Waren es im Jahre 2003 Filmtage für Menschen mit Behinderung haben sich diese 2007 zu zwei "GLEICH ANDERS : ANDERS GLEICH Filmfestivals" ausgewachsen. Ein Kommentar von Hans Hirnsperger und Dorothea Brozek.
Immer wenn „Europäische Jahre“ ausgerufen werden, sei es 2003 das Jahr der Menschen mit Behinderung oder 2007 das Jahr der Chancengleichheit für alle, tritt das Bundessozialamt auf den Plan und veranstaltet einen Film- oder Kinoevent.
Die Bezeichnung „Filmfestival“ für diese Art von Veranstaltung entspricht nicht ganz dem, was man unter einem Filmfestival versteht, gibt es doch international seit 10 Jahren echte Disability Film Festivals, die unabhängig von europäischen Jahren regelmäßig stattfinden, einen Filmwettbewerb beinhalten und die von und für Menschen mit Behinderungen kuratiert werden.
Die diesjährige „Gleich-Anders“- Veranstaltung im April 2007 im Wiener Topkino veranstaltet, hat zwar im Vergleich zu 2003 insgesamt eine Qualitätssteigerung aufzuweisen, der Rückgriff auf Filme, die schon auf echten internationalen Festivals gezeigt wurden hat sich gelohnt, es mangelt aber nach wie vor an Grundsätzlichem.
Auswahl
Die Auswahl des Filmes „Der Charme des Makels“ belegt beispielhaft, um was es uns, Personen mit Behinderung, geht. Wir distanzieren uns von jeder Art der Paternalisierung, wir wollen Filme sehen und zeigen, die unser Leben und unsere Kultur ernst nehmen. Der Film „Der Charme des Makels“ erfüllt diesen Anspruch mangelhaft. Einziger Pluspunkt: Den interviewten Frauen wird sehr viel Raum zum Erzählen ihrer Geschichte gegeben, und es sind starke, beeindruckende Lebensgeschichten von großartigen Frauen.
Die Filmemacher aber zeigen uns eine Art Lehrfilm, lassen einen Professor, der die Idee zum Film hatte, langatmig in die Thematik einführen, zeigen den Blick von Männern, die Behinderung und insbesondere Amputationen mit Makel verbinden und die Frauen und ihre Behinderungen in erotisch angehauchter Inszenierung so ins Bild rücken, dass der Film mittlerweile als Kultfilm in der Community der Amelotatisten, das sind Menschen die Amputationen attraktiv und erregend finden, gehandelt wird.
Themenverfehlung?
So passt der Film zum Slogan „Anders-Gleich“, denn diese sexuelle Vorliebe ist „anders“, was hat sie aber mit Behinderung und dem Jahr der Chancengleichheit für alle zu tun? Warum bemächtigt sich ein Projekt für angehende LehrerInnen und andere Studierende zum Thema soziale Kompetenz erotisierender Bilder starker behinderter Frauen? Themenverfehlung und Missbrauch der Kanäle?
Der Film, ein Projekt der Universität Linz mit Mitteln des Sozialfonds gefördert, soll der Ausbildung in Sachen sozialer Kompetenz hilfreich sein. Er zeigt auch Workshops, wo Studierende sich spielerisch verunstalten, Grimassen schneiden und sich als Monster bezeichnen, um sich in das „Anders-Sein“ einzufühlen. Diese Verbindung von Makel – Monster – Behinderung stößt übel auf und in der Kombination mit dem Filmfestival zum Anlass des Jahres der Chancengleichheit für alle gefördert vom Bundessozialamt, welches des Öfteren als das Kompetenzzentrum in Sachen Behinderung genannt wird, ist sie unanständig und verachtend.
Das Bundessozialamt zu seinem Programm: „Das Bundessozialamt Landesstelle Salzburg will mit diesem Filmfestival Klischeebilder von Menschen mit Behinderungen verändern und aufzeigen, dass sie oft über mehr Lebenslust, Hartnäckigkeit und Lebensweisheit verfügen als so mancher von uns Nichtbehinderten. Das beweisen vor allem die Frauen in den für heuer ausgewählten Filmen: so unterschiedlich ihre Schicksale sind, so ähnlich sind sie sich doch in ihrer Stärke. Der Humor, die Komik, die Liebe und die Erotik kommen dabei nicht zu kurz. Lassen Sie sich unterhalten, beeindrucken und inspirieren von diesen Filmen und vor allem: Verändern Sie die Bilder von Menschen mit Behinderungen in Ihrem Kopf!“
Da können wir uns nur wirklich wünschen: Bitte befreit uns von dieser Art Filmfestival. Verändern Sie die Bilder von Menschen mit Behinderungen in Ihrem Kopf! Keine positive Diskriminierung! No patronising!
Alexandra,
03.06.2007, 10:53
Das ist eben eine Gratwanderung! Einerseit möchte man natürlich aufklären (wobei niemand Rechenschaft über sein Sexleben ablegen muss) – dennoch sollte der Umgang mit der nötigen Sensibilität und Distanz erfolgen. Sicherlich könnte man durch „Details“ mehr Aufmerksamkeit erregen, damit rutscht man schnell aber in eine Ecke ab, die man eigentlich nicht will. Amelos sind eben die negative Erscheinung dieser „Aufklärungswelle“, aber Gott Lob nur ein sehr kleiner Teil davon. Und solange mit der nötigen Seriösität darüber gesprochen wird, zieht man diese Leute ohnehin nicht an.
Reinhard Leitner,
03.06.2007, 09:46
Ich hab den Film „Vom Charme des Makels“ auch gesehen und war jetzt über diese Kritik überrascht. Mir hat der Film nämlich gut gefallen (obwohl ich kein Amelo, sondern selbst körperbehindert, bin ;-). Können Sie mir Filme empfehlen, die sich mit dem Thema Behinderung und Sexualität beschäftigen und ihren Kriterien entsprechen? … und dem Statements von Andrea Mielke und Alexandra kann ich mich nur voll und ganz anschließen.
Welchen Vorschlag haben Sie konkret, um die Bilder von Menschen mit Behinderungen in diversen Köpfen zu verändern?
dsa andrea mielke,
02.06.2007, 14:59
… und dennoch, ich finde ihn gut, den film „vom charme des makel“ und würde mir wünschen, dass die lebenswelten behinderter frauen, wie männer, in punkto sinnlichkeit und erotik mehr schwerpunkt in öffentlichkeit und gesellschaft finden. wir lieben und sexen zwar nicht anders, ABER wir haben dennoch andere zugänge und vor allem (geringere) möglichkeiten!
Ano Nym,
01.06.2007, 10:11
Mich interessiert es, wer eigentlich dieses Festival kuratiert?
Alexandra,
28.05.2007, 20:17
** … sie oft über mehr Lebenslust, Hartnäckigkeit und Lebensweisheit verfügen als so mancher von uns Nichtbehinderten … **
Ist auch eine althergebrachte Klischeevorstellung.