Erwachsenenschutzgesetz: Weitreichende Selbstbestimmung und gestärkte Rechte

Das 2. Erwachsenenschutzgesetz und die Novelle zum Heimaufenthaltsgesetz wurden am 30. März 2017 vom Nationalrat und am 6. April vom Bundesrat einstimmig beschlossen.

Wolfgang Brandstetter
Norbert Krammer

In der engagierten Debatte im Nationalrat sprachen PolitikerInnen von einem Paradigmenwechsel, der durch das Erwachsenenschutzgesetz erreicht werden soll. Und tatsächlich wird durch die Stärkung der Selbstbestimmung vom aktuell vorhandenen Fürsorgegedanken weitgehend abgegangen.

Eine neue Ära wird eingeleitet

Dies zeigt sich besonders deutlich dadurch, dass entgegen der bisherigen Sachwalterschaft zukünftig nicht mehr automatisch, sondern nur in begründeten Einzelfällen, befristet eine Einschränkung der Geschäftsfähigkeit erfolgen kann. Ein erleichterter Zugang zu Vertretungsmodellen und deren Stufenbau unterstützen ebenfalls die Selbstbestimmung aller Menschen. Ein wichtiges Element der UN-Behindertenrechtskonvention wird damit umgesetzt.

Stufenmodell für Vertretungsformen

Die positiven Erfahrungen mit professionellem Clearing münden nun in einer verpflichteten Abklärung durch Erwachsenenschutzvereine bei jedem Verfahren. Es gilt, Alternativen zu finden, zu unterstützen und die Weichen für eines der vier Vertretungsmodelle zu stellen:

  1. Die bisher schon mögliche Vorsorgevollmacht.
  2. Die gewählte Erwachsenenvertretung, ein neues Element selbstbestimmter Unterstützung.
  3. Die gesetzliche Erwachsenenvertretung, wobei hier die bisherige rechtliche Vertretung durch die nächsten Angehörigen neu aufgesetzt und um Pflichten der Berichterstattung ergänzt wird.
  4. Die gerichtliche Erwachsenenvertretung ohne Einschränkung der Geschäftsfähigkeit als stark verbessertes Nachfolgemodell der bisherigen Sachwalterschaft. Bei ernstlicher und erheblicher Gefahr kann das Gericht ausnahmsweise einen Genehmigungsvorbehalt anordnen und damit in die Selbstbestimmung eingreifen.

Diese vier Bereiche stellen die Stufen der Selbstbestimmung dar:

  • Bei der Vorsorgevollmacht wird selbst und frei eine Vollmacht erteilt.
  • Die gewählte Erwachsenenvertretung erfordert die Fähigkeit den Vertreter frei auszuwählen.
  • Bei der gesetzlichen Erwachsenenvertretung entscheidet der Angehörigenstatus über die Vertretungsmöglichkeit.

Diese drei Vertretungsformen werden erst durch Registrierung im ÖZVV gültig.

  • Die gerichtliche Erwachsenenvertretung darf nur mehr als letztes Mittel bei Fehlen anderer Alternativen eingesetzt werden. Es wird Befristungen geben, so endet beispielsweise eine gerichtliche Erwachsenenvertretung immer spätestens nach 3 Jahren, kann aber durch ein Erneuerungsverfahren mit neuerlicher Abklärung verlängert werden. Gerichtliche Kontrollen werden weiter bestehen bzw. sogar neu eingeführt, wenn beispielsweise auch Angehörige als gesetzliche Erwachsenenvertreter Lebenssituationsberichte jährlich dem Gericht übermitteln müssen.

Rechtsschutz für Kinder und Jugendliche

Mit dem Erwachsenenschutzgesetz beschloss das Parlament auch eine Novelle des Heimaufenthaltsgesetzes. Dies beinhaltet eine Ausweitung des Geltungsbereiches auf alle Kinder- und Jugendlichen, die in Einrichtungen leben. Damit finden die vorgesehenen Melde- und Überprüfungsmechanismen bei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen endlich auch hier Anwendung. Die Notwendigkeit der unabhängigen Kontrolle war im Vorfeld in den Grundzügen nicht strittig.

Die vor Beschlussfassung aufgetretenen Unstimmigkeiten wegen der Finanzierung führten dazu, dass die Novelle kurzfristig abgesetzt wurde.

Lobbying von NGOs und der Volksanwaltschaft sowie der Einsatz von Politikerinnen und Politiker, in Verbindung mit aktuell aufgetretenen öffentlichen Diskussionen über Missstände in Jugendeinrichtungen, führten letztendlich zu einem „guten Ende“ und parlamentarischer Beschlussfassung.

Umsetzung durch Finanzierung ermöglichen

Die erste und gleichzeitig entscheidende Hürde auf dem Weg der Umsetzung des Gesetzes wird die ausreichende Finanzierung für die Gerichte und für die Erwachsenenschutzvereine sein. Hier gab es bis zuletzt Bedenken von vielen Seiten.

Justizminister Brandstetter versicherte im Rahmen der parlamentarischen Debatten, dass für die Umsetzung der beiden Gesetzesvorhaben die Finanzierung sichergestellt ist. Der Realitätscheck wird ab Sommer 2018 folgen und es bedarf für eine geglückte Umsetzung noch einiger Anstrengungen und laufender Ressourcen.

Die einstimmigen parlamentarischen Beschlüsse verbreiten für eine Einschätzung viel Optimismus, der hoffentlich weiter anspornt.

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Ein Kommentar

  • Ein gelungenes Werk der Gesetzgebung mit Betroffenenbeteiligung