Georg Feuser ist für die totale Aufgabe des Sonderschulsystems

Erziehungswissenschaftler Georg Feuser hält im Standard-Interview vom 27. Februar 2017 ein flammendes Plädoyer für schulische Inklusion und gegen Aussonderung.

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BIZEPS/Eva Kosinar

Weil Bildungssysteme eine Schlüsselfunktion für die ersten zwei Jahrzehnte menschlicher Entwicklung haben, sind Kindergärten und das Schulsystem besonders gefordert, sich für Menschen mit Behinderungen zu öffnen, sagt der deutsche Erziehungswissenschaftler Georg Feuser im Standard-Interview.

Die Trennung von behinderten und nicht behinderten Menschen würde dem demokratischen System widersprechen, so der Erziehungswissenschaftler.

Positive Erfahrungen aus Bremen

Er selbst führte in den 80er Jahren Integrationsversuche mit Kindern mit schweren Behinderungen durch und machte positive Erfahrungen. Damals wurde niemand ausgeschlossen, führt er aus und betont: Ich habe zum Teil heute noch Kontakt mit diesen Schülern, und wir konnten feststellen, dass der Lernzuwachs aller jede meiner positiven Erwartungen übertroffen hat.“

Der Erziehungswissenschaftler ist überzeugt, dass alle Beteiligten von Inklusion profitieren. So käme Kindern vor allem die entstehende Sozialdynamik zugute. Nicht behinderten Schülerinnen und Schülern würde durch den Ausschluss von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen eine wichtige Möglichkeit zur Persönlichkeitsentwicklung genommen, meint Feuser. So wie das System jetzt in seiner Selektivität läuft, vernichten wir Potenziale“, hebt er hervor.

Eine rassistisch-faschistische Prägung gepaart mit Kapitalismus

Das ist laut Feuser der Grund, warum Inklusion im deutschsprachigen Raum noch immer nicht funktioniert.

Er führt aus: „Eine zentrale Erklärung, die mir bei einem Besuch in Norwegen wieder aufgefallen ist, ist, dass wir in Deutschland und Österreich doch noch sehr stark ein rassistisch-faschistisches Denken in unseren Köpfen haben, dass eben ein Mensch als solcher in sich und aus sich heraus defekt sei. Wir haben diese Menschen im Hitler-Faschismus systematisch ermordet.“

Damit zusammen wirkt die Tatsache, dass wir in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem leben, das den Wert eines Menschen nach seiner Nützlichkeit für die Gesellschaft misst.

Die Frage, ob Sonderschulen abzuschaffen sind, beantwortet Feuser mit einem deutlichen Ja. Für ihn hat Inklusion keine Grenze. „Nein, diese Grenze gibt es nicht. Die gibt es nur im System, das nicht bereit ist, sich dem zu öffnen und die dazu erforderlichen Qualifikationen anzueignen bzw. in der Lehrerausbildung auch anzubieten.“

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5 Kommentare

  • Ich stimme meiner Vorrednerin, aber auch Georg Feuser, bei!
    Auch der Bedarf sog. „zugewanderter“ SchülerInnen muss bei den Ressourcen und beim Schulpersonal berücksichtigt werden.

  • Mein Bruder ist Autist und hat ab 1997 eine I-Klasse besucht. Er konnte bis zu seinem 6 Lj kaum sprechen. Er war motorisch sehr aktiv und litt an selbstverletzenden Tendenzen Wahrnehmungsstörungen und Ängsten. Sein Verhalten stellte die Pädagoginnen sicherlich vor große Herausforderungen. Durch ein individualisiertes pädagogisches Konzept und durch die herausragenden Fähigkeiten eines eingespielten Lehrerteams gelang es, dass mein Bruder die Grundschule gut bewältigen konnte. Sie haben seine Fähigkeiten erkannt und gefördert. Es gelang ihm später auch, die Fachschule für Maschinenbau zu absolvieren. Bald wird er seinen Master an der Fachhochschule in Wels machen. Ich bin vom Konzept der Integration/Inklusion zu 100% überzeugt! ABER: es braucht die entsprechenden Ressourcen dazu. Eine Mogelpackung ist weder für die Kinder, deren Eltern noch die PädagogInnen zielführend.

  • Ob Glaubenskriege der ExpertInnen und FunktionärInnen den betroffenen Menschen wirklich helfen. Ich würde da eine schrittweise Verschränkung beider Systeme und vielfältige Schulversuche für Erfolg versprechender erachten. Immer diese manichäische Schwarz-Weiß-Malerei: „Wir“ sind „die Guten“, „die Anderen“ sind „die Bösen“,immer das gegeneinander ausspielen.

    Ist Herr Feuser da vielleicht nicht selbst ein Faschist andersrum?

  • Ich bin ganz der Meinung von Georg Feuser, was Lernzuwachs und Möglichkeiten für Kinder in Regelklassen betrifft. ABER: DAs funktioniert nur, wenn der Staat die nötigen Lehrer/Innen und sonstigen Ressourcen zur VErfügung stellt. Die Zukunft soll aber so aussehen: Die Anzahl von Kindern, die einen erhöhten Förderbedarf haben, wird nach fixen Prozentzahlen und nicht nach dem tatsächlichen Bedarf festgelegt.
    In den Klassen gibt es kein durchgehendes Teamteaching mehr, die Sonderpädagogen wandern von Schule zu Schule, um die KlassenlehrerInnen zu „beraten“, wie sie Kinder adäquat unterstützen können. Und dann geht die Spezialistin wieder und die Lehrerin soll die berühmte eierlegende Wollmilchsau sein und 25 Kinder zwischen solchen mit Händicaps und hochbegabten gleichermaßen super und ganz individuell fördern. Alles klar, wohin das führt???

  • Zur Zeit ist das größte Problem (zumindest in Wiener Schulen (Interview Glattauer)), daß es Klassen mit mehrheitlich nicht ansatzweise des Deutschen mächtigen Kindern gibt und die Lehrer damit verständlicherweise heillos überfordert sind. Es ist nicht möglich zu lehren, wenn die Basisverständigung nicht funktioniert. Eine weitere Facette durch den Versuch, die Inklusion jetzt voranzutreiben, wäre -so fürchte ich – leider für keine Seite ein Gewinn.

    Diese Zusammenlegung von Sonderschulen mit „Normalschulen“ hätte vor dem großen Zuzug der Flüchtlinge aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Afrika verwirklicht werden müssen, das wäre eine wesentlich kleinere Aufgabe gewesen, als es die jetzige Situation darstellt (ist das den sogenannten „Entscheidern“ überhaupt bewußt ?).