Folge 6: Zum Eingravieren – Jedes Leben hat Lebenswert

Rollend, rasant und rabiat durch Wien und den Rest der Welt

Symbolbild: Ronja Rollerbraut

Als Mensch mit Behinderung, als mehrfach chronisch kranker Mensch, als Rollstuhlfahrerin, als Mitglied in einem Familienverband mit vielen älteren/betagten Menschen und schließlich auch als medizinisch/gesellschaftspolitisch interessierte Bürgerin habe ich mir – wie sicher viele andere auch – gerade eben den Film „Die Auslöschung“ im ORF 2 angesehen.

Es geht – ganz kurz gesagt – um eine Liebesbeziehung zwischen zwei „intellektuellen“ Menschen auf dem Hintergrund einer fortschreitenden Demenzerkrankung (Alzheimer) bei einem von beiden. Das Buch stammt von Agnes Pluch und Nikolaus Leytner. In den Hauptrollen „brillieren“ (so der O-Ton aus den Filmbeschreibungen) Klaus-Maria Brandauer und Martina Gedeck.

Demenz und Alzheimer trifft uns alle!

Dass das Thema „Demenz“ aufgegriffen und filmisch umgesetzt wird, ist m.E. grundsätzlich zu befürworten. Mit dem Thema müssen wir uns alle im Familienverband und als gesellschaftliche Herausforderung auseinandersetzen. Verlust von Fähigkeiten und Erinnerungen ist für alle äußerst schmerzlich. Vergessen, was uns einst lieb und wichtig war, macht verständlicher Weise große Angst. Dass der Umgang mit „Demenz“ in unserer Gesellschaft derzeit und zukünftig eine der wichtigsten Aufgaben ist, mit sehr vielen Facetten, lässt sich nicht bestreiten. Es bedarf breiter Auseinandersetzung und Entwicklung von unterschiedlichen Unterstützungssystemen.

Kritik am Fernsehfilm „Die Auslöschung“

Was ich jedoch auf das Schärfste kritisiere, ist, dass der Film – wenn gleich auch eher wage und auf subtile Art und Weise – nur einen „Ausweg“ kennt: die sog. Euthanasie, die Sterbe-„hilfe“. Ein Thema, das in Europa und auch bei uns latent immer präsent ist und ab und zu mehr oder weniger heftig aufflackert.

Ich kritisiere, dass im Film von der Hauptperson, dem selbst Betroffenen, automatisch der Reflex kommt, sich für den Fall der Fälle ein entsprechendes Medikament besorgt zu haben. Ich kritisiere, dass im Film die Partnerin des letztendlich schwer von Alzheimer Betroffenen sich zu dem Schritt entschließt, ihm das Medikament zu verabreichen. Noch dazu verniedlicht dargestellt: das tödliche Medikament wird unter den Grießbrei gerührt. Es scheint, dass der Kranke sanft aus dem Leben gleitet.

Ich kritisiere, dass sich Klaus-Maria Brandauer vor seiner Rolle überhaupt nicht persönlich in einem Krankenhaus / mit wirklich Betroffenen auseinandergesetzt hat. Er hat sich damit sogar gebrüstet, es nicht getan zu haben. Ich kritisiere, dass überhaupt keine Alternativen aufgezeigt wurden (im Film und/oder im Nachspann).

Wehret den Anfängen!

Es gab schon einmal in unserer unrühmlichen Geschichte (Nationalsozialismus) einen Spielfilm (Sterbehilfe angesichts einer schweren, unheilbaren Erkrankung, ebenfalls zwischen einem Liebespaar), der abklären sollte, wie die Stimmung der Gesellschaft zur aktiven Euthanasie ausschaut. Ich frage mich, warum der Film „Die Auslöschung“ gerade jetzt gezeigt wurde, am Vorabend der großen Seniorenmesse in der Wiener Stadthalle? Meinungseinträge auf der Homepage der Plattform Seniorkom.at zu dem Film gibt es bereits.

Und die gesellschaftliche Tendenz, Alter und Krankheit zu verdrängen, ja abzuwerten und alten und sehr schwer erkrankten Menschen die Lebenswürde abzusprechen, ist leider sehr stark ausgeprägt. Noch ist die aktive Sterbehilfe bei uns ein Tabu. Aber wie lange noch? Kommt einmal der Stein ins Rollen, so lässt sich die Lawine nur sehr schwer aufhalten. Haben wir denn wirklich nichts dazu gelernt?

Einen anderen Umgang finden

Vielleicht sollten wir es endlich einmal anders machen: Ein Hinterfragen von den Prinzipien unserer Arbeitswelt, wo nur die Erfolgreichen, Multitaskfähigen, Leistungserbringer zählen. Ein Hinterfragen der gesellschaftlichen „Vorbilder“: wohlhabend, schön, makellos, gesund. Ein Hinterfragen unseres derzeitigen Verständnisses von Alter und Krankheit, denn derzeit ist nur ein „aktives Altern“ „erlaubt“.

Ich meine, dass wir uns unseren Ängsten stellen müssen. Das Altwerden, das Kranksein und auch das Leben mit Behinderung gehören ganz einfach zum Leben dazu. Und auch das Leben dieser Menschen hat einen Lebenswert. Und auch das Leben dieser Menschen soll menschenwürdig gestaltet werden. Die unterschiedlichen Generationen sollen nicht gegeneinander ausgespielt werden, Jung kann viel von Alt lernen und umgekehrt.

Wir müssen es letztendlich akzeptieren, dass wir nicht „for ever young“ sein können. Die Leistungsfähigkeit und die Regenerationsfähigkeit lassen einfach einmal nach. Wir müssen lernen, unsere Ansprüche etwas hinunter zu schrauben. Das ist grundsätzlich nichts Schlimmes. Es wird vieles anders werden. Es ist eine neue Lebensaufgabe für uns, es ist eine neue Herausforderung an die Angehörigen und die Gesellschaft.

Ich bin wahrlich kein Experte auf dem Gebiet der „Demenz“. Und ich habe tiefen Respekt vor Angehörigen, die ihre dementen Eltern pflegen. Und ich habe tiefes Verständnis für fast alle Gefühle und Gedanken von pflegenden Angehörigen. Und auch ich persönlich muss lernen, dass ich selbst einmal davon betroffen sein könnte und das wird bestimmt nicht leicht. Und natürlich ist eine einzelne Entscheidung eines Betroffenen (rechtzeitige Patientenverfügung, ohne Druck und Beeinflussung) nach Kenntnisnahme aller Hilfe- und Unterstützungsmöglichkeiten zu respektieren. Und ich bin trotzdem der Überzeugung, dass auch Menschen mit Demenzerkrankungen ein Lebensrecht haben und mit Unterstützung ein menschenwürdiges Leben führen können.

Demenz – es geht auch anders

Ich habe vor einiger Zeit einen interessanten Bericht über die Gerontologin Naomi Feil gesehen und ich war von ihrer Arbeit tief beeindruckt. (Siehe) Und es gibt auch in Österreich Beratung und Unterstützungsangebote für Betroffene und Angehörige, z.B.: demenz-hilfe.at

Es geht auch anders, es ist noch viel zu tun und es liegt bei uns! Bis bald, eure Ronja.

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