Eugenisches Österreich

Das Recht, ungewollte behinderte Kinder bis zur Geburt abzutreiben, gehört abgeschafft - das würde auch eine Lösung für Schadensersatzansprüche ermöglichen: Zur Geburt des behinderten Emil. Ein Kommentar für die Presse.

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Emil hat das Licht der Welt erblickt! Keine Selbstverständlichkeit, denn seine Eltern wussten bereits während der Schwangerschaft, dass er ein offenes Rückenmark hat und dadurch mit einer Behinderung leben wird müssen. Die mutigen Eltern haben sich nicht nur für das Leben ihres Sohnes entschieden, sondern auch in seinem Namen für ein würdevolles Leben geklagt.

Diese Klage ist ganz entscheidend, da bei der Geburt behinderter Kinder die Würde zunehmend in Frage gestellt wird: Im Gegensatz zu gesunden Kindern darf bei Verdacht auf eine Behinderung über die Dreimonatsfrist hinaus bis zur Geburt abgetrieben werden.

Die Eugenische Indikation ist besonders ab der 22. Lebenswoche des Embryos, ab der er überlebensfähig ist, ethisch und vor dem Hintergrund der Menschenrechte unerträglich. Mehrere OGH-Urteile sprachen Eltern hohe Schadensersatzsummen zu, nicht weil das behinderte Kind gestorben ist, sondern weil es zur Welt kam. Damit wird die gesamte Existenz behinderter Menschen in Frage gestellt.

OGH-Urteile mit abartigen Folgen

Die Fristenregelung ist nicht in Frage zu stellen, sehr wohl jedoch die Eugenische Indikation in § 97 StGB, wonach bei Verdacht auf eine „schwere Behinderung“ bis zur Geburt abgetrieben werden darf. Abgesehen von der ethisch-moralischen Bedenklichkeit erheben zwei OGH-Urteile die Straffreiheit der pränatalen Tötung zu einer Art Rechtsanspruch.

Wegen nicht umfassender Beratung im einen, dem Übersehen einer möglichen Behinderung bei der Pränataldiagnostik im anderen Fall wurden beiden Familien Schadensersatzansprüche zugesprochen – in einem Fall bis hin zur gesamten Lebensexistenz des behinderten Kindes.

Diese Urteile haben abartige Folgen. Eltern, die zum behinderten Kind stehen, es auch bei Kenntnis einer Behinderung nicht abtreiben und daher keinen Schadenersatz geltend machen, erhalten bedeutend weniger Geldmittel. Im Gegensatz zu diesen Urteilen lehnte der OGH einen Schadenersatz für ein ungewolltes nicht behindertes Kind ab, obwohl dieses nach einer Sterilisation gezeugt wurde und offensichtlich ein Beratungsfehler des Arztes vorlag.

Diese OGH-Urteile führen zu Wertungen, die keinem Richter zustehen: Das Kind ohne Behinderung darf jedenfalls leben, das Kind mit Behinderung hätte nicht leben dürfen. Weil es aber lebt, gibt es Schadenersatz. Spätabtreibungen werden weiter steigen, da Ärzte aus Angst vor Schadensersatzansprüchen alles Erdenkliche unternehmen, um den geringsten Verdacht einer Behinderung auszuschließen, viele raten schon bei einer kleinen Unsicherheit zur Abtreibung.

Dies trifft bei einer Risikoschwangerschaft (z. B. ab dem 35. Lebensjahr der Frau) nochmals stärker zu. Von guter Hoffnung, wie man früher die Schwangerschaftszeit umschrieb, ist keine Rede mehr. Eine Nicht-Abtreibung wird ob der Kosten als unverantwortlich gegenüber der Gesellschaft dargestellt, oder den Eltern wird dringend nahe gelegt, sich „das doch nicht anzutun“.

Durch die Hintertür ist nicht nur ein Recht auf ein gesundes Kind entstanden, nein, noch viel mehr, eine mehr oder weniger deutlich ausgesprochene Pflicht, nur einem Kind ohne Behinderung das Leben zu schenken. Wenn man bedenkt, dass nur ein bis drei Prozent aller Behinderungen pränatalen Ursprungs sind, mutet diese Selektion noch absurder an.

Insgesamt führt dies unweigerlich nicht nur zur Hinterfragung der Lebensberechtigung eines vor der Geburt behinderten Kindes, sondern auch jener von Menschen mit Behinderung insgesamt.

Wer mag hier eine Grenze ziehen? Während in Österreich dringender politischer Handlungsbedarf bei „Wrongful Birth“ vorherrscht, hat man in Frankreich und Deutschland die Problematik unterschiedlich gelöst. In Frankreich wurde nach dem Fall Perruche das Schadensersatzrecht dermaßen adaptiert, dass bei der Geburt eines ungewollten behinderten Kindes kein Schadensersatzanspruch besteht.

Ausgenommen sind Fälle, wo ein ärztlicher Behandlungsfehler vorliegt. Man wollte gleiche Rechte schaffen und setzte auf den Ausbau von unterstützenden Integrationsmaßnahmen für alle behinderten Menschen.

Vorbilder Deutschland und Frankreich

In Deutschland wurde die Eugenische Indikation gestrichen. Spätabtreibungen sind nach wie vor möglich, fallen aber unter die Medizinische Indikation, eine Regelung, wie es sie auch im österreichischen Gesetz gibt. Der Unterschied: Nicht die Existenz des möglichen behinderten Embryos ist der Abtreibungsgrund, sondern die physische und psychische Überforderung der schwangeren Frau.

Die Geburt eines Kindes mit z. B. Down-Syndrom bringt keinen Schadensersatzanspruch mit sich. Alle diesbezüglichen Klagen wurden abgewiesen, da kein Recht mehr auf die Geburt eines nicht behinderten Kindes besteht, das Lebensrecht des Embryos in den Vordergrund gerückt ist.

In Österreich steht die Eugenische Indikation im Widerspruch zu Art. 7 der Bundesverfassung, wonach „niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf“. Durch die Streichung dieser Bestimmung könnte auch in Österreich eine Lösung für Schadensersatzansprüche mit Augenmaß erfolgen. Zudem braucht es eine Änderung im Schadensersatzrecht ähnlich dem französischen Modell. Nur so kann behinderten Babys eine würdevolle Geburt gesichert werden.

Hier Regelungen zu finden muss Aufgabe der nächsten Regierung sein!

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