„Geistige Behinderung“ ist politisch nicht korrekt!

Der neu gewählte Präsident der Lebenshilfe Österreich, Univ.Prof. Dr. Germain Weber, räumt mit einem alten Vorurteil auf.

Germain Weber
Lebenshilfe Österreich

Der noch immer gängige Begriff „geistige Behinderung“ äußert aus heutiger Sicht nicht nur eine Diskriminierung, er entspricht auch nicht den Fakten und Tatsachen dieser Form von Behinderung.

Dr. Weber betont anlässlich seiner Wahl durch die Delegiertenversammlung der Lebenshilfe Österreich am 13. November in Salzburg, dass diese diskriminierende Bezeichnung sehr wohl zu jener Zeit, wo sie gewählt worden ist und auch bei einer heutigen Verwendung ohne böse Absicht erfolgt.

Da aber die mit „geistig behindert“ verbundenen Vorstellungen traditionell mit abwertenden Assoziationen verbunden sind, „ist es höchste Zeit, dieser Form der Behinderung einen Namen zu geben, der den Tatsachen entspricht“.

„Die Einschränkungen in diesem Personenkreis, wie beispielsweise bei Menschen mit Down-Syndrom, kennzeichnen sich insbesondere durch Einschränkungen in Bereichen, wie dem abstrakt-logischen Denken, den analytischen Fähigkeiten, dem numerischen Umgang im höheren Zahlenbereich, dem Generalisierungsvermögen und beispielsweise der Strategieentwicklung, d.h. in intellektuell-kognitiven Bereichen“, so der Dozent für Klinische Psychologe der Fakultät für Psychologie an der Universität Wien.

„In vielen anderen „geistigen“ Bereichen, zeigen diese Personen Fähigkeiten, die, wenn adäquat gefördert, zu bewährten Kompetenzen heranwachsen, wie etwa soziale und berufliche Kompetenzen. Weiter ist bekannt, dass viele dieser Personen differenzierte geistige Interessen zeigen, die die Grundlage für ein aktives und gleichberechtigtes Leben in unserer Gesellschaft darstellen. Mit der Bezeichnung intellektuelle Behinderung oder intellektuell-kognitive Beeinträchtigung werden die zentralen Einschränkungen hervorgehoben, ohne dass dabei sämtliche „geistige“ Bereiche die menschliches Leben kennzeichnen, als behindert bezeichnet werden.“

Zugleich aber muss bei Behinderungen, insbesondere bei schweren Formen von Behinderung, ein besonders hohes Maß der Assistenz beibehalten und sogar verstärkt werden, betont der neue Präsident eindringlich.

Ein globales Anliegen
„Um die Rechte und Anliegen der Klienten der Lebenshilfe-Organisationen effizient vertreten zu können, wird es notwendig sein, sich sowohl national als auch über die österreichischen Grenzen hinweg, vermehrt mit Vereinigungen und Einrichtungen zu vernetzen, die für und mit Menschen mit intellektueller Behinderung arbeiten, und somit über manche traditionellen Wege hinauszugehen“, erklärt Dr. Weber ein vorrangiges Ziel seiner neuen Tätigkeit.

„Auch die intellektuelle Behinderung ist ein globales Phänomen. Und es ist daher notwendig, dass alle Betroffenen kooperieren. Die Rechtslage wird zunehmend eine gesamteuropäische werden und somit auch unsere Klienten betreffen. Daher ist ein verstärktes europäisches Engagement unumgänglich. Global betrachtet, zwingen uns die Ergebnisse in der biomedizinischen und biotechnischen Forschung bereits zu einer ethischen Diskussion, die eindeutige Rahmenbedingungen schaffen muss, damit der mögliche medizinische Fortschritt nicht zugleich zur Bedrohung von Leben mit Behinderung werden kann.“

Gleichberechtigung muss ein Selbstverständnis werden
Dass Menschen mit Behinderungen – insbesondere jene mit intellektueller Behinderung – noch immer teilweise von der Teilnahme an der Gesellschaft ausgeschlossen werden, ist ein Zustand, der einer menschenwürdigen Demokratie massiv widerspricht“, stellt Dr. Weber fest. „Gleiche Rechte sind aber nur möglich, wenn die Handicaps ausreichend berücksichtigt werden.“

„Es handelt sich bei der Tätigkeit der Lebenshilfe-Organisationen nicht um klassische Pflege, sondern um Assistenz, die selbstbestimmtes und selbständiges Leben fördert und Menschen mit Lernschwierigkeiten unterstützt und motiviert“, betont Dr. Weber.

„Die Lebenshilfe Österreich, die sich als Vereinigung zur Vertretung der Interessen von Menschen mit intellektueller Behinderung versteht, stellt über ihre Landesvereine und ca. 35.000 Mitglieder das größte Assistenznetz für Menschen mit intellektueller Behinderung in Österreich dar. In den Landesverbänden der Lebenshilfe werden für Tausende Menschen mit intellektueller Behinderung Assistenzdienste angeboten. Das Angebot reicht von der Frühförderung über Arbeit, Wohnen, Freizeitgestaltung, Weiterbildung etc. bis hin zur Sterbebegleitung. Die Assistenz in den diversen Bereichen wird von zahlreichen Mitarbeitern durchgeführt. Dadurch sind die Lebenshilfe-Organisationen auch ein nicht übersehbarer Arbeitgeber. Der Gesamtanteil der Menschen mit intellektueller Behinderung wird in Österreich auf 0,4 Prozent der Bevölkerung geschätzt. Es kann nicht angehen, dass eine solche starke Minderheit abseits der verbrieften Bürgerrechte leben muss“, erklärt Dr. Weber abschließend.

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