Grundsatzerklärung anlässlich des „Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen 2003“

Verabschiedet auf der Bundestagung von Selbstbestimmt Leben Österreich in Linz vom 6.-8. 9. 2002

SLIÖ Selbstbestimmt Leben Initiative Österreich
SLIÖ

Behinderung:
Behinderung ist nicht auf die einzelne Person fokussiert zu sehen. Behinderung ist immer im politischen und sozialen Kontext zu sehen. Behinderung ist ein Problem ungleicher Machtverhältnisse.

Eine Behinderung liegt dann vor, wenn man auf Grund von faktischen Beeinträchtigungen diskriminiert wird und es einem daher nicht möglich ist, wichtige, persönliche und soziale Erfahrungen zu machen und einem eine chancengleiche Teilhabe an der Gesellschaft verwehrt wird. Behinderung ist ein Faktum, das keiner Bewertung unterliegen darf, sondern ist ein Aspekt in der Vielfalt des Menschseins.

Diskriminierung, Benachteiligung:
Aber: Menschen mit Behinderung werden diskriminiert. Sie sind eine massiv benachteiligte Gruppe der Gesellschaft. Das betrifft unter anderem Ausbildung, Arbeit, Einkommen, Wohnen, soziale und politische Möglichkeiten.

In der gängigen Sichtweise wird der behinderte Mensch, konkret dessen faktische Beeinträchtigungen, als das Problem betrachtet. Es wird als Ziel gesehen, dass diese „Defizite“ durch Therapie und Trainings soweit ausgeglichen werden, die behinderte Person soweit wie möglich an die herrschende Norm anzupassen. Behinderte Menschen, die nicht dazu in der Lage sind oder sein wollen, werden von der nicht-behinderten Gesellschaft noch mehr ausgegrenzt.

Die Selbstbestimmt Leben – Bewegung hingegen ortet das Problem in den unzureichenden Verhältnissen, den damit verbundenen laufenden Diskriminierungen behinderter Menschen und auch in der ständigen Bevormundung durch nichtbehinderte Personen. Daher gilt es, die bestehenden Rahmenbedingungen zu verändern und nicht die behinderten Menschen.

Selbstbestimmung:
Eigenständigkeit ist ein Recht, das Menschen mit Behinderung oft verwehrt wird, das jedoch für alle Menschen integraler Bestandteil ihrer Menschenwürde ist. Behinderte Menschen müssen die volle Entscheidungsgewalt über ihr Leben erhalten.

Selbstbestimmt zu leben heißt, Kontrolle über das eigene Leben zu haben, basierend auf einer Wahlmöglichkeit zwischen akzeptablen Alternativen. Die Abhängigkeit von den Entscheidungen anderer wird minimiert. Das schließt das Recht ein, die eigenen Angelegenheiten selbst regeln zu können, am öffentlichen Leben teilzunehmen, verschiedenste soziale Rollen wahrnehmen zu können. Entscheidungen zu treffen, ohne dabei in eine psychologische oder körperliche Abhängigkeit anderer zu geraten.

Alle Menschen mit Behinderung haben ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und auf eine chancengleiche Teilhabe an der Gesellschaft. Egal ob die Person zur Ausführung der Entscheidungen Hilfe durch andere braucht, ob sie Hilfe braucht, um zu Entscheidungen zu kommen. Egal, welche Form der Beeinträchtigung die Person hat und welche Form der Unterstützung sie in welchem Ausmaß sie benötigt. Keinesfalls kann es geduldet werden, dass Menschen mit Behinderung von den vorgegebenen Strukturen fremdbestimmt werden.

Gleichstellung:
Gleichstellung ist eine Voraussetzung, um selbstbestimmt leben zu können. Eine umfassende Gleichstellung kann nur durch gesetzliche Maßnahmen erreicht und abgesichert werden.

Daher fordert die Selbstbestimmt Leben – Bewegung ein Bundes-Behindertengleichstellungs-gesetz und daraus folgend entsprechende Landesgesetze.

Gemäß der österreichischen Bundesverfassung darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Erst durch ein Behinderten-Gleichstellungsgesetz erschließen sich für Menschen mit Behinderung die gleichen Chancen und Möglichkeiten wie für Menschen ohne Behinderung, einen ihren Wünschen entsprechenden Platz in der Gesellschaft zu finden. Dieses Gesetz muss sich auf alle Bereiche des Lebens beziehen und sich auf sämtliche Sparten der Gesetzgebung auswirken.

Insbesondere muss ein Gleichstellungsgesetz jeder behinderten Person durchsetzbare Rechte einräumen, gegen Diskriminierungen vorzugehen.

Deshalb müssen v.a. folgende Forderungen der Selbstbestimmt Leben – Bewegung in einem Gleichstellungsgesetz umgesetzt werden:

Persönliche Assistenz, Unterstützung:
Jeder Mensch mit Behinderung muss die benötigte Assistenz in der von ihm gewünschten Form und in ausreichendem Umfang erhalten. In seiner Rolle als Kunde von Dienstleistungen muss er aus für ihn akzeptablen und finanzierbaren Möglichkeiten zur Unterstützung der individuellen Lebensführung wählen können

Bildung:
Jedem Menschen mit Behinderung muss der Zugang zu allen Bildungseinrichtungen (Kindergärten, Schulen, Universitäten, Erwachsenenbildungsstätten) uneingeschränkt möglich sein. Dazu müssen alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen und bauliche Barrieren beseitigt werden. In allen Bildungseinrichtungen muss es möglich sein, anerkannte Teilqualifikationen zu erlangen.

Wohnen:
Auch Menschen mit Behinderung müssen das Recht haben, dort zu wohnen, wo sie wollen. Egal, ob und welche Form von Hilfen sie brauchen. Die Schaffung barrierefreier Wohnräume zu leistbaren Preisen muss verstärkt werden. Jeglicher Wohnraum, der neu geschaffen wird, muss barrierefrei oder zumindest anpaßbar sein.

Beruf, Einkommen:
Der Zugang zu einer beruflichen Erwerbstätigkeit muss allen behinderten Menschen offen stehen. Darüber hinaus müssen berufstätige Menschen mit Behinderung Anspruch auf Assistenz am Arbeitsplatz und/oder auf andere Unterstützungsformen haben, um eine gleichberechtigte Chance im Berufsleben zu haben.

Teilhabe am öffentlichen Leben:
Öffentlich benutzbare Gebäude, Verkehrsflächen und Transportmittel müssen so gestaltet sein, dass der Zugang ungehindert und barrierefrei, sowie die Benützbarkeit für behinderte und nicht behinderte Menschen gleichwertig möglich ist.

Teilhabe am kulturellen Leben:
Die Teilhabe an kulturellem Leben und Freizeitgestaltung muss im Rahmen der regulären Angebote allen Menschen mit Behinderung uneingeschränkt möglich sein.

Information und Medien:
Informationen in sämtlichen Medien müssen so präsentiert werden, dass sie allen Menschen mit Behinderung zugänglich und verständlich sind. Dies erstreckt sich beispielsweise auf Gesetzestexte, behördliche Schriftstücke, Gestaltung von Internetseiten, Gebrauchsanweisungen, Aufbereitung von Radio- und Fernsehsendungen.

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