Folge 16: Einmal kollektiv gerüttelt on the Rocks please!

Rollend, rasant und rabiat durch Wien und den Rest der Welt

Symbolbild: Ronja Rollerbraut

Der Eurovision Songcontest, das Pride Village am Rathausplatz im Rahmen der Regenbogenparade, das Eröffnungsfest der modernen FußgängerInnen- und Begegnungszone Mariahilfer Straße Neu.

Das sind nur einige Beispiele für Events, die die Wiener und Wienerinnen bzw. Gäste aus aller Welt in diesem Sommer schon besuchen und genießen konnten. Vorausgesetzt sie haben keine Behinderung. Denn fast alle Angebote des Ausprobierens und Kennenlernens sind weder inklusiv noch barrierefrei angelegt.

Kollektive Rüttelplatte, Klettertürme und Flying Fox

Das Eröffnungsfest der neuen Mariahilfer-Straße fand bei strahlendem Sonnenschein statt und war äußerst gut besucht. „Einkaufen, Flanieren, Essen, Trinken, Spielen, Fahrradfahren und vieles mehr …“ so das Motto der Projektbetreiber. Nicht nur für Kinder gab es aufregende Attraktionen. Die Palette reichte von einer „kollektiven Rüttelplatte“ (erreichbar über Stufen) bis hin zu Klettertürmen und der Möglichkeit, 95 m über die Mariahilfer Straße zu schweben (Flying Fox).

Nach 100 am Stepper absolvierten Schritten gab’s eine Gewinnfrage und bei richtiger Beantwortung einen Preis. „Komm wir gehen Strom erzeugen“ – dazu rief die Mobilitätsagentur der Stadt Wien auf und verteilte Goodies wie Schuhbänder und eine Rad- und Fußgängerkarte. Schließlich feiere man 2015 das Jahr der Fußgänger. Auf die Radfahrer hat man trotzdem nicht vergessen: bei einem Parcours konnte man seine Geschicklichkeit unter Beweis stellen.

Und was ist mit den sogenannten mobilitätseingeschränkten Personen? Ein Rollstuhl-Parcours hätte auf jeden Fall gut dazu gepasst und den einen oder anderen Fußgänger zum Nachdenken angeregt. Denn wer glaubt, die Umgestaltung der Mahü sei mit einer Beseitigung von Barrieren der dort angesiedelten Geschäfte und Lokale einhergegangen, der irrt gewaltig.

Auf der Regenbogenparade im Regen stehen gelassen

Kojen sind nicht nur für die das Einholen von Informationen verschiedener Aussteller interessant, sondern dienen auch der Anbahnung sozialer Interaktionen. Absolut unverständlich bleibt jedoch, warum diese Kojen in den meisten Fällen eine hohe Stufe haben, die es zu überwinden gilt. Auch hier ist gebetsmühlenartig zu wiederholen: Ohne Stufe oder mit einer (mobilen) Rampe täten sich nicht nur Rollstuhlfahrer, sondern auch z.B. Eltern mit Kinderwägen oder ältere Menschen leichter.

Die meist überdachten Kojen bzw. Zelte haben auch einen weiteren Vorteil: Sie können vor dem einen oder anderen unerwünschten sommerlichen Regenguss schützen. So war es auch heuer und viele Besucher und Besucherinnen „retteten“ sich in eine Koje, bis das Ärgste vorbei war. Nicht nur bei mir war es anders: Bis ich als Rollstuhlfahrerin meinen kompletten Regenschutz angelegt habe, hat es eine Weile gedauert und ich wurde ziemlich nass.

Fotoboxen – der Renner beim Eurovision Songcontest

In unserer Selfie-Kultur haben auch Fotoboxen oder Foto-Aufbauten einen gewissen Reiz. Sich ein wenig verkleiden, auf einen ausgestopften Büffel klettern oder sich mit einem entsprechenden Hintergrundbild (vielleicht aus einem fernen Land) fotografieren lassen: für mobilitätseingeschränkte Personen so gut wie unmöglich. Und teilnehmen am Casino-Gewinnspiel auf der Festbühne?

Fehlanzeige. Nach einer halben Stunde lästigem Nachfragen wurde zwar eine mobile Rampe gesichtet. Allerdings blieb es ein Rätsel, wie diese ihren Zweck, nämlich mit Rollstuhl auf die Bühne zu kommen, erfüllen sollte.

Wenigstens gibt es ja noch die Kulinarik! Doch ohne Assistenz oder Begleitung ist die Jagd nach etwas Essbarem äußerst erschwert. Selbstbedienung ist hier das Motto. Und so ist man auf das Verständnis und die Hilfe von anderen Eventteilnehmerinnen und Teilnehmern angewiesen. Und ein abschließender Blick auf die Höhe nicht unterfahrbarer Essenstische macht das Vorhaben doch noch zunichte.

Zu guter Letzt bleibt einzig noch das mit dem Euro-Key versperrte barrierefreie WC im Rathauspark, das nur uns vorbehalten ist. Außer, wenn man nach der Toilettenbenutzung angefeindet wird, man solle doch dieses WC bei einem so großen Event für alle offen lassen.

Das Alien auf vier Rädern

So versucht der positiv denkende Rollstuhlfahrer einfach dem Bühnenprogramm, der Filmvorführung, dem Konzert, den Auftritten zu lauschen. Denn der Blick auf den Ort des Geschehens ist stark eingeschränkt. Die meisten Fußgänger sind einfach größer.

Übrigens: Platzangst ist bei einem starken Besucheransturm nicht zu empfehlen. Auch kleine unabsichtliche Rempler der anderen Eventteilnehmer darf man nicht persönlich nehmen. Wer bis dato durchgehalten hat, verdient Anerkennung und Respekt. Doch die mitleidigen Blicke der Anderen, das exzessive Anstarren durch kleinere und größere Kinder, das auf Distanz gehen vieler anderer Besucher haben noch fast jeden an seine persönliche Frustrationsgrenze gebracht.

Und am Schluss bleibt die bittere Erkenntnis, dass wir im Jahr 2015 in Zeiten der UN-Behindertenrechtskonvention noch immer „Aliens auf vier Rädern“ sind.

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