„Fernsehen. Alle hier tot“

Wie kommt ein 45-Jähringer ins Altersheim? Ein Auszug aus dem aktuellen Bericht der Volksanwaltschaft.

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Österreichische Liga für Menschenrechte

Eine Mitarbeiterin des Buddy-Vereins wandte sich an die Volksanwaltschaft (VA) und brachte vor, sich aus Eigeninitiative für einen HIV-kranken, pflegebedürftigen Menschen einzusetzen, dabei aber an ihre Grenzen zu stoßen.

Herr N. N. ist 45 Jahre alt und lebt seit über vier Jahren auf einer geriatrischen Pflegestation. Das Durchschnittsalter der Bewohnerinnen und Bewohner liegt bei rund 80 Jahren. Der Fonds Soziales Wien (FSW) habe die Entscheidung getroffen, Freizeitfahrtendienste für stationär Langzeitgepflegte einzuschränken.

Deshalb könne Herr N. N. nicht einmal mehr das Tageszentrum des Aids-Hilfe-Hauses besuchen. Alle sozialen Kontakte gingen so verloren. Überhaupt nicht nachvollziehbar war für die Mitarbeiterin, wieso ihr Schützling nicht anderswo untergebracht werden könne, da ihr aus der Praxis bekannt sei, dass Menschen mit noch schwereren Funktionsbeeinträchtigungen in betreuten Wohngemeinschaften leben.

Es wurde ein Termin mit einer Mitarbeiterin vor Ort vereinbart. Herr N. N. wurde um 16 Uhr im Nachthemd auf seinem Bett sitzend angetroffen. Auf die Frage, was er tagsüber tue, beschrieb er die Situation mit den Worten: „Fernsehen. Alle hier tot.“ Der Besuch und das Interesse taten ihm merkbar gut. Er artikulierte sich anschließend klarer und wirkte lebendiger.

Die VA leitete ein Prüfungsverfahren ein. Der FSW reagierte und klärte den aktuellen Pflegebedarf und die möglichen Leistungen im Rahmen der Behindertenhilfe ab. Eine Mitarbeiterin von „Casemanagement Intensiv“ kümmert sich seither nachdrücklich um das Anliegen. Der Freizeitfahrtendienst wurde Herrn N. N. genehmigt, und er konnte wieder eine Tagesbetreuung in Anspruch nehmen. Es besteht die Perspektive, dass er heuer in eine für seinen Unterstützungsbedarf ausgerichtete Wohngemeinschaft einziehen kann.

Anzumerken ist, dass es keine bundesweiten Daten darüber gibt, wie viele Menschen mit Behinderung in Einrichtungen, die für deutlich ältere Menschen konzipiert sind, ohne Perspektive auf ein selbstbestimmtes Leben wohnversorgt sind.

Bereits in der Anfangsphase des am 1. Juli 2012 eingerichteten Nationalen Präventionsmechanismus sind zwei Kommissionen der VA auf die entgegen der UN-Behindertenkonventionen fehlende Wahlfreiheit der Wohnsitznahme gestoßen.
Einzelfall: VA-W-SOZ/0042-A/1/2012

Der vollständige Bericht der Volksanwaltschaft an den Wiener Landtag steht auf der Website der Volksanwaltschaft zur Verfügung.

Dieser Artikel ist ein der Zeitschrift 1.2013 der Österreichischen Liga für Menschenrechte erschienen.

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