Erste Bodensee-Tagung der Fachleute für behindertengerechtes Bauen in St. Gallen

Behindertengerechtes Bauen ohne Grenzen

Inistitut für Sozialdienste
IFS

Heißt es barrierefrei, menschengerecht oder behindertengerecht, wenn ein Haus oder eine Anlage so gebaut sind, dass auch Menschen mit einer Behinderung sie benützen können? Fachleute für behindertengerechtes Bauen aus dem Bodenseeraum trafen sich, um Wissen auszutauschen – und um später allenfalls einmal gemeinsam vorzugehen.

Gesetzt den Fall ein Mann mit einer Sehbehinderung möchte die Bregenzer Festspiele besuchen. Eine Frau im Rollstuhl möchte auf den Säntis fahren. Oder jemand mit einer Gehbehinderung will die Otto-Dix-Ausstellung in Ravensburg besuchen. Geht das?

Wer weiß schon, welche Touristenattraktionen im jeweils anderen Land behindertengerecht ausgebaut sind? Wer weiß, wo Behindertenparkplätze oder Begleitdienste für Behinderte vorhanden sind? Behinderte rund um den Bodensee leben im gleichen Raum. Die Informationen, die für ihre Mobilität wichtig sind, haben sie nicht.

Das geht nicht nur den Betroffenen so, sondern auch den Fachleuten. Am Freitag fand in St.Gallen eine Tagung für behindertengerechtes Bauen im Bodenseegebiet statt. Die zuständigen Fachleute trafen sich, um sich erstmals überhaupt über die Situation des behindertengerechten Bauens in ihrem Land zu informieren.

Den Impuls für die Tagung gab Markus Alder, Leiter der Bauberatungsstelle von Procap St.Gallen-Appenzell. Für die Durchführung der Tagung musste sich Alder typischerweise in Zürich nach den Parallelinstitutionen in Deutschland und Österreich erkundigen. „Wir wissen sehr viel darüber“, so Alder, „was in Genf oder im Wallis geschieht.“ Ihn interessierten die Verhältnisse in Vorarlberg und Süddeutschland viel mehr.

„Alle sind Nutzniesser“
An der Tagung beurteilte Markus Alder die gesetzlichen Grundlagen, die beispielsweise im Kanton St.Gallen vorhanden sind, als nicht schlecht. Die Beratungsstelle prüft die meisten Baugesuche. Die Gemeinden sind allerdings nicht verpflichtet, die Gesuche vorzulegen. Vor allem bei der Umsetzung der Empfehlungen konstatierte Alder teilweise Mängel. „Eine Kontrolle fehlt.“

Ähnlich sieht es in Deutschland aus. Dort soll zwar Anfang nächsten Jahrs eine neue Din-Norm in Kraft treten. Sie wird alle bisherigen Normen zusammenfassen und zudem den Anliegen der Sinnesbehinderten stärker Rechnung tragen. Gemäss den Normen ist in Deutschland das barrierefreie Bauen bei Bauten und Wegen der öffentlichen Hand Vorschrift. Der ganze private Wohnungsbau ist jedoch ausgenommen. „Unser starkes Anliegen ist es, dass die Normen auch auf Mietwohnungen ausgedehnt werden“, so Ulrike Werner, Leiterin der Wohnberatungsstelle in Radolfszell, an der Tagung. Nachträgliche Wohnanpassungen seien negativ und teuer.

Österreich hat ähnliche gesetzliche Normen wie die Schweiz. Hermann Mayer, Leiter der Beratungsstelle Menschengerechtes Bauen beim Institut für Sozialdienste in Götzis, ist allerdings kein Verfechter ausgedehnter Gesetzesbestimmungen. Wichtig sei eine breite Sensibilisierung der Öffentlichkeit. „Wer nicht überzeugt ist, findet nur, ich hätte ihm höhere Kostenauflagen gemacht.“ Der Begriff menschengerechtes Bauen ist absichtlich weit gewählt: „Wenn menschengerecht gebaut wird, sind alle Nutzniesser, nicht nur Betagte, Behinderte und Kinder“, so Mayer.

Barrierefreies Bauen auszeichnen
Es ist die Absicht der Fachleute, es nicht beim ersten Treffen zu belassen, sondern die Initiative weiterzuführen. Beispielsweise könnte das Qualitätssiegel für betreutes Wohnen, wie es in Deutschland bereits besteht, auf weitere Bereiche und Länder ausgeweitet werden.

Ing. Hermann Mayer vom IfS schlug einen Preis für menschengerechtes Bauen in allen drei Bodensee-Ländern sowie länderübergreifende Seminare für Handwerker vor. Ausserdem könnte eine gemeinsame Internetplattform mit Informationen für Behinderte geschaffen werden. Dies mit dem Ziel den Erholungsraum Bodensee verstärkt auch Behinderten zugänglich zu machen.

„Grenzen werden immer unwichtiger“
Mit seinem Anstoss zur Tagung hatte der Schweizer Bauberater Markus Alder nicht zuletzt auch den freien Personenverkehr im Auge, der für die Schweiz voraussichtlich ab dem Jahr 2007 gilt. „Ich bin überzeugt, dass die Grenzen zwischen den Ländern im Bodenseeraum immer unwichtiger werden“, sagte Alder.

Die Tagung soll nachträglich von der Region Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein finanziert werden. Voraussetzung ist, dass die Initiative eine Fortsetzung findet. In St.Gallen haben die Bauberater der Gründung einer Interessengemeinschaft im Grundsatz zugestimmt. Einen Vorteil darin sähe Hermann Mayer auch für sich selber: „Für die Fachleute ist es gut, sich nicht immer als Einzelkämpfer zu fühlen.“

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