Wie an dieser Stelle schon Anfang Juli 2004 befürchtet, hat Bundesminister Mag. Herbert Haupt (FPÖ) am 28. Juli 2004 einen Gesetzesentwurf mit dem Namen "Behindertengleichstellungsgesetz" in Begutachtung geschickt.
Die ersten Reaktionen zum Gesetzesentwurf sind mehr als deutlich und gehen bis zu „Er verdient diesen Namen nicht“.
Angespornt von dem guten Behindertengleichstellungsgesetz in den USA aus dem Jahr 1990 haben behinderte Menschen in Österreich ihren Kampf für Bürger- und Menschenrechte begonnen.
Zuerst wurde das Anliegen von den meisten Parteien und konservativen Behindertenorganisationen rundweg abgelehnt, doch im Laufe der Jahre erkannten immer mehr Menschen die Notwendigkeit einer Gleichstellung behinderter Menschen.
1997 gelang es uns, eine Verfassungsbestimmung für behinderte Menschen zu erkämpfen. Im Jahr 1999 brachte der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes einen Bericht über diskriminierende Gesetzesstellen im Bundesrecht heraus.
Nun legte Minister Haupt einen Entwurf für ein Behindertengleichstellungsgesetz vor, und die Reaktionen sind von verärgert bis fassungslos. „Warum eigentlich?“, könnte man fragen. Doch das ist leicht erklärt.
Nur Antidiskriminierung – keine Gleichstellung
„Der vorliegende Entwurf ermöglicht nur Klagen bei Diskriminierungen und auch das nur im eingeschränkten Rahmen“, erläutert Mag. Michael Krispl vom Verein Blickkontakt. Doch Behindertengleichstellung besteht nicht nur aus Diskriminierungsschutz, sondern muss – und zwar vor allem – auch detaillierte materielle Gleichstellungsrechte – z. B. ein Recht auf barrierefreien Zugang bzw. barrierefreie Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln, Gebäuden, Internetangeboten usw. mit geregelten Standards der Barrierefreiheit, ein Recht auf inklusive Bildung enthalten.
„Minister Haupt wollte zumindest öffentlich ein Gleichstellungsgesetz, das seinen Namen verdient. Der nun vorliegende Entwurf verdient diesen Namen nicht“, fasst daher Wolfgang Mizelli, Vorsitzender von Selbstbestimmt Leben Österreich (SLIÖ), seine Kritik zusammen und fügt an: „Wir stellen bei diesem Entwurf fest, dass alle Interessen anderer gesellschaftlicher Gruppierungen und Institutionen berücksichtigt wurden, unsere Forderungen aber kaum beachtet wurden und nur sehr rudimentär in den Entwurfstext Eingang finden.“
Dies ist nicht neu, das hat sogar die Bundesregierung in ihrem Regierungsübereinkommen erkannt, als angekündigt wurde: „Sicherstellung einer barrierefreien Nutzung bei Um- und Neubauten im gesamten öffentlichen Bereich inklusive des öffentlichen Verkehrs und der Verkehrsflächen und Ermöglichung eines barrierefreien Zugangs zum e-government und e-learning.“
Keine Anerkennung der Gebärdensprache
Kein einziger der vom Österreichischen Gehörlosenbund (ÖGLB) in die Stellungnahme des Forum Gleichstellung eingebrachten Vorschläge wurde vom Sozialministerium umgesetzt. Schlimmer wiegt aber noch, dass das Sozialministerium – angeblich auf Drängen des Bundeskanzleramtes – nicht einmal mehr die Anerkennung der Österreichischen Gebärdensprache in den Begutachtungsentwurf aufgenommen hat, obwohl diese Anerkennung in Vorentwürfen enthalten war.
„Der zweite Gesetzes-Entwurf ist eigenartigerweise noch leerer als der erste“ kritisiert Mag. Helene Jarmer, Präsidentin des ÖGLB, und hält fest: „Der ÖGLB lehnt den Gesetzesvorschlag grundsätzlich ab.“
Kein Recht auf Integration
Weiterhin liegt es bei den Betroffenen selbst (in diesem Fall bei den Eltern behinderter Kindern in Vertretung ihrer Kinder) diskriminierende Tatbestände aufzuzeigen, diese einzuklagen und darauf zu vertrauen, dass sich diese verändern. Außerdem beschränkt sich die Klagemöglichkeit nur auf Angelegenheiten seitens des Bundes. Da fast alle Schulen der Kompetenz der Länder unterliegen, wäre es für Eltern weiterhin im höchsten Maße ungewiss, ob ihre Klage tatsächliche Veränderungen mit sich bringt.
„Auch im Bildungsbereich bringt dieser Entwurf keinerlei Verbesserungen“, erläutert daher Irmgard Kurz, Vorsitzende von Integration:Österreich, und führt weiters aus: „Es werden damit nicht ein Mal diskriminierende Gesetzesstellen in Schulgesetzen repariert. Auch in Zukunft würden Eltern, die ihre behinderten Kinder in der Schule integriert haben möchten, nicht vor Diskriminierungen geschützt. Wir lehnen daher den Gesetzesentwurf ab.“
Keine Frauenspezifische Regelungen
„Frauenspezifische Forderungen – wie in den Stellungnahmen von SLIÖ und dem Forum Gleichstellung angeregt – sind im vorliegenden Begutachtungsentwurf wiederum nicht enthalten!“, kritisiert Klaudia Karoliny, Obfrau-Stellvertreterin der Selbstbestimmt-Leben-Initiative Linz. Sie fordert u.a. einen allgemeinen Frauenfördergrundsatz zu verankern.
Diskriminierende Gesetze bleiben unverändert
Ebenfalls seit 1999 gefordert und im Regierungsübereinkommen festgehalten ist die „Vorlage eines Bündelgesetzes“ mit dem diskriminierende Gesetzesstellen anderer Gesetze repariert werden.“
„Hier zeigt sich deutlich wie wenig der Bundesregierung Behindertengleichstellung ein Anliegen ist“ zeigt sich Manfred Srb (BIZEPS) nicht überrascht und hält fest: „Statt wie von uns vorgeschlagen diskriminierende Gesetze zu überarbeiten, werden sogar neue diskriminierende Gesetze beschlossen“.
Als Beispiel nennt er das e-Government-Gesetz, welches eine Bestimmung enthält, die duldet, dass neue Internetangebote bis 2008 nicht barrierefrei zugänglich sein müssen.
Keine Gleichstellung auf Länderebene?
„Die für behinderte Menschen so wichtigen Materien, wie etwa Baurecht, Schulrecht, Beförderungswesen, fallen jedoch überwiegend in Landeskompetenz und sind nun ausdrücklich vom Diskriminierungsschutz des Entwurfes nicht umfasst“ so Krispl.
Der bloße Hinweis in den Erläuterungen auf – vielleicht irgendwann – abzuschließende Vereinbarungen gem. Art. 15a B-VG ist völlig unzureichend für die Gewährleistung eines umfassenden österreichweiten Behindertengleichstellungssystems.
Von den Selbstbestimmt-Leben- und Integrationsbewegung wird festgehalten, dass eine Weiterarbeit ohne Einbeziehung der anderen Bundesministerien und der Bundesländer nicht zielführend ist.
Bundeskanzler Schüssel soll handeln
„Was vorliegt, ist ein ,Kümmergesetz“ sagt Dr. Michael Landau, Direktor der Wiener Caritas, und wirft Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel (ÖVP) mangelnde Initiative vor. Landau: „Der Bundeskanzler soll handeln“, denn das Behindertengleichstellungsgesetz sei „ein Stück Gesetzeslyrik ohne Präzision und ohne harte Kerne“.
Gerade die Wirtschaft könne von einem guten Behindertengleichstellungsgesetz profitieren, so Landau und fragt: „Warum soll dieser positive Effekt nicht auch in Österreich stattfinden?“
Eine Frage der Solidarität und der Vernunft
„Wenn die Gleichstellung behinderter Frauen und Männer der Republik Österreich mit Gemeinden, Ländern und dem Bund tatsächlich ein Anliegen ist, dann muss ein neuer Entwurf vorgelegt werden, einer der unsere Forderungen umsetzt“, fordert Mizelli.
Dieser Entwurf schließt behinderte Menschen in vielen Bereichen des täglichen Leben aus und setzt damit die Diskriminierung fort.
Dieser Entwurf erfüllt all das, was die Behindertenbewegung in den letzten Jahren gefordert hat zum überwiegenden Teil nicht. Das haben mittlerweile weite Teile der Behindertenbewegung mit Entsetzen erkannt.
„Wir erklären uns solidarisch mit den Organisationen und den Forderungen von BIZEPS, Selbstbestimmt Leben Österreich und dem Österreichischen Gehörlosenbund. Unser gemeinsames Ziel ist ein Gleichstellungsgesetz mit einklagbaren Rechten und kein Alibientwurf“, hält Integration:Österreich in einer Presseaussendung fest.
Vor diesen Hintergrund kann man wohl nicht erwarten, dass diesem Entwurf von Repräsentanten der Behindertenbewegung zugestimmt werden kann.
Wenn doch, wird die Glaubwürdigkeit all derer, die einst für diese berechtigten Forderungen eingetreten sind, grob fahrlässig aufs Spiel gesetzt.