Was für ein Gleichstellungsgesetz meinen Sie denn?
Wenn Sie mich fragen, ob wir in Österreich auch ein Gleichstellungsgesetz bekommen werden, dann muß ich an Sie gleich die Gegenfrage stellen: was für ein Gleichstellungsgesetz meinen Sie denn? Etwa so eines wie den „Americans with Disabilities Act (ADA)“ oder so eines wie in Großbritannien, über das die englische Behindertenbewegung alles andere als glücklich ist und das sie SO nie gewollt hat?
Oder mit anderen Worten gesagt: irgendein Gesetz, das diesen Namen trägt, aber nicht wirklich unsere Interessen zum Inhalt hat und unsere Forderungen nicht erfüllt oder eines, das unsere Bürgerrechte ausreichend berücksichtigt und das auch geeignete und wirkungsvolle Sanktionen im Falle einer Nichterfüllung vorsieht.
In Großbritannien gab es bereits in den 70er Jahren die ersten Versuche, ein umfassendes Bürgerrechtsgesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen zu schaffen. Quer durch alle Arten von Behinderung entstand eine starke Lobby, die auch von einzelnen Politikern aus nahezu dem gesamten politischen Spektrum unterstützt wurde.
Als Reaktion auf eine gezielte Stimmungsmache der damaligen Regierung gegen die Forderungen der Behindertenbewegung entstand etwa die „Direct Action“: Dieser militant agierende Zweig der Bewegung erreichte durch sein aktionistisches Auftreten in der Öffentlichkeit – z. B. mit Protestaktionen in und an öffentlichen Baulichkeiten oder Blockaden von städtischen Autobussen und somit auch des Verkehrs -, daß von den Medien über Behindertenthemen endlich ausreichend berichtet und somit auch Druck auf die Regierung ausgeübt wurde.
Gleichzeitig war die englische Behindertenbewegung auch federführend bei der Ausarbeitung eines Antidiskriminierungs- bzw. eines Gleichstellungsgesetzes gewesen, das schlußendlich im Mai 1994 in den Houses of Parliament beschlossen werden sollte.
Doch dazu sollte es nicht kommen, denn der konservativen Parlamentsmehrheit gelang es, mit Hilfe von Geschäftsordnungstricks die geplante Verabschiedung des „Civil-Rights-(Disabled Persons)-Bill“ zu verhindern! Stattdessen brachte die Regierung ihr eigenes Gesetz – das „Disability Discrimination Act (DDA)“ – und beschloß es am 8. November 1995 trotz der massiven Proteste der Betroffenen.
Die Behindertenbewegung war deswegen gegen das ihr aufgezwungene Gesetz, weil es nur eine Art Schmalspurversion ihres eigenen Gesetzes darstellte und u.a. Behinderung nur medizinisch definiert, wichtige Bereiche, wie z.B. die Telekommunikation oder die Erziehung fehlen oder der vorgesehene Behindertenbeirat über keine Möglichkeit zur Durchsetzung der gesetzlichen Bestimmungen verfügt.
Von der Labour Party wurde vor den Wahlen eine engagierte Bürgerrechtsgesetzgebung zugesagt, nach den Wahlen allerdings folgten dem verbalen Engagement nicht die erwarteten konkreten Schritte zur Umsetzung. Das ist auch einer der Gründe dafür, weshalb sich in der englischen Behindertenbewegung der Unmut über Labour immer stärker breitmacht.
Ich habe jetzt für die Entwicklung in Großbritannien etwas mehr Zeit aufgewendet, weil ich finde, daß man davon sehr viel lernen kann: Etwa, wie man die Medien für dieses Thema interessieren kann; daß ein eigener Entwurf auf breitester Ebene diskutiert und ausgearbeitet werden sollte; vor allem das, daß es nicht leicht ist, eine Entwicklung richtig einzuschätzen und vielleicht auch, daß die wahren Verbündeten nicht immer die sind, die VOR den Wahlen als solche erscheinen und überhaupt: daß alles möglich ist.
Wenn Sie mich jetzt immer noch fragen, wie nun die Chancen für ein Gleichstellungsgesetz in Österreich stünden, dann möchte ich Ihnen sagen, daß meiner Einschätzung nach (fast) alles drinnen ist: Von einer relativ umfassenden Lösung mit brauchbaren Rechtsansprüchen wie in den USA bis hin zu einer Lösung, die noch viel weniger Substanz hat als in Großbritannien.
Theoretisch könnte es sogar passieren – und für diese Variante würde die Situation aller anderen Randgruppen bzw. benachteiligten Gruppen in unserer Gesellschaft sprechen – , daß wir in Österreich in absehbarer Zeit überhaupt kein derartiges Gesetz bekommen.
Allerdings halte ich das, wenn man unsere bisherigen – trotz aller Unzufriedenheit nicht unerheblichen – Erfolge in diesem Bereich hernimmt und unter der Voraussetzung eines weiter andauernden und möglichst noch verstärktem Engagements unserer Bürgerrechtsbewegung, für relativ unwahrscheinlich.
Für unwahrscheinlich deswegen, weil wir in diesem Lande ja bereits auf drei Gesetzesinitiativen in den vergangenen Jahren zurückblicken können, die ebenfalls unsere Bürgerrechte zum Inhalt hatten und bei denen unsere Bewegung Erfahrungen sammeln konnte: die Pflegevorsorge, das Benachteiligungsverbot für behinderte Menschen in Artikel 7 des Bundes-Verfassungsgesetzes und die (teilweise) Reparatur von diskriminierenden Bestimmungen in den bestehenden Gesetzen.
Bei der Schaffung einer bundeseinheitlichen Regelung für das Pflegegeld konnten wir unsere Forderungen in einem erheblichen Umfang, beim Benachteiligungsverbot nahezu zur Gänze und bei den diskriminierenden Bestimmungen weniger durchsetzen – aber: Es war in allen drei Fällen so, daß die Regierung und vor allem das Parlament unseren Druck nicht negieren konnte, sondern, abhängig von den Gegebenheiten, in einem sehr unterschiedlichen Umfang, aber immerhin doch tätig werden mußte. Bei dieser Gelegenheit muß festgehalten werden, daß vor allem im Zusammenhang mit Gleichstellungsfragen das Parlament sich weitaus aufgeschlossener zeigte als die Bundesregierung.
Für wahrscheinlicher halte ich eine Situation, wo die Bundesregierung einen von uns ausgearbeiteten Entwurf entschärft – etwa im Bereich der Sanktionen – und diesen dann unter heftigem Schwingen des Weihrauchkessels beschließt, weil sie sich selbst oder der österreichischen Bevölkerung oder auch dem Ausland beweisen möchte, wie aufgeschlossen und weltoffen sie ist. Überhaupt, wenn es sich um behinderte Menschen handelt.
So ein Szenario könnte ich mir durchaus auch bei der jetzigen Mitte-Rechts-Regierung vorstellen; unter Umständen ist die Wahrscheinlichkeit jetzt sogar noch größer als bei der ehemaligen Großen Koalition. Es könnte aber auch eine ähnliche Situation eintreten wie seinerzeit in Großbritannien.
Ganz allgemein gesehen denke ich, könnten sich unsere Chancen beträchtlich verbessern, wenn es uns gelingt
- inhaltlich möglichst stark zu werden
- Verbündete auf breiter Ebene und in allen Lagern zu finden
- einen umfassenden und österreichweiten Diskussionsprozeß in Gang zu bringen
- die Inhalte klar und aktionistisch darzustellen.
So gesehen halte ich es zum jetzigen Zeitpunkt für nicht ungefährlich, einen Gesetzesentwurf im Parlament liegen zu haben – denn wer weiß schon, was einer Regierung so alles einfällt. …
Dieses Referat wurde anläßlich unseres Menschenrechtstages am 23. Oktober 2000 in Wien gehalten.