Auf die Überlegung der beiden Regierungsparteien hin, ein "generelles Verbot der Sterbehilfe in der Österreichischen Verfassung" zu verankern, folgten viele kritische Stimmen.
Warum solle gerade dem Thema „Sterbehilfe / Sterben“ ein so prominenter Platz in der Bundesverfassung gegeben werden? Kritisiert wird hier auch das Naheverhältnis einer Regierungspartei zur katholischen Kirche mit ihrer bekannten, „konservativen“ Einstellung.
Das Prinzip der „Säkularität des Staates“ (religiöse und weltanschauliche Neutralität) wird hier zur Untermauerung immer wieder genannt. Und schließlich wird auch wiederholt auf diverse „Umfragen“ hingewiesen, die zeigen würden, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung sogar für die Möglichkeit der „aktiven Sterbehilfe“ ausspreche.
„Religion ist Privatsache“. Sterben – demnach – auch.
Am 26. Februar 2014 fand eine Pressekonferenz der „Initiative Religion ist Privatsache“ statt. Dieser Verein setzt sich laut Selbstdefinition auf seiner Homepage, „aktiv für das Prinzip der Laizität, also der religiösen Neutralität des Staates, ein, dokumentiert die weitverbreitete Diskriminierung von konfessionsfreien Personen in Österreich und bekämpft diese Ungleichbehandlung“.
Die aktuelle Pressekonferenz stand unter dem Titel „Sterbehilfe in Österreich: Mehr Selbstbestimmung ist den Menschen zumutbar!“ Angekündigt waren auch NRAbg. Dr. Eva Mückstein (Gesundheitssprecherin der Grünen) und NRAbg. Mag. Gerald Loacker (Sozialsprecher von NEOS). Beide haben jedoch ihre Teilnahme kurzfristig abgesagt. Sehr wohl angereist war ein Gastreferent, der Rechtsanwalt und Generalsekretär von Dignitas Forch-Zürich, Ludwig A. Minelli.
Mag. Eytan Reif (Initiative „Religion ist Privatsache“) fasste die derzeitige gesellschaftspolitische Position in Österreich zu diesem „heiklen Thema“ kurz zusammen. Er kritisiert die „breite Front der Koalition“, die „durch eine Verfassungsmanipulation dieses Verbot hineinschwindeln“ möchte und die weitgehend „inaktive Opposition“.
Weiter präsentierte er das Positionspapier seines Vereins: „Sterbehilfe in Österreich. Mehr Selbstbestimmung ist dem Menschen zumutbar und geschuldet.“
Grundlage der dort angestellten Ausführungen ist das „Selbstbestimmungsrecht einer jeden Person“ und der Umstand, dass Religion in einem säkularen Staat in dieser Frage keine Rolle spielen darf.
Es werden vielmehr folgende Forderungen aufgestellt: Verhinderung einer Verfassungsänderung, Entkriminalisierung des assistierten Suizids und eine ergebnisoffene Debatte.
Reformbedarf sieht die Initiative vor allem beim „assistierten Suizid“, der ihrer Auffassung nach am wenigsten ethisch bedenklich ist, Zitat: „Die undifferenzierte strafrechtlich Behandlung der Beihilfe zum Selbstmord (§ 78 StGB) ist nämlich verfassungsrechtlich bedenklich und kann zunehmend nur ideologisch-religiös begründet werden. Eine Streichung dieser Strafbestimmung zugunsten einer sachlichen Detailregelung, die sowohl die Wahrung des Rechts auf eine letzte Hilfe als auch den Schutz vor Missbrauch in einem ausgewogenen Verhältnis garantieren wird, ist überfällig.“
Geschäfte mit Sterben und Tod
Im Anschluss umreißt der Generalsekretär von Dignitas Ludwig A. Minelli kurz die Geschichte von „Dignitas: Menschenwürdig leben, Menschenwürdig sterben“. In seinem Vortrag spricht er sich gegen die Verwendung des „abwertenden Vokabel Selbstmord“ aus. Ebenso gegen das religiöse Dogma „Suizid begeht man nicht“.
In den Broschüren von Dignitas wird der Begriff „FTB“ (Freitodbegleitung) verwendet. Vor allem in den Suizidversuchen sieht Minelli ein großes gesellschaftliches Problem. Es werde von offizieller Seite nur danach getrachtet, Suizide zu verhindern, aber nicht die viel größere Zahl der Suizidversuche. Doch gerade die Suizidversuche sieht er höchst problematisch, z.B. aufgrund der hohen Folgekosten (medizinische Behandlung, Finanzierung von Einrichtungen und Personal).
Überhaupt kritisiert er die starke Gewinnorientierung z.B. von Pharmafirmen bei dem Einsatz von teuren Medikamenten für Totkranke. Aber: Die finanziellen Mittel, die man rund um die FTB von Dignitas benötigt (Mitgliedschaft, Unkosten), sind ebenfalls nicht unerheblich.
„Keine Tötung eines Menschen.“
Am Abend desselben Tages lud die Initiative „Religion ist Privatsache“ auch in die Aula am Campus der Uni Wien zu einem Podiumgesprächs: „Sterbehilfe: Straftat oder Grundrecht?“.
Teilnehmer waren: NRAbg. Dr. Franz-Joseph Huainigg, Behindertensprecher ÖVP, Univ.-Prof. DDr. Heinz Mayer vom Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien und eben wieder Ludwig A. Minelli, Rechtsanwalt und Generalsekretär Dignitas Forch-Zürich. Moderiert wurde die Diskussion von Julia Herrnböck („Der Standard“). Die Veranstaltung war sehr gut besucht; erfreulich auch das Interesse von Schülern und Schülerinnen eines Wiener Bundesgymnasiums.
Bereits bei den Statements der Teilnehmer auf dem Podium wurde rasch klar, dass eine Annäherung der beiden Lager (Dr. Franz-Joseph Huainigg auf der einen Seite, L.A. Minelli und Univ.Prof. DDr. Mayer auf der anderen Seite) nicht realistisch ist. Die Argumente der beiden zuletzt Genannten deckten sich weitgehend mit den bereits auf der Pressekonferenz erläuterten.
Die Haltung von Dr. Huainigg war ebenso klar und konträr: Er erzählte von seinem persönlichen Umgang mit seiner Erkrankung und Behinderung. Er sprach sich vehement gegen jede „Tötung eines Menschen“ aus und verwies auf den Umstand, dass auch schwer kranke und leidende Menschen ein Recht auf ein würdiges Leben und eine entsprechende Lebensqualität haben.
Die Miteinbeziehung des Publikums in die Diskussion bestätigte die beiden konträren Standpunkte und machte deutlich, wie unterschiedlich die Zugänge zu diesem heiklen Thema sind.
Österreichische Bundesregierung: „Grundrecht auf Sterben in Würde“
Die ÖVP möchte mit dem Koalitionspartner SPÖ neben dem „generellen Verbot der Sterbehilfe“ (Tötung auf Verlangen) in der Österreichischen Verfassung auch „ein Grundrecht auf Sterben in Würde“ festlegen. Explizit genannt werden die Schlagworte: Sterbebegleitung, Hospiz und Palliativversorgung. Vergleiche: „Arbeitsprogramm der Österreichischen Bundesregierung 2013-2018“ S. 92
Gegen die verfassungsrechtliche Verankerung des Verbots der Sterbe“hilfe“ machen auch einige Politiker und Politikerinnen mancher Oppositionsparteien mobil. Sie verweisen auf die Notwendigkeit einer breiten, öffentlichen Diskussion über diese Themen.
Letzter Stand: Die Bundesregierung plant die Installierung einer sog. Enquete-Kommission mit ausgewählten Experten und Expertinnen – hoffentlich auch mit Vertretern und Vertreterinnen aus dem Behindertenbereich und der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung.