Am 11. und 12. März 2025 prüfte der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen die Europäische Union hinsichtlich der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Bereits im Vorfeld der Überprüfung machten Behindertenorganisationen auf verschiedene Problematiken aufmerksam. Ein großer Kritikpunkt war die Verwendung von EU-Fördermitteln für institutionelle Einrichtungen.

Am 23. Dezember 2010 hat die EU die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Das bedeutet, dass nun nicht nur einzelne EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich der Umsetzung überprüft werden, sondern auch die EU selbst.
Im Mittelpunkt steht die Frage, inwieweit die EU ihre Verpflichtungen aus der Konvention erfüllt. Während der zweitägigen Überprüfung fand ein Dialog mit offiziellen Vertreter:innen der EU statt. Die Bewertung des Ausschusses soll Problematiken, Fortschritte und weitere Herausforderungen in der Europäischen Behindertenpolitik sichtbar machen.
Mit EU-Geldern geförderte Institutionen
Ein Teil der Überprüfung besteht darin, dass verschiedene Behindertenorganisationen Berichte einreichen, die als Grundlage für eine Fragenliste dienen, die von der Europäischen Kommission beantwortet werden muss. Im Zuge dessen können Organisationen wie das European Network on Independent Living (ENIL) Problematiken und Kritikpunkte aus ihrer Sicht schildern.
Ein großer Kritikpunkt, den ENIL in seinem Schattenbericht darlegt, ist die fortwährende Verwendung von EU-Geldern für Institutionen wie Heime, geschützte Werkstätten oder Sonderschulen.
In einem Interview zur Überprüfung der EU machen Rita Crespo und Florian Sanden von ENIL erneut auf die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen in von der EU geförderten Einrichtungen aufmerksam.
Geschildert wird das Schicksal eines autistischen Mannes, der im Laufe seines Lebens in verschiedenen Institutionen lebte und dort massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt war. So bekam er gegen seinen Willen Medikamente und ihm wurde körperliche Gewalt angedroht. Die traumatischen Erfahrungen führten zu mehreren Selbstmordversuchen.
Das Schicksal des Mannes ist leider kein Einzelfall – BIZEPS berichtete bereits mehrfach über schreckliche Zustände in Einrichtungen. Auch in Österreich gibt es Heime, die durch EU-Gelder gefördert werden.
In einem Bericht des Österreichischen Behindertenrates ist von 3,2 Millionen Euro an EU-Fördermitteln die Rede, die für Renovierungen und Neubauten von Behinderteneinrichtungen verwendet wurden.
Behindertenrat-Präsident Klaus Widl wies am 23. Mai 2023 beim 5. Europäischen Parlament der Menschen mit Behinderungen im Europäischen Parlament darauf hin, dass in der Europäischen Union mit öffentlichen Geldern soziale Ausgrenzung gefördert werde. „Immer wieder werden Um- und Neubauten von Heimen und sonstigen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen finanziert anstatt bedarfsgerechte, gemeindenahe und inklusive Unterstützungsleistungen zu fördern“, zeigte Widl auf.
Systematische Überprüfungen und Kontrollen der Einhaltung der Vorgaben und entsprechende Sanktionen seien daher zwingend notwendig, so Widl, der dringendst dazu aufforderte, diese auf allen Ebenen einzuführen.
Förderung von Institutionen muss ein Ende haben
Am 11. März 2025 veröffentlichte der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen seine Empfehlungen zum Vorgehen der EU im Hinblick auf die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Der Ausschuss äußerte seine Besorgnis darüber, dass EU-Mittel weiterhin für den Bau und die Instandhaltung institutioneller Einrichtungen, einschließlich kleiner Gruppenheime, in den Mitgliedstaaten verwendet werden.
Zudem stellte der Ausschuss fest, dass die derzeitigen Systeme zur Überwachung der Verwendung von EU-Mitteln durch die Mitgliedstaaten nicht ausreichend gewährleisten, dass die Verpflichtungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention eingehalten werden.
Die Investitionsmaßnahmen der EU seien nicht ausreichend auf die Entwicklung von Unterstützungsangeboten in der Gemeinschaft ausgerichtet.
Der Ausschuss empfiehlt sicherzustellen, dass die EU-Gesetzgebung, -Politik, -Programme und -Leitlinien zur unabhängigen Lebensführung in vollem Einklang mit den Anforderungen der Konvention stehen und dass keine EU-Mittel mehr für den Bau oder die Instandhaltung institutioneller Einrichtungen, einschließlich kleiner Gruppenheime, verwendet werden.
Es müsse zudem gewährleistet werden, dass die Überwachungsmechanismen für die Zuweisung von EU-Mitteln verbessert werden, indem die EU die Unabhängigkeit der Überwachungsausschüsse auf nationaler Ebene stärkt.
Es soll sichergestellt werden, dass die Überwachung der Zuweisung von EU-Mitteln für behinderungsspezifische Zwecke durch nationale Menschenrechtsorganisationen sowie durch Menschen mit Behinderungen und deren Vertretungsorganisationen erfolgt.
Menschen mit Behinderungen und ihre Vertretungsorganisationen sollen die Möglichkeit haben, rechtlich gegen die Zuweisung von EU-Mitteln durch Mitgliedstaaten vorzugehen, wenn diese gegen die Konvention verstoßen.
Die Kritikpunkte des UN-Ausschusses und der Behindertenorganisationen zeigen, dass es noch zahlreiche Baustellen und erheblichen Handlungsbedarf in der EU-Behindertenpolitik gibt.
Die Handlungsempfehlungen des UN-Ausschusses an die EU finden Sie auf der Seite des UN-Ausschusses zu Prüfungen.
Volker Schönwiese,
14.04.2025, 11:42
Nur zur Ergänzung (weil es nicht erwähnt wird): SLIÖ (Selbstbestimmt Leben Österreich) hat gemeinsam mit ENIL (Europäisches Netzwerk Selbstbestimmt Leben) drei offizielle Beschwerden zur missbräuchlichen Verwendung von EU Geldern für aussondernde Behinderteneinrichtungen eingebracht – siehe z.B.:
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20221103_OTS0056/rechte-von-behinderten-kindern-werden-in-oesterreich-ignoriert
Volker Schönwiese
Klaudia Karoliny,
14.04.2025, 11:01
Was ich weiß, war neben ENIL diesbezüglich auch Selbstbestimmt Leben Österreich (SLIÖ) maßgebend beteiligt, was das Aufzeigen der Machenschaften anging, dass EU-Gelder missbräuchlich verwendet werden und wurden. Die Umgestaltung großer Heime auf kleine ist mit diesen Geldern nicht gemeint!