umgang miteinander.

Bei manchem irritierenden Verhalten ist die ehrliche Reaktion anderer Kinder mitunter auch hilfreich, damit es in Zukunft korrigiert werden kann, meint sie und versichert: Natürlich sind die Lehrerinnen und Lehrer immer in der Nähe um gegebenenfalls zu reagieren.

„Man muss den Kindern etwas zutrauen“, ist die Pädagogin überzeugt.

Anfängliche Widerstände

Die UN-Konvention war nicht der einzige Grund für die Umgestaltung. Es gab immer weniger Anmeldungen für die Sonderschule. Nach anfänglich heftigen Widerständen sowohl von Eltern als auch Lehrerinnen und Lehrern gibt es mittlerweile viel mehr Anmeldungen als Plätze.

Die ersten nicht-behinderten Schülerinnen und Schüler kamen aus einer aufgelösten privaten Volksschule in der Nähe. Die in der Pause auf den engen Gängen herumtobenden Schülerinnen und Schüler machen den Eindruck als hätten sie sich schon alle sehr gut eingelebt.

Die Direktorin bestätigt uns: Es gibt nur wenig Berührungsängste. Die Kinder helfen sich gegenseitig. So wie sie es im Artikel der Furche vom 5. November ausgedrückt hat: „Wir Erwachsenen machen uns über Inklusion zu viele Gedanken. Die Praxis zeigt, dass uns die Kinder überholen“.

Vor- und Nachteile der Lage

Das denkmalgeschützte Gebäude mit seiner Lage im Grünen hat leider nicht nur den Vorteil, dass der Unterricht manches Mal auch im Wald stattfinden kann. Die erforderliche Barrierefreiheit ist schwer zu erreichen. Vor allem auch, weil der Platz sehr beengt ist. Diese Herausforderung soll bis zum nächsten Schuljahr bewältigt sein, wenn die erste Schülerin im Rollstuhl eingeschult wird.

Die Schwierigkeiten regen aber offenbar zur kreativen Gestaltung an. Die kleinen Räume wirken fast familiär. Im Gemeinschaftsraum steht in der Mitte eine große Schüssel am Boden. In sie darf jedes Kind am Morgen einen Stein mit seinem Namen legen. So wissen alle, wer im Haus ist. Die Steine von den fehlenden Kindern liegen neben der Schüssel.

Nach unserem Besuch ist es uns sehr verständlich, dass es mehr Anmeldungen als Plätze gibt. Wir sind sehr gespannt auf die weiteren Entwicklungen, für die wir alles Gute wünschen.

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7 Kommentare

  • @Martin Ladstätter: Gut, dass ihr euch auch die Sonderschulklassen angeschaut habt, aber: gibt es darüber auch etwas zu berichten? Eventuell in einem zweiten Artikel? Wäre neugierig, wie ihr die Neuorganisation für diese meiner Meinung nach entscheidende Zielgruppe innerhalb der neuen inklusiven Schule am Himmel jetzt und in Zukunft beurteilt.

  • @Martin Ladstätter: Gut, dass ihr euch auch die Sonderschulklassen angeschaut habt, aber: gibt es darüber auch etwas zu berichten? Eventuell in einem zweiten Artikel? Wäre neugierig, wie ihr die Neuorganisation für diese meiner Meinung nach entscheidende Zielgruppe innerhalb der neuen inklusiven Schule am Himmel jetzt und in Zukunft beurteilt.

  • Jetzt habt ihr mich neugierig gemacht …. war mit meiner Tochter immer integrativ / inklusiv unterwegs und das seit 28 Jahren … ich bin oft Am Himmel unterwegs mit meiner Familie und Assistenzhund … werde demnächst bei der Schule vorbeischauen :-)

  • @Bernhard Schmid: Ja Bernhard wir haben uns auch das angesehen, weil wir für den Besuch viel Zeit eingeplant haben (und weiter dran bleiben). Und ja Inklusion umfasst – wie die Direktorin so schön sagt – den Grundsatz „Eine Schule für alle“. Die Schule und deren Vorhaben sind wirklich vorzeigbar und berichtenswert.

    Ich finde es das sehr wichtig, dass Magdalena Scharl darüber berichtet hat. Wir haben übrigens in der gleichen Woche eine andere Schule besucht, die allerdings sehr aussondernd arbeitet. Quasi nach dem Motto: Wir entscheiden wer integrierbar ist.

  • Liebe Magdalena, ich mag deinen Artikel. Ich finde all diese Ansätze der Schule löblich. Besonders dass Inklusion etwas natürliches ist. „Die Kinder überholen uns..“ wie passend! :-)
    Der Direktorin möchte ich noch ans Herz legen den Namen der Schule zu ändern sofern dies für sie möglich ist.

  • Liebe Frau Scharl,

    Haben Sie bei Ihrem Besuch am Himmel auch Kinder der Sonderschulklassen besucht? Hat man Ihnen auch deren Unterrichtsalltag und vor allem die verschränkten Unterrichtseinheiten nähergebracht, dort, wo die eigentliche „Inklusion“ stattfindet? Dann wäre es schön gewesen, auch darüber in Ihrem ansonsten sehr guten Bericht darüber zu lesen! Am Himmel sind nämlich auch Kinder mit schweren Beeinträchtigungen, die ohnehin viel zu oft ein „Schattendasein“ abseits der Wahrnehmung der Öffentlichkeit führen. Eine Organisation wie Bizeps sollte sich in der Öffentlichkeitsarbeit gerade dieser Menschen annehmen!