Gross: Kurzer Prozeß

Profil: "Gross-Verfahren. Österreichs letzter Prozess wegen eines Naziverbrechens wird voraussichtlich nie stattfinden. Die Opfer klagen die Justiz an."

Heinrich Gross
APA

Volker Dittmann, Gerichtspsychiater und Ordinarius für Rechtsmedizin an der Universität Basel, hat – so berichtet das Nachrichtenmagazin in seiner aktuelle Ausgabe – seinem Sekretariat strikte Order gegeben: „Wir haben Weisung, Anfragen zu seinem Gutachten in Österreich nicht durchzustellen.“

Die Gutachten ist brisant: Dittmann hat – so Profil – dem früheren Wiener NS-Arzt Heinrich Gross, 84, in der Vorwoche attestiert, „dass er nicht mehr in der Lage ist, länger als nur wenige Minuten einer Konversation über neue Sachverhalte zu folgen“.

Das bedeutet laut Profil aller Wahrscheinlichkeit nach, dass der letzte Prozess wegen NS-Verbrechens in Österreich nie geführt werden wird. Gross ist angeklagt, im Rahmen der NS-„Euthanasie“ beim Mord an neun Kindern Mittäter gewesen zu sein, hält das Nachrichtenmagazin fest.

Profil erinnert: „Der erste Prozesstag im heurigen März war nach nur 40 Minuten abgebrochen worden. Damals hatte der österreichische Gerichtspsychiater Reinhard Haller festgestellt, Gross sei nicht verwirrt und verstehe Gegenstand und Sinn des Strafverfahrens. Aufgrund körperlicher und psychischer Verbrechen könne er nur fünf bis zehn Minuten an einem Gespräch teilnehmen, ermüde dann sehr rasch und verfalle in Antriebslosigkeit. Der Angeklagte war trotz seiner Schwerhörigkeit weit entfernt vom Richtertisch entfernt platziert worden und sagte nach dem Vortrag des Gutachters, er habe ihn gehört, aber nicht verstanden. Das Gericht schloss auf Verhandlungsunfähigkeit, vertagte den Prozess und ordnete eine neue Untersuchung Gross` nach einem halben Jahr an.“

Der Londoner „Guardian“ titelte – so erinnert das Nachrichtenmagazin – nach dem Prozessabbruch: „Aufschrei, Ex-Nazi-Doktor geht frei“. Ein Pinochet-Effekt, so der „Guardian“ weiter, habe den Prozess gestoppt. – Der frühere chilenische Diktator Augusto Pinochet war in England als prozessunfähig erklärt worden, schritt das Ehrenspalier bei seiner Ankunft in Chile dann aber überraschend agil ab. Überraschend agil war nach dem kurzen Prozess auch Gross. In einem Café beantwortete er im ORF-Interview Fragen wie jene, warum von der NS-Tötungsklinik „Am Spiegelgrund“ Leiterwagen mit Toten wegfuhren.Gross: „Das hat nur der eine Zeuge da behauptet.“ Am Nachmittag gab er dem ORF für „Im Brennpunkt“ ein weiteres einstündiges Interview. Die TV-Auftritte lösten massiven Zweifel an der Entscheidung des Gerichts aus.

Der Staatsanwalt beantragte das neue, jetzt vorliegende Gutachten. Profil liegen jene Passagen vor, in denen Gross` Interviews beurteilt werden. Auszug: „Bei dem Interview, das Dr.Gross am 21.März gegeben hat, handelt es sich um ganze drei Minuten, außerdem wurde das Interview im Wesentlichen durch Fragen der Journalisten strukturiert. Jedenfalls ist eine derartige Gesprächssequenz auch einem Menschen mit fortschreitender Demenz möglich und lässt in dieser Form keinen Rückschluss auf noch vorhandene psychische Fähigkeiten zu, wie sie aus psychiatrischer Sicht für die Verhandlungsfähigkeit notwendig sind.“

Die „Süddeutsche Zeitung“ beschrieb den Fall Gross bereits als „einen der größten Justizskandale der österreichischen Geschichte.“ Sie bezog sich auf die schweren Vorwürfe gegen das SPÖ-Mitglied Gross Anfang der achtziger Jahre, die unter Justizminister Christian Broda nie untersucht wurden.

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