Obwohl die entsprechende Technik existiert, Internet-Software auch für behinderte Menschen bedienbar zu machen, besteht bei den Softwareherstellern anscheinend noch kein großes Interesse, diese in ihre Produkte einzubauen.
Die Gründe dafür seien vielfältig, sagte Jon Gunderson, Koordinator von Rehabilitation-Education Services an der University of Illinois und Vorsitzender der Arbeitsgruppe User Agent Accessibility beim World Wide Web Consortium, gegenüber dem Wissenschaftsmagazin NewScientist: Angefangen von fehlendem Wissen, angeblich zusätzlich zu investierenden Mitteln bis hin zu fehlendem Druck von Seiten der Behindertenverbände, berichtet HEISE und führt weiter aus:
„Der wichtigste Punkt ist aber, dass die Firmenkunden bei den Softwareherstellern erst gar nicht behindertengerechte Software nachfragen“, meint Gunderson. Softwarehersteller, die Browser und andere Tools für den Zugriff auf das Internet entwickeln, haben in den vergangenen Jahren zwar einiges dazugelernt, um auch behinderten Personen den Zugang zum Web zu ermöglichen. Doch noch sind die Lösungen nicht annähernd optimal an die Bedürfnisse von Behinderten angepasst, so Gunderson.
Sollte doch einmal eine Kundenanfrage an den Softwarehersteller kommen, ob dessen Produkte denn entsprechende Features für Behinderte enthalten, erfolge in der Regel eine positive Antwort, obwohl dies nicht stimme. Interessierte sollten daher stets nachfragen, welchen Richtlinien die Software entspricht.
Die Arbeitsgruppe hat in ihrer Web Accessibility Initiative (WAI) in der Vergangenheit bereits zahlreiche Richtlinien publiziert, wie Softwarehersteller und Webseitenbetreiber weltweit ihre Produkte auch für Behinderte leichter bedienbar machen können. Anfang dieser Woche hat die WAI zwei weitere Guidelines in die sich noch in Arbeit befindliche erweiterte Version der Web Content Accessibility Guidelines auf ihrer Homepage eingefügt. Dort finden nicht nur Autoren von Websites Hinweise, wie sie ihren Content wirklich allen Surfern zugänglich machen können, sondern es gibt auch Tipps für Entwickler von Internet-Tools, wie sie ihre Software so gestalten, dass auch behinderte Menschen damit ihren Content ins Web bringen können.
Dazu gehört beispielsweise laut WAI die Bedienung von Softwarefunktionen über die Tastatur, wenn Seh- oder Körperbehinderte nicht mit der Maus arbeiten können. Auch die Möglichkeit, die Software individuell zu konfigurieren, sodass die Farbwahl und die Größe der Buchstaben bestimmten Erfordernissen entspricht, sollte ebenso gegeben sein wie die Kompatibilität mit Screenreadern, Sprachsynthesizern zum Vorlesen des Bildschirminhalts und Bildschirmlupen.
Inzwischen mehren sich die Gesetzesinitiativen zu diesem Thema: In den USA sorgt der Artikel 508 des Anti-Diskriminierungs-Gesetzes seit Sommer dieses Jahres dafür , dass die dortigen Bundes- und Landesbehörden nur noch solche Hard- und Software anschaffen dürfen, mit denen auch Schwerbehinderte arbeiten können. Artikel 508 regelt auch die Anpassung der Millionen von Behörden-Websites und folgt dabei weitestgehend den Vorschlägen der WAI.
Die EU-Kommission wirbt zumindest für die Anwendung dieser Leitlinien, ebenso wie das Bundeswirtschaftsministerium mit seiner Aktion Internet ohne Barrieren. Die Gesetzesinitiative zur „Barrierefreien Informationstechnik“ im deutschen Bundestag bleibt bisher allerdings deutlich hinter den klaren Forderungen des US-Gesetzes zurück.
Bleibt zu hoffen, dass die Softwarehersteller und Unternehmen hierzulande auch so begreifen, dass sie durch optimierte Produkte und einen barrierefreien Zugang zu ihrer Website zusätzliche Kunden gewinnen können – und das bei nur geringfügigen zusätzlichen Kosten.