Rollend, rasant und rabiat durch Wien und den Rest der Welt
Ja, ich finde es gut, dass in Deutschland und folglich in Österreich eine breite Diskussion losgetreten wurde rund um „Herrenwitze“, „Sexismus“, „Po-Grapschen“, „sexuelle Belästigung“, „Übergriffe im Rahmen von Abhängigkeitsverhältnissen“ und weiteres.
Was mir fehlt, was mal wieder „totgeschwiegen“ wird, ist der traurige Umstand, dass verbale, körperliche und/oder sexuelle Übergriffe gegenüber Menschen mit Behinderung, in der Mehrzahl Frauen mit Behinderung, tagtäglich passieren. In Institutionen und Heimen. Aber auch bei der Ausbildung, am Arbeitsplatz, in der Familie, in der Freizeit, im Alltag.
Ich kann den vielen traumatisierten Menschen, insbesondere Frauen mit Behinderung, die solchen Übergriffen ausgesetzt waren und sehr oft noch immer sind, hier als Ronja nicht gerecht werden. Jede einzelne Geschichte verdient eine entsprechende Berücksichtigung: ein Aussprechen und eine Unterstützung, dass solche Übergriffe sofort gestoppt und eventuell rechtlich geahndet werden.
Aussprechen, konkrete Hilfe und Vorbeugen
Das Thema ist leider ein so verbreitetes, und wird wahrscheinlich deshalb gerade auch im „professionellen“ Bereich unter den Teppich gekehrt. Dabei ist es so wichtig, dass betroffene Frauen auch eine entsprechende rechtliche, psychologische und therapeutische Hilfe bekommen.
Präventive Maßnahmen und Schulungen für das Selbstbewusstsein und Selbstverteidigung für Frauen (mit und ohne Behinderung) sind auch in unserer Gesellschaft dringend flächendeckend notwendig.
Die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen existiert vielleicht im Gesetz, aber leider ganz und gar nicht in den Köpfen von der Mehrzahl der Männer. Die Anerkennung und der Respekt gegenüber Frauen, die Begegnung auf Augenhöhe sind in unserer noch immer patriarchalisch-geprägten Gesellschaft leider noch nicht Selbstverständlichkeit.
Der behinderte „geschlechtslose“ Mensch
Einerseits werden Frauen und Männer mit Behinderung sehr oft nicht als sexuelles Wesen oder möglicher Partnerin und Partner angesehen. Behinderte Menschen werden grundsätzlich oft verniedlicht, zum „ewigen Kind“ „degradiert“ und als geschlechtslos angesehen. Ein Beispiel: Behindertentoiletten gibt es entweder
- für beide zusammen (es wird also zwischen Frauen und Männern nicht unterschieden),
- die Behindertentoilette wird mit der allgemeinen Damentoilette zusammengelegt (also die Männer ab in die Damentoilette) oder
- eine barrierefreie Toilette für behinderte Frauen und Männer und für Mütter/Väter mit Kleinkindern, wo dann auch gleich ein Wickeltisch untergebracht wird.
Körperliche und sexuelle Übergriffe – die Liste ist lang
Andererseits gibt es sehr wohl auch eine Verquickung von körperlichen Gesten/Übergriffen „aus Mitleid“ mit sexuellen Motiven bei den Tätern (und Täterinnen). Menschen mit Behinderung werden sehr oft auch von völlig fremden Personen plötzlich grundlos berührt. Beispiele:
- Ein Taxifahrer, der trotz Abwehr, einer gehbehinderten Frau unbedingt beim Einsteigen helfen möchte. Mit totalem Körpereinsatz „natürlich“. Und die Blicke, die der Taxifahrer bei dieser Handlung auf die Oberweite und den Po der Dame wirft, sprechen Bände.
- Eine fremde Frau um die 50ig Jahre, die einem jungen Rollstuhlfahrer in der Stadt plötzlich und unvermittelt, mit beiden Armen um die Schultern fasst, mit der Erklärung, sie sei so angetan, von seiner Selbständigkeit und Gewandtheit beim Manövrieren des Rollstuhls.
- Ein Aufsichtsratsmitglied im fortgeschrittenen Alter, das sich zu einer Sekretärin, die im Rollstuhl sitzt, hinunter beugt, über die Wange streichelt und meint: „Bist ja ein liabes Pupperl.“
Lernen, sich zu wehren!
Ich bin mir sicher, dass sich allein diese Liste mit relativ leichten Übergriffen endlos fortsetzen ließe. Sogar ich als rabiate Ronja habe Erfahrungen gemacht, die ich als sexuell und/oder körperlich übergriffig erlebt habe und die auch tatsächlich übergriffig waren.
Und noch heute fällt es mir nicht immer leicht, kleinere körperliche Übergriffe im Alltag sofort und verbal schlagfertig zu unterbinden. Ich gehöre leider einer Generation an, in der solche Themen in der Kindheit von der Umwelt ignoriert, verniedlicht, nicht ernstgenommen wurden. Doch ich habe es gelernt, mich zu wehren, immer lauter „Nein“ und „Stopp“ zu sagen. Das ist grundsätzlich für jedes Mädchen und jede Frau wichtig. Und noch wichtiger für Menschen mit Behinderung, die oft in einer schwächeren Position und in Abhängigkeitsverhältnissen sind.
Ob sagend, schreiend, strampelnd, die eigenen händeschüttelnd, hupend, …:
Wir sagen NEIN und STOPP zu verbalen, körperlichen oder sexuellen Übergriffen.
Wir sind erwachsene Frauen und Männer mit Behinderung mit partnerschaftlichen und sexuellen Bedürfnissen – aber: Wir bestimmen, wer uns berühren darf und wer nicht.
Bis bald, eure Ronja.