Fantastisch, etwas geschafft zu haben, was einem niemand zugetraut hat

kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul führte mit Martin Ladstätter anlässlich des 30jährigen Jubiläums des Starts der Peer Counseling Beratung in Österreich am 12. März 1992 folgendes Interview.

Martin Ladstätter
BIZEPS

„Es ist fantastisch, wenn wir – oft auch erst nach einiger Zeit – Rückmeldungen von Beratungskundinnen und -kunden bekommen, dass sie jetzt etwas geschafft haben, was ihnen niemand zugetraut hat.“

So bringt Martin Ladstätter vom Zentrum für Selbstbestimmtes Leben in Wien die Faszination des Peer Counseling auf den Punkt.

kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul führte mit ihm anlässlich des 30jährigen Jubiläums des Starts der Peer Counseling Beratung in Österreich am 12. März 1992 folgendes Interview.

kobinet-nachrichten: Vor 30 Jahren, am 12. März 1992, war für Sie und die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung in Österreich ein großer Tag. Was war damals los?

Martin Ladstätter: Seit 1990 war BIZEPS eine Selbsthilfegruppe. Dann erkannten wir, dass jede und jeder von uns Wissen besitzt, das es wert ist, weitergegeben zu werden. Erstmal haben wir uns nur gegenseitig ausgetauscht. Daraus entstand die Idee ein Peer-Beratungszentrum zu gründen.

Bei der kleinen aber feierlichen Eröffnung am 12. März 1992 wurde ein Ausschnitt aus dem Film „Aufstand der Betreuten“ von Adolf Ratzka gezeigt und es gab auch eine Lesung von Ursula Eggli aus der Schweiz.

Bemerkenswert war damals, dass wir von einem Behindertenheim aus gestartet haben. Das heißt, wir haben aus einem Behindertenheim heraus beraten, wie man selbstbestimmt lebt. Am Anfang waren wir nur 4, 5 BeraterInnen, aber wir sind sehr schnell bekannt geworden, weil wir einen großen ORF-Bericht zur Eröffnung bekommen haben. Daraufhin hat faktisch der Anrufbeantworter in den ersten Wochen geglüht. Das war dann quasi unser Sprung in die Peer-Beratung.

kobinet-nachrichten: Wie hat sich das Angebot von damals bis heute entwickelt?

Martin Ladstätter: Wir werden immer besser. Scherz bei Seite. Natürlich haben uns in der Zeitspanne von 30 Jahren viele Beraterinnen und Berater begleitet. Sie alle haben eine Ausbildung für Peer-Beratung absolviert und jede neue Beraterin und jeder neue Berater bringt ihr oder sein Wissen und ihre oder seine einzigartige Persönlichkeit mit ein. Die Beraterinnen und Berater unterstützen sich auch gegenseitig dabei, ihr Wissen zu verbessern. Besonders hilfreich war für uns die regelmäßige Aus- und Weiterbildung durch Victoria und Bill Bruckner aus den USA.

kobinet-nachrichten: Was waren damals die Hauptbeweggründe, ein solches Beratungszentrum zu gründen? Und hat sich zwischenzeitlich daran etwas geändert?

Martin Ladstätter: Der Hauptgrund zur Gründung des ersten österreichischen Zentrums für Selbstbestimmtes Leben war, dass wir die Selbstbestimmung und das Empowerment für Menschen mit Behinderungen ausbauen wollten. Und die beste Methode, dies zu gewährleisten ist es, Menschen mit Behinderungen als Expertinnen und Experten in eigener Sache zu betrachten. Damals war das in der österreichischen Behindertenszene etwas vollkommen Neues.

Menschen mit Behinderungen wissen selbst am besten, was sie brauchen und wie sie ihr Leben führen wollen. Genau das ist ein zentraler Punkt der Peer-Beratung, der sie auch von anderen Beratungsmethoden grundsätzlich unterscheidet. Menschen mit Behinderungen waren und sind immer noch oft damit konfrontiert, dass andere scheinbar am besten wissen, was gut für sie ist.

Ein ganz wichtiges Vorbild in dieser Sache ist natürlich die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung aus den USA, von der eine unvorstellbare Kraft ausging. Aber natürlich ging auch von Deutschland mit der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL), die uns in der Umsetzung von Selbstbestimmt Leben Zentren ein paar Jahre voraus war, ein entscheidender Impuls aus.

An unserer Grundmotivation, Menschen dabei zu unterstützen, ein selbstbestimmtes Leben nach ihren Vorstellungen zu führen, hat sich nichts geändert. Dafür werden wir weiterkämpfen, mit dem Instrument der Peer-Beratung und auch mit unserem gesellschaftlichen Engagement für Gleichstellung und Selbstbestimmung.

kobinet-nachrichten: Auf welche Veränderungen blicken Sie, wenn Sie auf die Menschen schauen, die in den letzten 30 Jahren von BIZEPS unterstützt wurden?

Martin Ladstätter: Wir haben das Glück, viele Menschen auf dem Weg in ihr selbstbestimmtes Leben zu unterstützen. Jeder Mensch, der uns im Laufe der Zeit begegnet ist, ist anders. Die größten Erfolge sind natürlich, wenn die Personen, die zu uns kommen, es schaffen, ihr Leben nach ihren Wünschen zu verändern und umzugestalten. Dabei müssen sie oft große Hürden und Widerstände überwinden.

Es ist fantastisch, wenn wir – oft auch erst nach einiger Zeit – Rückmeldungen von Beratungskundinnen und -kunden bekommen, dass sie jetzt etwas geschafft haben, was ihnen niemand zugetraut hat.

Was die Leute erreichen können, hängt natürlich auch von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Gerade Persönliche Assistenz ist ein wichtiger Aspekt für die Selbstbestimmung unserer Kundinnen und Kunden.

kobinet-nachrichten: Vorausgeblickt: Was steht demnächst an?

Martin Ladstätter: Wir freuen uns natürlich über unser Jubiläum – sogar der österreichische Bundespräsident Van der Bellen hat uns ein Glückwunsch-Video geschickt. Wir hoffen, dass wir noch viele solche Jubiläen feiern. Der Kampf für die gleichen Rechte von Menschen mit Behinderungen wird uns noch lange beschäftigen. Es gibt noch viele Baustellen in der Behindertenpolitik und vieles, das wir ausverhandeln müssen. Aktuell ist es die Ausarbeitung eines Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, der diesen Namen auch verdient. Natürlich benötigt es dafür auch Geld und wir fordern daher einen Inklusionsfonds.

kobinet-nachrichten: Und was würden Sie sich für die Zukunft des Peer-Counseling und der Selbstbestimmt-Leben-Zentren wünschen?

Martin Ladstätter: Ich wünsche mir, dass man die Kraft der Peer-Counceling-Methode auch an vielen anderen Stellen erkennt und begreift, wie wichtig es ist, Menschen mit Behinderungen als Expertinnen und Experten in eigener Sache mit dabei zu haben. Für unsere Peer-Beratungsstelle wünsche ich mir, dass es uns auch in Zukunft gelingt, immer wieder junge Menschen mit Behinderungen zu motivieren mitzuarbeiten, damit wir noch sehr, sehr lange viele Menschen auf ihrem Weg in die Selbstbestimmung begleiten können.

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview und auf weitere spannende und bewegende 30 Jahre Peer Counseling und Interessenvertretung behinderter Menschen in Wien und in Österreich.

Link zur Grußbotschaft des Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen zu 30 Jahre Peer Counseling in Österreich auf YouTube

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Ein Kommentar

  • GRATULATION….
    – für den MUT gestartet zu haben
    – für die Durchhaltekraft und Ausdauer
    – für die Vorbildwirkung
    – für das Riesenwissen
    – für das Unangepasste

    Auch mir ist Adolf Ratzka – „Aufstand der Betreuten“ bis heute prägend (heute würde man das mit Nachhaltigkeit bezeichnen) in Erinnerung und leitet mich noch immer in meinem Tun und meinem Handeln.
    Wahnsinn – 30 Jahre! Es ist gut und wichtig, dass es euch gibt!
    Herzlich, Maria Brandl