Grundrechte statt Almosen für Menschen mit Behinderungen

Alle Jahre wieder: So sicher Weihnachten kommt, so sicher läuft im Advent die große „Licht ins Dunkel“-Kampagne des ORF an. Ein Kommentar.

Licht ins Dunkel Plakat und Logo ORF
BIZEPS

Seit Jahren steht „Licht ins Dunkel“ in der Kritik: Der alljährliche Medienrummel bedient diskriminierende Stereotypen, statt Inklusion zu fördern. Es wird ein defizitäres Bild von Menschen mit Behinderungen gezeichnet, die auf Mitleid und Wohltätigkeit angewiesen seien, Exklusion wird damit verfestigt.

Auch der österreichische Monitoringausschuss und die AutorInnen einer Studie zur Darstellung von Menschen mit Behinderungen in den Medien kritisieren das Sendeformat und fordern einen Paradigmenwechsel in der Konzeptionierung. Die größte „humanitäre Hilfskampagne Österreichs“ zeigt sich bisher aber völlig resistent gegenüber Kritik.

Immer wieder werden auch vermeintlich prestigetaugliche Projekte der „Behindertenhilfe“ ins Licht gezerrt, während die Lebensrealität und der Alltag von Menschen, die in Einrichtungen eben dieser Trägerorganisationen leben (müssen), tatsächlich im Dunklen bleiben. Freiheitsbeschränkungen sind Teil des Lebens in Einrichtungen – viel zu oft auch, weil eine barrierefreie Umwelt nicht vorhanden ist.

„Ist da jemand …?“

Die Bewohnervertretung überprüft unangemeldet Freiheitsbeschränkungen in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, die unter das Heimaufenthaltsgesetz fallen.

Besonders seit Beginn der COVID-19-Pandemie waren und sind Bewohner*innen von Wohneinrichtungen besonders strengen Beschränkungen unterworfen, oft weit über das Ausmaß dessen hinaus, was für Menschen gilt, die nicht in Institutionen leben. Ein besonders drastisches Beispiel für die Ungleichbehandlung von institutionalisiert lebenden Menschen.

Besonders schwierig aufzuzeigen und auch zu überprüfen sind Beschränkungen, die auf einem abgegrenzten räumlichen Bereich erfolgen. Diese Beschränkungen sind nicht immer auf den ersten Blick als Freiheitsbeschränkungen zu erkennen, erfolgen oft durch bauliche oder bewusst installierte Barrieren.

So ist etwa das Verlassen eines Stockwerks nicht möglich, weil der Lift nicht bedient, eine Tür nicht geöffnet oder eine Rampe nicht eigenständig überwunden werden kann. Im Einzelfall ist meist schwer nachweisbar, dass vorhandene oder eingebaute Barrieren tatsächlich als Beschränkung der Bewegungsfreiheit wirken bzw. sogar bewusst eingesetzt werden.

Es hängt vom individuellen Unterstützungsbedarf des Bewohners oder der Bewohnerin ab, ob die Barrieren überwunden werden können.

Eigentlich müssten Einrichtungen bestrebt sein, solche Barrieren abzubauen. Die Bewohnervertretung verweist seit Jahren vehement auf Defizite und die Notwendigkeit zahlreicher baulicher Adaptierungen. Reaktionen bzw. Umsetzungen dieser Forderungen halten sich jedoch leider in Grenzen.

Die Bewohnervertretung hat im Rahmen ihrer gesetzlich normierten Überprüfungstätigkeit in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen in Salzburg und Tirol erhoben, wie es um die bauliche Barrierefreiheit dort bestellt ist. Der Großteil dieser Einrichtungen wird von Anbietern betrieben, die dem Verein „Licht ins Dunkel“ angehören.

… der mich rauslässt?

Viele Tagesstätten und Wohneinrichtungen verfügen über keine automatischen Türen, die gerade bei diesen Einrichtungen Standard sein sollten.

Dort, wo automatische Türen vorhanden sind, werden oft Taster angebracht bzw. elektronische Systeme zur Steuerung der Öffnung und Schließung installiert, die als Freiheitsbeschränkungen beabsichtigt sind bzw. zumindest in Kauf genommen werden, da nicht alle Bewohner*innen den Türtaster erkennen oder bedienen können. In manchen Einrichtungen wird beim Öffnen der Türe ein Alarmsignal ausgelöst.

Im Innenbereich bestehen oft bauliche Barrieren in Form von Zwischentüren und Zimmertüren, die vor allem von Rollstuhlnutzer*innen nicht bedient werden können. Komplizierte Anordnungen von Türöffungs-Mechanismen mit 2 Tastern/Druckknöpfen (hoch angebracht) sind ebenso vorzufinden, wie zu schnell schließende und schwere Türen oder schwer bedienbare Drehknäufe.

Weitere Beispiele sind Treppenlifte, die nicht allein nutzbar sind, oder zu steile Rampen. Darüber hinaus haben in vielen Einrichtungen nicht alle Bewohner*innen eigene Zimmerschlüssel. Balkone und Terrassen mit Schwellen sind für Rollstuhlnutzer*innen und Personen mit anderen Mobilitätseinschränkungen nicht erreichbar.

Bewohner*innen sind damit ständig auf Hilfestellung durch Betreuer*innen angewiesen, z.B. wenn sie die Einrichtung verlassen wollen. Ob diese Unterstützung gewährt wird, hängt im Wesentlichen davon ab, ob ein eigenständiges Verlassen der Einrichtung überhaupt erwünscht ist.

Besonders nachts ist davon auszugehen, dass niemand die Einrichtung verlassen soll und dass diesbezügliche Unterstützungen unterbleiben bzw. entsprechende Versuche unterbunden werden.

Barrieren im Alltag …

Artikel 9 der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet Österreich, umfassende Barrierefreiheit zu garantieren. Es ist völlig unverständlich, wenn Einrichtungen der sogenannten Behindertenhilfe den Auftrag zur Umsetzung der UN-BRK nicht ernst nehmen.

Gerade in Bezug auf Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sollten wir davon ausgehen können, dass zumindest diese vollkommen barrierefrei ausgestattet sind und sich an der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und ihren Grundsätzen orientieren.

Dass Menschen in Einrichtungen in ihrer Mobilität einschränkt werden, weil sie keine barrierefreie Umwelt vorfinden, widerspricht klar der UN-BRK.

Und da ist noch nicht mal darüber gesprochen, dass die Heime generell abgeschafft werden müssten, um das in Artikel 19 der UN-BRK festgelegte Recht auf selbstbestimmtes Leben zu verwirklichen, indem Unterstützung durch gemeindenahe Dienstleistungen und persönliche Assistenz für gleichberechtigte Teilhabe ausreichend zur Verfügung gestellt wird.

So ist z.B. das kurz vor der Eröffnung stehende „neue“ Heim „Konradinum“ des Landes Salzburg in diesem Zusammenhang genau der falsche Weg. 

… und im Kopf

Zurück zu „Licht ins Dunkel“: Neben der völlig verzerrten Darstellung des Lebens von Menschen mit Behinderungen und der Instrumentalisierung als Objekt der mildtätigen Fürsorge stellt sich eine ganz grundsätzliche Frage: Müssen notwendige und sinnvolle Unterstützungen und Förderungen für Menschen mit Behinderungen aus Spenden finanziert werden?

Die Antwort ist einfach, wird aber nicht gern gehört: Nein. Die Behindertenrechtskonvention verpflichtet Österreich, als Vertragsstaat dafür zu sorgen, dass Grundrechte gelebt werden können. Das Festhalten an Hochglanz-Wohlfühl-Mildtätigkeit, ausgrenzenden Sonderstrukturen und Verweigerung menschenrechtlicher Grundsätze ist nicht zu rechtfertigen.

Die mächtigsten Barrieren im Kopf sind die Vorstellungen, dass Menschen mit Behinderungen in Spezialeinrichtungen untergebracht und dort Spezialregeln unterworfen werden müssen, dass deren Leben defizitär ist, dass Menschen mit Behinderungen in einem der reichsten Länder der Welt auf eitel inszenierten Spendenrummel und Mildtätigkeit angewiesen sind.

Die Vorstellung, dass Barrierefreiheit ein freiwilliges Zusatzprogramm und Entgegenkommen für Menschen mit Behinderungen wäre, ist aus menschlicher und auch menschenrechtlicher Sicht eine Fehlannahme.

Barrierefreiheit muss eine grundsätzliche Anforderung an unsere Lebensumwelt und Gesellschaftsgestaltung sein – und zwar unabhängig davon, ob und wie viele Personen sie aktuell benötigen. Es profitieren alle davon.

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4 Kommentare

  • Sehr geehrter Herr Wahl,
    ich bedanke mich für Ihre Ausführungen.
    Leider erleben wir das, was Sie zu Papier geben tatsächlich hautnah mit und das schon jahrelang!!
    Es ist ja gut , wenn aufgezeigt wird, doch das allein genügt leider nicht, um eine Änderung im Sinne der Betroffenen herbei zu führen.
    Da bedarf es wohl mehr!

  • Herr Wahl!
    Ich stimme Ihnen in vielen Punkten Ihres Artikels zu. Jedoch empfinde ich Ihren Artikel in seiner Gesamtheit als wenig konstruktiven Rundumschlag gegen eine ganze Branche. In einer gewissen Art und Weise gehören Barrieren zu unserem Leben. Ich muss bei einer roten Ampel stehen bleiben, ich darf nicht einfach in eine fremde Wohnung gehen usw. Ich frage mich, ob einer Person geholfen ist, die aus kognitiven Gründen keinen Türoffner betätigen kann, wenn sie Aufgrund einer automatischen Türe auf die Straße gelangt und die Gefahren nicht einschätzen kann. Ich frage mich auch ob es allen Menschen mit Behinderung wirklich besser geht, die jetzt in eigenen Wohnungen leben und sozial vereinsahmen.
    Menschen mit Behinderung sind keine homogene Gruppe und es gibt ganz viele Bedürfnisse und es gibt ganz viele Einrichtungen mit Mitarbeiter*innen, die versuchen bestmögliche Arbeit zu leisten.

  • Vielen Dank für diesen, mir die Augen öffnenden, Artikel. Es ist ja gerade alles noch schlimmer als ich es mir gedacht habe in Einrichtungen!
    IST DA JEMAND, der oder die aus diesem Zustand heraushilft? Hier könnten alle mitanpacken, vom Bundespräsidenten angefangen, der unserer Nation ins Gewissen redet, den Politiker*innen aller Parteien, bis über Promis mit ihrer Medienpräsenz, …

  • Life is Life, traralalala …