Bundesgesetzblatt

Ernüchternde Expertenkommentare zum Pflegepaket

Vogt und Marin nehmen deutlich Stellung und zeigen Versäumnisse und Fehler auf.

Dr. Bernd Marin (Soziologe und Direktor des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung) sowie Dr. Werner Vogt (Unfallchirurg und Pflegeombudsmann beim Pflegetelefon des Sozialministeriums) gehen in Zeitungskommentaren mit dem kürzlich im Parlament beschlossenen Pflegepaket hart ins Gericht.

In einem Kommentar „3,48 Euro pro Stunde“ vom Standard am 10. Juli 2007 erinnert Marin daran, „dass es ‚Schwarzmarkt‘ nur deshalb gibt, weil wir ‚Ausländer raus‘-halten, aber zugleich dringend brauchen; weil Gemeinden und Länder grob säumig und ihre legalen Angebote, vor allem an Heimhilfe, völlig unzureichend sind; und weil wir Rund-um-die-Uhr-Beistand daheim bis her untersagten – und ab Juli stark verteuern.“

Die Vorgangsweise der Regierung sieht er negativ, wenn er beispielsweise meint: „Anstatt die Nachfrage durch höheres Pflegegeld zu stärken und den Markt wirken zu lassen, wo er wirkt, und zu ergänzen, wo er versagt, verbrennen wir öffentlich knappes Geld, indem wir Arbeit erst verteuern, dann die Verteuerung für vorerst 13 Prozent (später 45 Prozent?) der Betroffenen befristet teilsubventionieren – aber nur gegen unsinnige Auflagen wie die Diskriminierung der preisgünstigsten Variante selbstständiger Anbieter, wodurch auch die Familien ‚brennen‘ und eine unzumutbare Arbeitgeberrolle übernehmen müssen.“

„Aufgezwirbelter Schwachsinn!“

Einige Details stören ihn besonders, beispielsweise die vorenthaltene Förderung bei selbstständiger Pflege: „Wir hören auf lebensfremde Moralisten und Juristen, die allen Ernstes behaupten, Heimpfleger, Altenbetreuer/innen oder Behindertenassistenten könnten – im Gegensatz zu Hebammen, Heilmasseuren, Tagesmüttern usw. – nur ‚unselbstständig‘ oder ’scheinselbstständig‘ tätig werden. Aufgezwirbelter Schwachsinn!“

Fast schon resignierend hält er fest: „Uns ist nicht zu helfen, es sei denn, wir helfen einander und uns selbst, wie die Selbstbestimmt-leben-Bewegung von Menschen mit Behinderung oder die Familien Fischer, Schüssel und Einem – bei deren Betreuerinnen wir durchwegs Arbeitsgenehmigungen annehmen.“

„Angeblich“

Auch Vogt ist durchwegs skeptisch. „Vergangene Woche wurde angeblich die illegale 24 Stunden Pflege, die so genannte ‚Böhmische Lösung‘, beseitigt. Zwar nicht für all jene, die sie wollen oder brauchen, denn der Bund zahlt nur ab Pflegestufe 5 dazu und was er dann zahlt ist viel zu wenig“, schreibt er in einem Kommentar mit dem Titel „Pflegenotstand“ für den Kurier am 11. Juni 2007.

„Die beiden verantwortlichen Minister“, so Vogt weiter“, der eiskalte Bartenstein und der bemühte Buchinger, können reden was sie wollen, das Parlament kann beschließen was es will, solange vom zugemessenen Pflegegeld nur Stundenlöhne an Pflegerinnen von 2,80 bis 6,13 Euro bezahlt werden können, werden weder Caritas noch Volkshilfe eine Hilfe schicken, denn um diesen Hungerlohn pflegt keine Inländerin. Schon gar nicht 24 Stunden.“

„Gewusst haben es immer alle.“

Besonders die Scheinheiligkeit störe ihn. „Gewusst haben es immer alle. Toleriert immer alle Parteien, die an der Macht waren. Die rote Stadträtin von Wien genauso wie der schwarze Landeshauptmann von NÖ. Sie alle haben das Maul gehalten, weil die illegale Pflege auch für die Politik die beste, weil billigste Lösung war. Daher wurde geschwiegen, übersehen, notfalls gelogen. Siehe Kanzler Schüssel: Sieht keinen Pflegenotstand, aber die Schwiegermutter in bester Schwarzarbeiterhand.“

Doch „so verlogen wie es Jahre vor dem spät gestandenen Pflegenotstand zuging, so verlogen geht es weiter,“ befürchtet er: „Denn die illegale 24 Stunden Pflege ist das kleinste aller Pflegeprobleme im Land. Wer sie hat, hat das was er sich leisten kann und ist damit auch noch zufrieden. Was die Regierung dagegensetzt ist unzureichend, nicht praktikabel. Ist bürokratisch angelegt und geizig zugleich. Ist ungerecht.“

Bund übernimmt die volle Zuständigkeit

Auch wenn sein Vorschlag zur Lösung des Kompetenzstreitereien nicht neu ist, so würde es sich lohnen, Energie in die Umsetzung zu investieren. Vogt schlägt abschließend vor: „Grundrecht auf Pflege in der Verfassung, der Bund übernimmt die volle Zuständigkeit, alle Kosten und holt sich das Geld mit einer 0,5-prozentigen Anhebung der Vermögenssteuer.“

Wahrscheinlicher ist aber, dass Kleinigkeiten am beschlossenen Pflegepaket geändert werden und alle feiern, wie toll es ist. In Wirklichkeit bringt es keine Veränderungen und Vogt schreibt in zwei Jahren wieder: „Gewusst haben es immer alle. Toleriert immer alle Parteien, die an der Macht waren …“

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0 Kommentare

  • Lieber Herr René Schindler, wer schaut auf jene Pflegenden (zumeist ÖsterreicherInnen), die bei ihren schwer behinderten, langzeit- pflegebedürftigen Angehörigen bis zu 24 Stunden, bis zu 365 Tage, tatsächlich hochqualifizierte Pflegeleistungen (immer schon völlig legal) erbringen, die man/frau auf Jahrzehnte aushalten MUSS!
    In welchen harten Arbeitssituationen noch viel „gröberes Unrecht“ liegt, als in sämtlichen gewohntermaßen ausbeuterischen Pflegeberufen, ist den Interessenvertretungen arbeitender Menschen bisher völlig entgangen? Eine Gewerkschaftsbewegung, die sich spitzfindigerweise über „Scheinselbständigkeit“ echauffiert, jedoch nicht den ausgebeutetsten Mitmenschen beisteht, gibt jeden solidarischen Standard und sich selbst auf.
    Der gordische Pflegeknoten kann erst dann zerschlagen werden, wenn eine Gesellschaft sich ihrer Verantwortung solidarischen Tragens dieser Lasten besinnt und die ethische Grundsatzentscheidung trifft, menschliches Leid nicht weiter einer menschenverachtenden Ökonomisierung zu unterjochen. Pflege- und Assistenzleistungen müssen, egal von wem und wo erbracht, gleichermassen angemessen entlohnt werden (können).

  • Sehr geehrter Herr Prof. Marin! „Notleidende können das nur als Hohn auf ihre Schmerzen und Sorgen empfinden.“ . Als Betroffener (Schwerstbehindert seit mehr als drei Jahrzehnten) haben mir Ihre Ausführungen sehr wohlgetan! Ich bitte nur zu bedenken, dass mit der Schwere eines Falles auch der Pflege-und BETREUUNGS- Aufwand steigt; was für einen Fall der PG-Stufe 7 mit ca. mindestens 500 Stunden und einem PG von EUR 1.561,20 auch nur einen „horrenden“ Stundensatz von EUR 3,12 ergibt! Und das bei einem Wertverlust von 16-18%, wie mehrfach genannt.
    Da ist auch die sogenann-te 24-Stundenpflege daheim keine Lösung. Wenn manche ältere Men-schen am Ende ihres Daseins für mehrere Jahre wegen Gebrechlichkeit, Krankheit, Demenz, etc. pflege- und betreuungs-bedürftig werden, so trifft dies bei jüngeren Behinderten für mehrere Jahrzehnte zu!!Mit einer einer besseren Finanzie-rung wären auch andere, Betreuungsmodelle möglich (u.a. http://www.daheim-statt-heim). Ich sehe einer Antwort mit Interesse entgegen und verbleibe mit freundlichen Grüsse

  • Es ist erschreckend wie wenig die Politiker von dem Thema und den riesigen Unterschieden von Hilfebedürftigkeit verstehen. Noch erschreckender ist, mit welchem vermeintlichen Wissen sie darüber sprechen. Da hat der Herr Minister einen geistig retardierten Sohn und glaubt, er wisse deshalb über alles Bescheid. Oder ein Landeshauptmann, weil er eine bestimmte Person helfend betreut hat. Oder eine Schulpsychologin, weil sie zwei Jahre eine demente Mutter hat. Diese Herrschaften wissen gar nichts, was es heißt, über Jahrzehnte versorgt zu werden und schon überhaupt nichts eine fortschreitende Behinderung bis zur völligen Bewegungsunfähigkeit zu haben. Es sind nur ein paar tausend dieser Menschen und die empfinden diese Art von Arroganz und Anmaßung als Schlag ins Gesicht betrachten.

  • Und dennoch: Wir müssen auch auf die PflegerInnen schauen! Sie müssen unter Bedingungen arbeiten, die auch für ÖsterreicherInnen vertretbar sind und die man/frau auf Dauer aushält. Marin schreibt leider selbst „aufgezwirbelten Schwachsinn“: Zwischen hochqualifizierten Hebammen, die für viele Schwangere arbeiten, die sich´s auch leisten können (echter „Markt“) und einer slowakischen Hausfrau ohne jede Qualiikation, die bei ihrem ö „Auftraggeber“ wohnt und von diesem/r abhängig ist, liegen Welten!

    Es hat keinen Sinn, nun ausbeuterische Verhältnisse zu verlängern! Einmal, weil die pflegebedürftigen Menschen bzw ihre Angehörigen „übrig bleiben“, wenn die Schein-Selbständigkeit auffliegt. Zweitens, weil der Zustrom aus den Nachbarländern – zu solchen Bedingungen – bald versiegen wird. Drittens aber auch, weil es grobes Unrecht ist, nun wieder Frauen und AusländerInnen in eine Arbeitssituation zu bringen, die Inländer und insb Männer für sich selbst nie akzeptieren würden!

    Wenn man liest, wie wenig Geld eine ordentliche Föderung pflegebedürftiger Menschen (inkl ordentlicher Bezahlung der PflegerInnen) kosten würde, im Vergleich zu Jagdbombern, abgeschafften Steuern usw kann man nur sagen: Eine Gesellschaft, die es sich nicht leisten will (!), ihren alten und pflegebedürftigen Mitmenschen beizustehen, gibt jeden ethischen Standard und sich selbst auf!

  • Sehr geehrte Frau Herdlicka, es gibt immer mehr „zornige“ Leute!

  • Ich pflege selbst meinen Mann nach einem schweren Schlaganfall sei 3 Jahren. Bin inzwischen vor lauter Erschöpfung auch schon krank geworden.
    Wenn ich die Pflegediskussion höre, steigt der reine Zorn in mir auf. Für die pflegenden Angehörigen gibt es wieder praktisch 0 Hilfe. Was soll ich mit den angebotenen Modellen, wenn für 2 Tage in der Woche (da arbeite ich) Betreuung brauche? Mein Mann kann keine 1/2 Stunde alleine gelassen werden, daher bin ich auf die selbstlose Hilfe meiner Mutter oder schwarz bezahlte Arbeitskräfte angewiesen. Wenn man eine der Pflegeorganisationen engagiert, ist es 1. sehr teuer, 2. kommt immerwieder wer anderer, das bedeutet jedes Mal komplizierte Erklärungen und Einführungen und dann geht trotzdem die Hälfte daneben.Das ist für die hohen Kosten absolut nicht befriedigend.
    Als pflegender Angehöriger braucht man die Möglichkeit ZUVERLÄSSIGE Pflege tage oder halbtageweise zu engagieren (man hat schließlich auch Besorgungen und Wege, die derzeit nur nach Absparache mit meiner Mutter mühsam erledigen kann). Die bestimmungen und Angebote werden von Leuten gemacht, die keine Ahnung von der Praxis haben, sind teuer und inadäquat. Ich würde gern einmal bei der Pflegediskussion auch einmal die wirklich Betroffenen zu Wort kommen sehen, nicht nur die Vertreter diverser Organisionen, die nut eigene Interessen wahrnemen wollen.
    Die derzeit diskutierten Bestimmungen, wo es ja nur um die 24 Stunden Plege geht, sind einfach ein Hohn für alle, die ihre Kräfte bis zur Erschöpfung einsetzen