Großbritannien: Behinderte Frauen und häusliche Gewalt

Warnung: Dieser Blogeintrag behandelt das Thema Gewalt gegen Frauen. Wer sich damit lieber nicht beschäftigen möchte, sollte nicht weiterlesen.

Buch: Disabled Women and Domestic Violence
Jessica Kingsley Pu

Jemand postete den Buchtipp auf Facebook und ich kannte zufällig eine der Autorinnen. „Disabled Women and Domestic Violence“ heißt das Buch. Es war eigentlich nicht das, was ich gerade lesen wollte, aber da ich, wie gesagt, eine der Autorinnen persönlich kenne, war ich neugierig.

Es ist ein Sachbuch, das eine neue britische Studie zu eben diesem Thema auswertet und auf alte Studien zurückgreift. Ich gehe zu Amazon, lade mir das Buch auf mein iPad und fange an, zu lesen und kann gar nicht mehr aufhören. So unfassbar sind die Erkenntnisse aus den Befragungen von behinderten Frauen, die Gewalt durch ihre Partner und Partnerinnen erfahren haben.

Es geht um behinderte Frauen, die eine Mobilitätseinschränkung oder eine sensorische Behinderung haben. Auch wenn es sich um eine britische Studie handelt, ich bin mir sehr sicher, die Erfahrungen lassen sich sehr gut auf andere Länder wie Deutschland übertragen.

Den ersten Hammer finde ich gleich auf den ersten Seiten: „Es gibt Forschungsindizien, die dafür sprechen, dass behinderte Frauen in Großbritannien, unabhängig vom Alter, der sexuellen Orientierung, der Ethnie oder Klasse, doppelt so häufig misshandelt oder vergewaltigt werden wie nicht behinderte Frauen.“

Die Studie untersuchte auch, wieso diese Frauen so häufig in Partnerschaften bleiben, wenn der Partner gewalttätig ist. Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Untersuchung: Sie haben oft kaum eine andere Wahl, vor allem wenn der Partner / die Partnerin gleichzeitig Assistenzleistungen übernimmt und wenn sie sich Hilfe holen, hat kaum jemand Verständnis für ihre Bedürfnisse.

In dem Buch ist ein Fall dokumentiert von einer Frau, die in ihrer Not die Polizei anrief. Die Polizei kam, wollte ihn eigentlich mitnehmen, dann fragte man sie, ob ihr Partner sie denn pflegen würde. Als sie das bejahte, sagte der Polizist zu ihr, dass man ihn dann ja wohl schlecht mitnehmen könne. Die Polizei zog wieder ab und die Frau blieb mit dem gewalttätigen Mann alleine.

Manche Hilfseinrichtungen signalisierten den behinderten Opfern häuslicher Gewalt, dass ihre Hilfsangebote nicht für sie sind, sondern eigentlich nur für nicht behinderte Frauen. Umgekehrt waren kontaktierte Behindertenorganisationen auch oft überfordert.

Ein weiteres Problem sind Frauenhäuser, die gar nicht barrierefrei sind. Und selbst wenn sie es sind, reicht das vielen behinderten Frauen nicht. Sie brauchen nicht nur eine barrierefreie Umgebung, sie brauchen auch Assistenz. Welches Frauenhaus hat aber einen angeschlossenen Assistenzdienst, der sie ins Bett hebt oder zur Toilette bringt?

In dem Buch kommt auch zur Sprache, dass die Gewalt an Frauen häufig zunimmt, wenn die Behinderung fortschreitend ist. Je stärker der Hilfebedarf der Frauen wurde, desto gewalttätiger wurden teilweise ihre Partner und Partnerinnen. Vor allem wenn der Partner oder die Partnerin auch gleichzeitig für die Pflege / Assistenz zuständig war, wurde das gegen die Frauen benutzt, in dem man eben diese Leistungen verweigerte oder die Behinderung ausnutzte, um die Frau zu demütigen. So beschreibt eine Frau wie ihr Partner den Stecker zur Batterie ihres E-Rollstuhls abzog und sie so stundenlang festsaß, ohne sich wegbewegen zu können.

Das größte Hindernis, den / die gewalttätige Partner / Partnerin zu verlassen, sind organisatorische Barrieren wie barrierefreier Wohnraum, Organisation von Assistenz, Verfügbarkeit von Hilfsmitteln aber auch finanzielle Barrieren, die dadurch entstehen, wenn man den Wohnort wechseln will und deshalb ein anderer Kostenträger zuständig wird.

Ein weiteres Hindernis ist vielfach die Einstellung der Umgebung, also dass den Frauen signalisiert wird, sie sollen doch dankbar sein, überhaupt einen Partner zu haben – „in ihrer Situation“. Sie werden oft als asexuell angesehen, was es nicht einfacher macht, beispielsweise eine Vergewaltigung anzuzeigen, und sie werden vielfach nicht als vollwertige erwachsene Persönlichkeiten wahrgenommen. Bei der Einrichtung von Hilfsangeboten werden sie daher teilweise völlig übersehen.

In dem Buch wird sehr gut beschrieben, wie Hilfsangebote aussehen müssen, um für behinderte Frauen zugänglich zu sein. Dabei geht es gar nicht so sehr um bauliche Barrieren (die gibt es natürlich auch), sondern um ein ganzheitliches Konzept.

Das Buch endet mit den Worten: „Dieses Buch war sicherlich sehr erschütternd zu lesen, aber es schließt mit einer hoffnungsfrohen Botschaft ab – es gibt klare und optimistische Wege, um endlich den Bedürfnissen behinderter Frauen gerecht zu werden, die Missbrauch erfahren haben. Wir wissen, was hilfreich ist und wir wissen, was getan werden kann. Alles, was wir tun müssen, ist folgendes zu beachten: – Es darf keine Angebote zu häuslicher Gewalt geben, die nicht das Thema Behinderung beachten. – Es darf keine Angebote für behinderte Menschen geben, die nicht auch geschlechtsspezifische Belange berücksichtigen und Missbrauch beachten.“

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