Die Tage waren von den Turbulenzen um den Prozess gegen den angeblich nicht verhandlungsfähigen Psychiater Dr. Heinrich Gross gekennzeichnet.
Zur Erinnerung: In der Kinderklinik Am Spiegelgrund – heute Krankenhaus Baumgartner Höhe – wurden in der Nazizeit Kinder, die als „nutzlos für die Volksgemeinschaft“ galten, z.B. durch Überdosierung von Medikamenten, die zu einer künstlich herbeigeführten Lungenentzüdnung führte, qualvoll umgebracht. Der damalige Leiter der Anstalt Dr. Ernst Illing wurde nach dem Krieg zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Der damals junge Anstaltsarzt Dr. Heinrich Gross wurde wegen Beihilfe zum Totschschlag zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Wegen eines Formfehlers wurde das Urteil jedoch aufgehoben und später das Verfahren eingestellt.
Schon ab Sommer 1955 arbeitet Dr. Gross wieder als Anstaltsarzt auf der Baugartner Höhe, wo er Primarius wird und als gerichtlich beeideter Sachverständiger für Psychiatrie an zahlreichen Straf-prozessen mitwirkt und bis 1996 damit viel Geld verdient. Er bekommt hohe Auszeichnungen und wird Leiter eines Ludwig-Boltzmann-Institutes.
Erst als Mitte der Neunzigerjahre durch einen Zufall alte Krankengeschichten auftauchen, wird der Fall Gross wieder aufgerollt. Auf Weisung von Justizminister Dr. Michalek werden Vorerhebungen eingeleitet, die schließlich zur gegenständlichen Anklage führen.
Eine von einem Sachverständigen nach der Prozesseröffnung festgestellte Verhandlungsunfähigkeit des 84jährigen Angeklagten verhindert derzeit die Fortsetzung des Prozesses, obgleich ein noch am selben Tag vom Angeklagten gegebenes Fernseh-Interview diese Verhandlungsunfähigkeit wieder fraglich erscheinen lässt.
Ungeachtet des umstrittenen Gesundheitszustandes des betagten Angeklagten, der eine allfällige Freiheitsstrafe wegen Haftunfähigkeit ohnedies nicht zu verbüßen hätte, wäre es bedauerlich, wenn die Verbrechen Am Spiegelgrund auch nach mehr als 50 Jahren wieder nicht aufgearbeitet werden könnten.
Gerade ein gerichtliches Verfahren könnte viel dazu beitragen, mit der traurigen Vergangenheit Österreichs endlich aufzuräumen und den vielfach verschwiegenen Umgang mit dem sogenannten „unwerten Leben“ in aller Öffentlichkeit aufzuzeigen.
Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn jener Mann, der die Menschenrechte wie kaum ein anderer missachtet hat, durch die nunmehrige Einhaltung dieser Menschenrechte vor einer Verurteilung bewahrt bliebe und überdies auch noch die objektive Aufklärung der Am Spiegelgrund verübten Verbrechen verhindern könnte.