Nach über einem Jahr intensiver Verhandlungen stand alles bereit: Wien hätte der Bundesrichtlinie zur Harmonisierung der Persönlichen Assistenz beitreten und damit Menschen mit Behinderungen endlich mehr Selbstbestimmung ermöglichen können. Doch die Wiener Politik hat diese historische Chance ausgeschlagen - mit weitreichenden Folgen. Ein Kommentar.
Der Fonds Soziales Wien (FSW) hat nach dem politischen Auftrag zu verhandeln hierbei umfangreiche Arbeit geleistet, laufend Zwischenergebnisse an die Politik rückgemeldet und eine solide Grundlage geschaffen, um Menschen mit Behinderungen in Wien mehr Unterstützung durch Persönliche Assistenz zu ermöglichen.
Nach über einem Jahr intensiver Verhandlungen zwischen dem FSW und dem Sozialministerium war der Weg für den Beitritt Wiens zur Bundesrichtlinie „zur Harmonisierung der Persönlichen Assistenz“ im August 2024 geebnet.
Doch dann begann völlig überraschend das große Zaudern und schlussendlich entschied die Wiener Politik dagegen.
Der Bund hätte Wien mit 52 Millionen Euro unterstützt
Doch die Wiener Politik – allen voran Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) – hat diese Chance ausgeschlagen.
Trotz der Aussicht auf 52 Millionen Euro an Fördermitteln des Bundes und der Möglichkeit, die Persönliche Assistenz endlich auf bislang ausgeschlossene Gruppen auszuweiten und endlich prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu beseitigen, wurde der Beitritt abgelehnt.
Nicht nur die Peer-Beratungsstellen, die Dienstleister und der FSW hatten die notwenigen Schritte durchgeplant. Sogar die schriftliche Information für die Assistenznutzer:innen in Wien war schon fertig. Doch schließlich verhinderte ein klares politisches Nein von Stadtrat Hacker den Beitritt.
Diese Entscheidung sorgt sogar innerhalb der Wiener SPÖ und der Verwaltung hinter vorgehaltener Hand für Unverständnis. Viele fragen sich, warum Wien unter Einsatz großer Zeit- und Personalressourcen alles fertig ausverhandelt und in letzter Sekunde die Politik alles blockiert.
Auch Bürgermeister Michael Ludwig trägt hier leider eine Mitverantwortung. Seine fehlende Entschlossenheit, sich in dieser wichtigen Phase für die Interessen von Menschen mit Behinderungen einzusetzen und ein Gespräch zu führen, enttäuscht. Er hätte hier ein gewichtiges Wort sprechen können, um den Beitritt noch zu ermöglichen – doch das blieb aus.
Historische Chance vertan
Mit dieser Ablehnung wird nicht nur eine historische Chance vertan, sondern auch jede dringend notwendige Weiterentwicklung verhindert.
Die Persönliche Assistenz bleibt in Wien weiterhin Gruppen von Menschen mit Behinderungen verwehrt.
Die Wiener Politik verwaltet lediglich den Status quo, anstatt mutig voranzugehen und echte Inklusion zu schaffen.
Besonders unverständlich ist das Wiener Zaudern deswegen, weil es gerade Wien ist, das dauernd – und das zu Recht – fordert, dass der Bund und das Land Herausforderungen gemeinsam lösen.
Was passiert nun nach der Wiener Verweigerung?
Die Pflegegeldergänzungsleistung für Persönliche Assistenz (PGE) wird erhalten bleiben und es wird erwartet, dass der Stundensatz ab 1. Jänner 2025 angepasst wird.
Doch das ist nicht mehr als ein minimaler Schritt, der nur das Bestehende sichert. Echte Fortschritte – wie eine umfassende Ausweitung der Persönlichen Assistenz – bleiben weiter aus.
Großen Gruppen von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen wird weiterhin Persönliche Assistenz verweigert. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse werden von der Wiener SPÖ weiter geduldet.
Lippenbekenntnisse reichen nicht aus
Es ist besonders ärgerlich, dass die Wiener Politik nicht müde wird zu betonen, wie wichtig die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sei, während deren Inhalte konsequent ignoriert werden. Lippenbekenntnisse reichen nicht aus. Menschen mit Behinderungen brauchen Taten, keine leeren Worte.
Diese Entscheidung der Wiener Politik ist ein Rückschritt und ein klares Zeichen dafür, dass die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Wien weiterhin nicht ausreichend ernst genommen werden.
Wir werden den Kampf um unsere Menschenrechte trotzdem mit Nachdruck weiterführen, um zu erreichen, dass die politischen Entscheidungsträger im Laufe des Jahres 2025 doch noch zur Einsicht kommen.
Megi
21.11.2024, 10:15
Stand denn seitens des SMS jemals zur Debatte, dass zB auch gehörlose Personen zukünftig Assistenz erhalten sollen? Soweit mir bekannt – Nein.
In wiefern hätte ergo der Kreis der Begünstigten erweitert werden sollen? Die einzig erwähnenswerte Änderung wäre die Abschaffung der freien Dienstverträge gewesen und das hätte – lt Aussagen von vielen Assistenznehmer:innen in meinem Umfeld – für weit weniger Selbstbestimmung gesorgt – 6 Wochen im Voraus planen, keine bzw kaum mehr Mitsprache bezüglich der Person der Assistenz, da Dienstplanbindung durch die Anbieter und dadurch aufgezwungende Assistent:innen usw.
Auch die Folgefinanzierung für die Stadt Wien war nicht abschließend geklärt. Was nützt eine einmalige „Finanzspritze“, wenn laufende (Mehr-)kosten entstehen? Wer hätte diese Mehrkosten über die 52 Millionen hinaus übernommen?
Ich würde mir hier wirklich saubere Infos wünschen und keine Stimmungsmache gegen die Stadt Wien, obwohl das SMS keine Antworten auf obige Fragen lieferte.
Markus Ladstätter
21.11.2024, 11:05
Das kann alles hier nachgelesen werden: https://www.sozialministeriumservice.at/Ueber_uns/News_und_Veranstaltungen/News/PAA_Richtlinie.de.html
Dort, in §6.2 „Zielgruppe“ steht auch, wie der Kreis der Anspruchsberechtigten aussieht. Beispielsweise Menschen mit Lernschwierigkeiten hätten dann, wenn sie Assistenzbedarf haben, die Möglichkeit, um nur ein Beispiel zu nennen.
Auch die Finanzierung für die Länder ist genau geregelt. Wäre dies so unklar, hätten sich die betreffenden Stellen nicht schon so genau auf die Einführung vorbereitet.
Ich bitte sie, sich genauer zu informieren, statt hier Mythen zu verbreiten. Es gibt keine aufgezwungenen Assistent:innen.