Menschen, die eine Gebärdensprache lernen, sind wie Reisende.

Sie brauchen keinen Reisepass, keine Fahrkarte. Sie verlassen ihre Heimat nicht. Auch nach vielen Jahren in der „Gehörlosenwelt“, haben sie Gästestatus.
Daran erinnert Sarah Hafer in ihrem Vortrag „Sign Language Interpreters: Recognizing Your Place in the Deaf Community“.
Hafer wuchs gebärdensprachig auf, arbeitet als Dolmetscherin und studierte Sprachwissenschaft. Ihr Beitrag in American Sign Language (ASL) richtet sich an ihre US-amerikanischen Kolleginnen und Kollegen.
Was hat Reisen mit Dolmetschen zu tun?
Seit Hafer im Alter von 20 Jahren autostoppend von Mexiko nach Costa Rica unterwegs war, beschäftigen sie kulturübergreifende Überlegungen. Die gehörlose Frau schlug sich damals vier Monate lang ohne Spanischkenntnisse durch.
Wohin sie auch kam, sie fand keinen Tourismus vor. Reisende hinterließen dort keinen Einfluss auf die Bevölkerung. Hier erkennt Hafer einen Unterschied zu ihrer Heimat, der „Gehörlosenwelt“, wo viele Gäste Einfluss nehmen.
Verärgern oder verdrängen möchte Hafer mit ihren Ansichten niemand. Im Gegenteil, sie drückt Wertschätzung für ihr Publikum aus. Ihr Ziel ist Bewusstseinsbildung: Gäste aus der Mehrheitskultur sollen sich wie Gäste in einem anderen Land verhalten. Was meint Hafer damit?
Respekt vor anderen Kulturen – (k)eine Selbstverständlichkeit?
Touristinnen und Touristen haben auf Landeskulturen zu achten. Zum Beispiel befolgen von Kleidungsvorschriften beim Betreten von Kirchen, Restaurants etc. Hafer verwundert, dass es keine kulturellen Vorschriften für ASL-Lernende gibt.
Einen Grund erkennt sie darin, dass Gebärdensprachen vor Ort, im eigenen Land erlernt werden.
Ungleiche Verhältnisse
Von ca. 16.000 zertifizierten Dolmetschpersonen in den USA, sind etwa 300 taub und 2.000 bis 3.000 CODAs, schätzt Hafer.
Dieses ungleiche Phänomen erstaunt im deutschsprachigen Raum nicht, hier richtet sich das Ausbildungsangebot stark an Gäste. Vereinzelt gibt es Programme für taube, keine aber für CODAs.
Laut einer Untersuchung des Berliner Linguistikprofessors Christian Rathmann, übersteigt das studierte Sprachkompetenzniveau selten das Level B1 gemäß europäischen Referenzrahmen für Sprachen.
Als Gast gekommen um zu bleiben
In Österreich kommen auf etwa 100 gehörlose Personen einE DolmetscherIn, es gibt viel mehr Nachfrage als Angebot. Vielleicht wird deshalb nur hinter vorgehaltener Hand kritisiert, dass viele Gäste nach der Dolmetschzertifizierung auf professioneller Distanz bleiben.
Wenn überwiegend wirtschaftlich vorteilhafte Kontakte gepflegt werden und die anfängliche Begeisterung später nur noch bei bezahlten Dienstleistungen spürbar wird, ist der Vorwurf des Nutznießens naheliegend.
Sarah Hafers Intentionen sind nachvollziehbar. Ihr Appell richtet sich an Gäste, die zu viel Einfluss nehmen: Kennt euren Platz als Gäste in unserer Kultur, unterstützt im Hintergrund und überlasst uns die Schlüsselpositionen.
Der Artikel, auf den verwiesen wurde, erschien ursprünglich auf www.streetleverage.com. Verwiesen mit Erlaubnis von StreetLeverage.