Fasten your seatbelt – nur fliegen ist schöner … wenn man seine Rechte kennt

Als ich anfing, regelmäßig zu fliegen, begrüßte man mich in Hamburg am Flughafen noch per Namen, ohne dass ich überhaupt meinen Ausweis vorgelegt hatte.

Flugzeug mit Sonnenuntergang
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Das war Ende der 90er Jahre und rollstuhlfahrende, allein reisende Fluggäste, die gar nicht gehen können ‒ WCHC
 heißt das im Fliegerjargon ‒ gab es wenige.

So wenige, dass ich schon nach wenigen Flügen ab und nach Hamburg bekannt war wie ein bunter Hund. Das hat sich unterdessen völlig geändert. Ich bin unterdessen einer von vielen rollstuhlfahrenden Fluggästen.

Früher war Fliegen
 eine echte Glückssache


Ich war etwa 15 Jahre alt, als ich das erste Mal alleine geflogen bin und ich kann mich nicht erinnern, dass es ein Problem gegeben hätte. Das war in gewisser Weise ein Glücksfall, denn damals gab es noch kein Recht auf Assistenz oder etwa darauf, mitgenommen zu werden.

Wer als behinderter Mensch die weite Welt erkunden wollte,
 war bis vor ein paar Jahren auf das Gutdünken des Flughafens und der Fluggesellschaft angewiesen.

Es gab unzählige Geschichten von behinderten Menschen, die an Flughäfen gestrandet sind, nach dem Urlaub einfach nicht mehr mit zurückgenommen wurden, gehörlose Sportmannschaften, die man nach einem Wettkampf im Ausrichtungsland einfach stehen ließ. Ich fing irgendwann an, diese Geschichten zu sammeln. Es waren viele.

Ich persönlich hatte aber immer Glück. Auch wenn man mehrmals versuchte, mir die Beförderung zu verweigern, ich schaffte es immer, mich dann doch irgendwie ins Flugzeug zu quatschen, teilweise ließ man mich auf die letzte Minute doch noch in den Flieger.

Es kostete Nerven und man fühlt sich wie ein Mensch zweiter Klasse, wenn alle in die Maschine dürfen, nur man selber nicht, obwohl man für das Ticket ebenfalls bezahlt hat.

Es wird einfacher

Ich fliege bis heute sehr viel ‒ sowohl beruflich als auch privat. 2015 saß ich rund 40 Mal in einem Flugzeug. Ich habe schon viel gesehen von der Welt, war auf allen Kontinenten und ich möchte auf das Reisen nicht verzichten.

Die gute Nachricht ist, seit 2008 haben sich die Bedingungen für behinderte Reisende in Europa massiv verbessert, denn es trat eine europäische Gesetzgebung in Kraft, die behinderten Reisenden endlich umfassende Rechte gegenüber den Airlines und Flughäfen garantiert.

Abweisen verboten

Die wichtigste Regel der EU-Verordnung 1107/2006: Fluggesellschaften dürfen Menschen aufgrund ihrer Behinderung nicht mehr als Fluggäste ablehnen, außer sicherheitsrelevante Gründe sprechen dafür. Auch die Assistenz an Flughäfen wurde mit der EU-Gesetzgebung geregelt: Die Flughäfen sind in der EU für die Assistenz zuständig und müssen diese vorhalten. Dafür bekommen sie von den Fluggesellschaften Geld.

Der Fluggast hat einen Anspruch auf Assistenz, wenn er sich 48 Stunden vor Abflug bei der Fluggesellschaft oder über das Reisebüro angemeldet hat, also die Fluggesellschaft darüber informiert hat, welchen Assistenzbedarf er hat und dass er zum Beispiel mit einem eigenen Rollstuhl reisen möchte.

Aber auch wer sich nicht anmeldet, oder zu spät, hat zumindest einen Anspruch darauf, dass der Flughafen und die Airline sich bemühen, die Reise dennoch möglich
 zu machen. Meine Erfahrung ist, wenn man nicht zu einem kleinen Provinz-Flughafen fliegt, klappt auch das spontane Reisen ohne Anmeldung, aber empfehlen würde ich es nicht, schon gar nicht zur Hochsaison.

Zwei Hilfsmittel
 fliegen kostenlos mit


Auch der Transport von Hilfsmitteln wurde gesetzlich geregelt: Ist es ein Flug, der innerhalb der EU beginnt oder endet, muss die Airline bis zu zwei Hilfsmittel pro Person kostenfrei transportieren. Probleme gibt es allerdings, wenn man mit einem sehr großen Rollstuhl in einer kleinen Maschine reisen will.

Der Rollstuhl muss durch die Ladeluke passen und in den dann sehr kleinen Frachtraum. Deshalb gibt es manchmal Begrenzungen auf 80 cm Höhe des Rollstuhls.

Ohne Bordrollstuhl geht es nicht


Aber der Weg ins Flugzeug? Bei allem Komfort, den das Fliegen bietet, ist der Weg ins Flugzeug für Menschen, die nicht gehen können, immer noch recht beschwerlich.

Bis zur Flugzeugtür sitze ich in meinem eigenen Rollstuhl, dann muss ich mich auf einen Bordrollstuhl umsetzen, um ins Flugzeug zu gelangen. Das ist ein schmaler Sitz, der keinerlei Komfort bietet, aber eben durch den Flugzeuggang passt.

Von dort muss ich mich dann auf den normalen Sitz im Flugzeug setzen. Also zweimal umsetzen, bis man endlich im Flieger ist. Ja, das ist nervig und für mich bis jetzt auch immer noch das größte Hindernis beim Fliegen.

Horror defekter Rollstuhl

Mein eigener Rollstuhl wird im Bauch des Flugzeugs verladen. Und geht der dann nicht kaputt? In 99 Prozent der Fälle nicht. Ich fliege wirklich sehr viel, ich habe sicher fast 1.000 Flüge hinter mir, aber ich hatte erst zweimal einen wirklich problematischen Schaden am Rollstuhl.

Beide Male waren die Steckachsen verbogen worden, offensichtlich, weil von der Seite etwas draufgeschlagen hatte, vermutlich ein schwerer Koffer oder ein Container.

Beide Male hat mir die Airline den Schaden anstandslos ersetzt, aber der Aufwand ist natürlich dennoch ärgerlich und kostet unter Umständen sogar Urlaubstage. Und nicht alle Airlines zahlen unproblematisch, schon gar nicht bei höheren Summen.

Es gibt allerdings Fluggesellschaften, die eigens für diese Fälle versichert sind und über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus zahlen, wenn es zu einem Schaden am Rollstuhl kommt.

Flugzeug vor Wolken
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Problem: 
Ungeschultes Personal


Trotz der umfassenden gesetzlichen Bestimmungen gibt es bis heute aber ein Problem beim Fliegen: Ungeschultes Personal am Flughafen und bei den Fluggesellschaften.

Das ist insofern verwunderlich, denn genau das dürfte es mit der Gesetzgebung auch nicht mehr geben, denn auch die Schulung der MitarbeiterInnen, insbesondere im Umgang mit behinderten Passagieren, ist gesetzlich vorgeschrieben.

Da weiß das Personal an der Hotline von Airline A nicht, dass zwei Rollstühle kostenlos transportiert werden, nicht nur einer. Am Check-In sagt mir Airline B, ich dürfe nicht alleine fliegen ‒ beim Rückflug wohlgemerkt.

Beim Hinflug hatte man keine Bedenken. Und Flughafen C ist der Meinung, man könne auch ungeschultes Personal einsetzen, um behinderte Passagiere aus dem Flugzeug zu holen. Merkt ja niemand.

Auch das ist unterdessen nicht mehr erlaubt. Ich schule seit fast zehn Jahren selbst Personal von Fluggesellschaften und Flughäfen. Nichts ist für Flugreisende schlimmer als Personal, das nicht weiß, wie die Abläufe funktionieren oder einfach versucht, so zu tun, als gebe es die Gesetzgebung gar nicht oder als müssten sie sich nicht daranhalten.

„Ich bin jetzt seit 20 Jahren Flugbegleiterin. Früher haben wir Behinderte gar nicht mitgenommen. Das war einfacher“, sagte mal jemand in einer Schulung zu mir. Teilweise müssen sich Mitarbeiter wirklich umstellen, von einer Kultur des Abwimmelns behinderter Passagiere hin zu einer Willkommenskultur.

Erst neulich ließ ich einen Stationsmanager einer Airline – das ist soetwas wie der Abteilungsleiter des Check-Ins – kommen, der erst versuchte, mir zu erklären, dass ich meinen Rollstuhl nicht mit bis zum Flugzeug nehmen kann und wenn ich darauf bestünde, würde man mich nicht einchecken.

Sechs magische Worte

Es gibt sechs magische Worte, die in solchen Situationen wie das Zauberwort für einen Geheimtresor wirken: „Sie verstoßen damit gegen die EU-Verordnung.“

Auch der Stationsmanager einer Billigfluggesellschaft ließ mich bei einem anderen Flug am Ende dann doch mitfliegen, als ich ihm das Gesetz runterpredigte.

Das Wichtigste, wenn man heute als behinderter Mensch eine Flugreise antritt? Man sollte sich rechtzeitig anmelden, seine Rechte kennen und dann darauf bestehen.

Die besten Gesetze nützen nichts, wenn man sie nicht kennt und auf deren Einhaltung bestehen kann. Denn das wird immer mehr dazu führen, dass die Rechte behinderter Menschen nicht ständig übergangen werden.

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Ein Kommentar

  • Sehr informativ und halt wie immer toll geschriebener Bericht! Danke.