Am 1. Dezember 2020 stellte die Lebenshilfe in einer virtuellen Pressekonferenz die neue Studie "2-Säulen-Modell: Einkommen und Bedarfssicherung für Menschen mit Behinderungen" zur chancengleichen Teilhabe am Arbeitsmarkt vor.
Es soll ein Fundament zur Umgestaltung der Behindertenpolitik und des Arbeitsmarktes sein. Am 1. Dezember 2020 präsentierte die Lebenshilfe die neue Studie „Zwei-Säulen-Modell: Einkommen und Bedarfsicherung für Menschen mit Behinderungen“ zur chancengleichen Teilhabe am Arbeitsmarkt in einer online Pressekonferenz.
„Ich frage mich, warum ich, obwohl ich immer gute Arbeit leiste, dafür keine Bezahlung bekomme, sondern immer nur als Kind betrachtet werde“, sagte Hanna Kamrat, Vizepräsidentin der Lebenshilfe Österreich in ihren einleitenden Worten zur Pressekonferenz.
Viele Menschen mit Behinderungen haben eine Begabung, sie arbeiten gerne in der Töpferei oder im Büro, bekommen dafür aber leider nur ein Taschengeld, stellt Kamrat klar.
Hanna Kamrat hat sich gemeinsam mit anderen Selbstvertreterinnen und Selbstvertretern damit auseinandergesetzt, was es braucht, damit Menschen mit Behinderungen einer Arbeit nachgehen können. Für sie ist es ganz wichtig, dass geschaut wird, welche Begabung ein Mensch hat und welche Unterstützung er braucht.
Weiters ist wichtig, dass jeder Mensch mit Behinderung eine Pensionsversicherung hat. Derzeit würde es aber so aussehen, dass man bei der Zuweisung von Unterstützung nicht darauf achtet was ein Mensch kann, sondern darauf was er nicht kann, meint Kamrat und betont:
Wir sind keine Kinder mehr, wir wollen als Erwachsene behandelt werden.
Auch für Eltern von Menschen mit Behinderungen ist die derzeitige Situation unbefriedigend. Friederike Pospischil, Präsidentin der Lebenshilfe Niederösterreich, spricht über ihren Sohn, der in einer Werkstätte arbeitet. Er geht von Montag bis Freitag arbeiten, was ihn von anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unterscheidet, sagt Pospischil, ist, dass er am Monatsersten kein Geld auf dem Konto hat.
Auch ist ihr Sohn bei ihr mitversichert, mit all den Nachteilen, die mitversicherte Angehörige haben. Das führt dazu, dass Menschen wie der Sohn von Frau Pospischil ihr Leben lang auf die Unterstützung der Eltern, auf Spenden oder auf Sozialleistungen angewiesen sind.
Deshalb ist es ihr ein großes Anliegen, dass Menschen in Werkstätten ein Einkommen bekommen und, auch wenn sie ein Einkommen bekommen, die zusätzlichen Unterstützungsleistungen wie Pflegegeld usw. nicht verlieren.
Ein neues Modell der beruflichen Teilhabe
So wie Frau Kamrat oder dem Sohn von Frau Pospischil geht es vielen tausenden Menschen in Österreich. Sie arbeiten, bekommen aber kein Geld und genießen keinen umfassenden Versicherungsschutz. Das führt zu lebenslanger Abhängigkeit.
Das neue Modell soll das beenden und volle berufliche, gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen und die Abhängigkeit von Sozial- und Unterhaltsleistungen beseitigen, sagt Carina Pimpel, Leiterin der Inklusionspolitik der Lebenshilfe, eine Autorin der Studie. Sie beschreibt das Zwei-Säulen-Modell folgendermaßen:
- Die erste Säule des Modells dient der Existenzsicherung, entweder durch ein Einkommen aus einer Erwerbsarbeit oder – wenn es für eine Person nicht möglich ist zu arbeiten, einer Grundsicherung. Die Finanzierung erfolgt über einen Lohnkostenzuschuss, der sich nach der prozentuellen Bewertung des Unterstützungsbedarfs bemisst. Finanziert werden soll das Ganze aus einem Inklusionsfonds. Dieser besteht aus Abgaben von Bund und Ländern und gegebenenfalls noch aus Solidarabgaben von Unternehmen. Die gegenwärtigen Sozialleistungen sollen nicht wegfallen, sondern gehen in den Einkommenskomponenten auf.
- Mit der zweiten Säule sollen die Bedarfe abgedeckt werden. Damit ist gemeint, dass jeder Mensch mit Behinderungen Geld für die Unterstützung bekommen soll, die er oder sie braucht. Zum Beispiel Persönliche Assistenz, Pflegegeld oder sonstige Hilfsmittel.
Keine Arbeitsunfähigkeit mehr
Im Modell geht man davon aus, dass Menschen mit Behinderungen grundsätzlich arbeitsfähig sind. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit und die damit verbundene Ausschließung sollen wegfallen. Das neue Modell zielt auf die Fähigkeiten, Interessen und Stärken eines Menschen mit Behinderung ab.
Corina Pimpel betont: „Unsere Mission ist eine Gesellschaft, in der alle Menschen in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit anerkannt werden. Auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf sollen vollständig partizipieren können“. Es bedarf dazu keiner Dreiteilung des Arbeitsmarktes. Es braucht nur für jeden Menschen Respekt und die Einbringung seiner oder ihrer Fähigkeiten in einem durchlässigen und inklusiven Arbeitsmarkt.
Ob das Zwei-Säulen-Modell wirklich der Beginn eines inklusiveren Arbeitsmarkts ist, wird die Zukunft zeigen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Pressekonferenz sind jedenfalls davon überzeugt, dass es ein erster wichtiger Schritt ist.
Alle Unterlagen zur Pressekonferenz und eine Erklärung des Modells in Leichter Lesen finden Sie auf der Internetseite der Lebenshilfe. Hier geht’s zum Videomitschnitt der Pressekonferenz: Pressekonferenz “2-Säulen-Modell” 01.12.2020
Klaudia Karoliny
08.12.2020, 00:18
bitte noch weiter denken: Inklusion bedeutet arbeiten am „allgemeinen Arbeitsmarkt“ (wenn nötig mit Unterstützung), wie es die UN-BRK auch vorgibt. Somit haben auch die Einrichtungen noch viel zu tun. Ein Lobbying, wie ich dieses sehe, von Lebenshilfe & Co. habe ich mir schon lange gewünscht und es hätte sich auch schon lange gehört, wenn schon die KlientInnen und deren Eltern von Gesellschaft und Politik so geknechtet werden und sind.
Ernestine Bauer
05.12.2020, 19:15
Aha, griechische Säulen aus der Antike also sollen von nun ab das Bollwerk gegen existentielle Diskriminierung für arbeitsleistende MmB in Österleich werden. Allerdings wurden diese bereits vor Jahrtausenden erfunden. Wieso wird dieses erst jetzt aus der Tasche der Lebenshilfe gezaubert?
Angesichts der bisherigen Lebenshilfe-Performace: ein Taschenspieler-Trick??!