Gehörlose stoßen auf taube Ohren

Ist die Informationspflicht des ORF auf Hörende beschränkt?

Helene Jarmer
ÖGLB

Der Österreichische Gehörlosenbund stellt massive Lücken im neuen ORF-Gesetz fest: Im derzeitigen Entwurf des Gesetzes fehlen jegliche verbindliche Regelungen, die das Recht auf Information auch für Gehörlose und Schwerhörige sichern. „Das neue ORF-Gesetz“, so Helene Jarmer, Präsidentin des Österreichischen Gehörlosenbundes, „enthält nur eine schwache Formulierung, die zwar zeigt, dass man sich unserer Existenz bewußt ist, die jedoch überhaupt keine Absicherungen darstellt. Unser Recht auf Information wird von diesem Gesetz nicht gesichert.“ Cirka 400.000 österreichische Gehörlose und Schwerhörige werden somit vom ORF marginalisiert und, so Jarmer: „Klare Forderungen wurden bis dato einfach ignoriert.“

Um TV für Gehörlose und Schwerhörige rezipierbar zu machen, müssen entweder Untertitel vorhanden sein oder bei Nachrichtensendungen eine Gebärdensprachdolmetscherin eingeblendet werden. Derzeit gibt es im gesamten TV-Programm des ORF nur ein Sendung wöchentlich, in der eine ÖGS-Dolmetscherin eingeblendet wird (Wochenschau am Sonntag). Der Anteil aller untertitelten Sendungen beträgt nur ca. 170 Stunden (=ca. 10%) monatlich. Alle anderen TV-Angebote des ORF sind für Gehörlose/Schwerhörige überhaupt nicht zugänglich. Der Zugang zu wichtigen politischen Information aber auch Unterhaltung ist daher ausgesprochen beschränkt. Für gehörlose Kinder, die keine Untertitel lesen können, gibt es überhaupt keine Angebote.

Das Fernsehen ist die elementare Informationsquelle für ca. 400.000 gehörlose und schwerhörige Menschen in Österreich, da es das einzige für Gebärdensprachen geeignete, nämlich visuell-bewegte, Medium ist. Weder Printmedien noch Radio eignen sich, um Informationen in Österreichischer Gebärdensprache (ÖGS ) zu übermitteln.

„Der Umgang einer Gesellschaft mit ihren Minderheiten, insbesondere sprachlichen Minderheiten, sagt etwas über ebenjene Gesellschaft und ihre Menschenrechtsstandards aus. Zugang zu grundlegenden Informationen zu haben darf kein Luxus der sprachlichen Mehrheit sein“, so Jarmer. So ist in Österreich auch verfassungsrechtlich festgehalten, dass niemand aufgrund seiner Behinderung benachteiligt werden darf.

Die Forderungen des Österreichischen Gehörlosenbundes im Detail:

  • Gehörlose und Schwerhörige sind eine wichtige, ganz besonders auf das Fernsehen als primäre Informationsquelle angewiesene Zielgruppe des ORF, da aufgrund mangelnder bzw. schlechter Ausbildungsmöglichkeiten viele Gehörlose bei der Rezeption von Printmedien sehr benachteiligt sind. Das Angebot des ORF muss explizit auf die Bedürfnisse dieser Zielgruppe (ca. 4000.000 Menschen) eingehen und Angebote schaffen. Also einerseit durchgehende Untertitel, andererseits Sendungen in ÖGS. Sowohl mehr ÖGS-Präsenz im ORF als auch mehr Untertitelungen werden von Gehörlosen massiv gewünscht und als Notwendigkeit erachtet.
  • Sendungsformate wie die ZIB, immerhin die wichtigste Informationsquelle der Mehrheit aller ÖsterreicherInnen, können nicht einfach ÖGS „aus Platzgründen“ ausschließen. Zahlreichen Ländern ist es seit Jahrzehnten möglich, allabendlich eine Nachrichtensendung auch in der jeweiligen nationalen Gebärdensprache auszustrahlen. Eine ZIB am Tag muss in ÖGS zugänglich sein. Dies kann einfach durch eine kleine Einblendung eines Dolmetschers/einer Dolmetscherin geschehen.
  • Kinder können noch nicht schnell und gut genug lesen, um Untertitel bei Kindersendungen rezipieren zu können. Gehörlose Kinder, die noch nicht fließend lesen können (0-8 Jahre) sind daher vom gesamten Kinderprogramm des ORF vollkommen ausgeschlossen. Zumindest moderierte Kindersendungen müssen regelmäßig, mindestens 1x/Woche, mit DolmetscherInnen bzw. gehörlosen ModeratorInnen arbeiten. Nur so kann zumindest etwas Informationsgehalt für Kinder geschaffen werden.
  • Regionale Informationssendungen („Bundesland Heute“) werden derzeit nicht untertitelt. Somit sind für viele Menschen relevante regionale Informationen nicht zugänglich. Alle Bundesland Heute-Sendungen müssen untertitelt werden oder Dolmetscheinblendungen einführen.
  • Viele Sendungen arbeiten mit vorgefertigten Moderationstexten. In derartigen Sendungen ist es in anderen europäischen Ländern durchaus schon Standard, dass gehörlose ModeratorInnen selbst die Präsentation machen, eine live-Dolmetschung gar nicht notwendig ist.
  • Das ORF-Gesetz muss absichern, dass – den internationalen Trends gemäß ein minimaler Prozentsatz an untertitelten Sendungen täglich eingehalten wird und dieser Prozentsatz jährlich kontinuierlich gehoben wird. Im ORF-Gesetz muss festgeschrieben sein, in welcher Geschwindigkeit dies passieren wird. Was in anderen europäischen Ländern möglich ist, muss auch in Österreich möglich sein.
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