Institutionen und Programme, die sich mit der Integration und Reintegration von Behinderten in Alltagsleben und Arbeitswelt beschäftigen, gibt es zuhauf.
Aber wer kümmert sich um die Unternehmen, in denen Menschen mit Behinderungen arbeiten wollen und sollen?
Wenn die Sonntagsreden von sozialer Verantwortung verklungen sind, kommt die Ernüchterung: Was heißt das eigentlich, einen behinderten Menschen zu beschäftigen? Entstehen zusätzliche Kosten? Bringt es auf Dauer Unruhe in die Belegschaft? Wie streng sind die Auflagen, wie werden sie kontrolliert? Was ist, wenn Probleme zu groß werden? Wie lässt sich so ein Dienstverhältnis wieder auflösen? Markus Karner kennt alle Fragen, zeigt Verständnis für Bedenken: „Da gibt es zweifellos Aufklärungsbedarf.“ Der Ansatz des Geschäftsführers von Consens Unternehmensservice ist pragmatisch: „Ich muss dem Arbeitgeber vor Augen führen können, dass er aus so einer Konstellation profitiert.“
Ansatz: Können statt Defizit
Statt einen Manager unter sanften oder stärkeren Druck zu setzen, damit er endlich seiner Verpflichtung nachkommt , einen gewissen Prozentsatz behinderter Menschen zu beschäftigen, gehen Consens-Leute erst über die Unternehmensstruktur: Welche Arbeitsplätze wären für Behinderte geeignet, in welche Abläufe könnten sie eingebunden werden? Wenn hier die Signale auf Grün stehen, kommt der nächste Schritt: genaue Stellenbeschreibungen und Anforderungsprofile für die in Frage kommenden Positionen.
„Wir legen den Fokus auf das, was einer kann, nicht auf das, was er nicht kann.“ Der Rest ist Routine: Die Stellenprofile werden über eine Personendatenbank gelegt, die von Institutionen und Ausbildungsinitiativen gespeist wird: „Zu finden, wer zu wem passt, ist relativ einfach.“ Zum Vorstellungsgespräch in die Firma werden nur Leute geschickt, die den Anforderungen entsprechen. „Die Firmen kommen schnell darauf, dass dieses Verfahren für sie vorteilhaft ist.“ Die Personalauswahl dauert kürzer als auf dem freien Arbeitsmarkt, die Trefferquote ist deutlich höher. Dazu kommt, dass behinderte Menschen zur Firma loyaler sind als nicht behinderte: der passende Arbeitsplatz, das gute Arbeitsklima haben gegenüber der Entlohnung einen höheren Stellenwert.
Keine Frage, die Einstellung von Menschen mit Beeinträchtigungen erfordert einen erhöhten Aufwand für Kommunikation: nach innen zu unmittelbaren Arbeitskollegen, nach außen zu Kunden. „Geschadet hat das noch in keinem Fall“ resümiert Karner, „Das ist ein guter Anlass, um die Unternehmenskultur in die richtige Richtung zu entwickeln. “
Ein positiver Nebeneffekt ergibt sich, wenn die Betriebe die genaueren Anforderungsprofile in ihren Betriebsalltag übernehmen. „Da lassen sich im Vorfeld Missverständnisse ausräumen, die zu einer höheren Fluktuation oder zu Arbeitsunzufriedenheit führten.“
Die Entlastung, die die Einbindung von Unternehmen wie Consens mit sich bringt, erlebt der Arbeitgeber schon bei der Einschulung: Betrieb und Behinderter werden von Profis begleitet. Also alles paletti?
„Leider nein – ein großes Problem ist der Verwaltungsaufwand.“ Die Förderung von Behinderten-Arbeitsplätzen ist Landessache. „Es gibt ein Bundesgesetz und neun Landesgesetze.“ Genauer: Die Gelder, die für geförderte Dienstverhältnisse zustehen, werden von österreichweit 27 Stellen ausbezahlt (vor allem Bund, Land, AMS). „Beim Tierschutz hat man sich auf ein bundeseinheitliches Gesetz einigen können, hier sind wir weit davon entfernt.“
Unterm Strich verlangt Karner eine saubere Rechnung: „Das Modell funktioniert nur, wenn sich der Aufwand rechnet.“
16 Stunden Arbeit geht auch
Maximilan Klein betreibt im oberösterreichischen Freistadt ein Architekturplanungsbüro. Er kam mit Dysmelie zur Welt: Ihm fehlt die linke Hand. Der Planer, der in seinem 1978 gegründeten Unternehmen bisher sieben Menschen mit Behinderungen angestellt hatte, weiß aus eigener Erfahrung, wie die Arbeitswelt mit Behinderten umgeht. „Die Leistung muss zu 100 Prozent stimmen, sonst hat man keine Chance.“ Kunden honorieren Engagement nicht. „Man kann keinen Preisaufschlag verrechnen, weil ein Behinderter im Betrieb ist.“
Die andere Seite: Behinderung kann, muss aber nicht zwingend eingeschränkte Leistungsfähigkeit bedeuten. „Ich hatte schon Leute, die auch 16 Stunden am Tag gearbeitet haben, wenn es sein musste.“ Die Regel ist das nicht. „Normalerweise kann man relativ wenig Druck ausüben Terminarbeit ist schwierig.“ Klein behilft sich bei Engpässen mit eigener Mehrarbeit oder mit dem Zukauf externer Leistungen.
Klein vermisst vor allem „Behinderte in Führungspositionen von Behindertenorganisationen die nicht Behinderten glauben immer, sie müssen die Behinderten führen und verwalten“. Können sie selbst, vorausgesetzt, man lässt sie. Die eigene Erfahrung wäre da theoretisch ein Asset: „Ich weiß wahrscheinlich mehr über barrierefreies Bauen als mancher Stararchitekt aber wenn es ums Geld geht, sind meistens andere da.“
Selbstbestimmung und Mehrwert
Den Ansatz, Behinderten zu ermöglichen, selbst möglichst viel zu leisten statt nur betreut zu werden, vertritt die Wiener Assistenzgenossenschaft (WAG). Die 20 GenossenschafterInnen, alle behindert, betreiben eine Beratungs- und Vermittlungsstelle, bei der Personen mit körperlichen oder psychischen Einschränkungen für die Handreichungen des Alltags persönliche Assistenten anheuern. Diese helfen im Haushalt, beim Transport, der Körperpflege, am Arbeitsplatz und ermöglichen ihren Arbeitgebern so, beispielsweise ihren Beruf auszuüben. Die Kunden bestimmen Art, Zeit und Umfang der Hilfeleistung, schulen ihre persönlichen Assistenten selbst ein.
Im Gegensatz zu herkömmlichen Services (wie Heimhilfe) suchen sie ihre Helfer selber aus, sind am Arbeitsplatz nicht auf den Goodwill von Kollegen angewiesen, was Abhängigkeiten schafft.
Genossenschafterin Dorothea Brosek ist stolz darauf, dass das Konzept Selbstbestimmung und wirtschaftlichen Mehrwert schafft: Von 46 Kunden hatten Ende 2002 29 persönliche Assistenten nicht nur Behinderte können so arbeiten, sondern deren Angehörige. „Einer unserer Kunden hat 15 Wochenstunden Assistenz, seine Mutter, die ihn vorher allein betreute, geht jetzt halbtags arbeiten.“
Wer raus geht, gibt Geld aus
Behinderte und ihre Familien sind eine nicht zu unterschätzende Zielgruppe, weiß Brosek: „In den USA gibt es das Behinderten-Antidiskriminierungsgesetz nicht, weil die so sozial sind, sondern weil die Wirtschaft überzeugt ist, dass Behinderte, die besseren Zugang zu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens haben, auch mehr Geld ausgeben.“
Das gilt auch in Österreich: „Wer in einer Einrichtung lebt, gibt nichts aus. Wer draußen lebt, kauft Leistungen zu, auch wenn er nicht viel hat.“
Die WAG finanziert sich aus der Behindertenmilliarde und Unterstützungen der Stadt Wien; die persönlichen Assistenten bezahlen die Kunden aus eigener Tasche, mit Pflegegeld und mit öffentlichen Fördermitteln. Gesteigerte Jobtauglichkeit ist Brozek wichtig: „Die wichtigste Frage, die ein Arbeitgeber einem behinderten Arbeitnehmer stellen muss, ist: Was brauchst du, damit du deinen Job gut machen kannst?“
Persönliche Assistenz, die sich die behinderte Person selbst organisiert, entlastet auch den Boss: „Viele unserer Kunden wurden früher nach der Probezeit nicht aufgenommen, weil es hieß: Du brauchst so viel Hilfe, du kannst nicht allein die Tür öffnen, kopieren, Ordner von der Ablage nehmen, das geht nicht.“