Grundsatzlose Diskussion um Geldbeschaffung?

Treffsicherheit von Sozialleistungen:

kein Geld
BilderBox.com

Unter dem Titel „Überprüfung der Treffsicherheit von Sozialleistungen“ wird seit mehreren Wochen auf Initiative der österreichischen Bundesregierung eine rege öffentliche Diskussion geführt, die neuerlich zur massiven Verunsicherung und Verängstigung der österreichischen Bevölkerung geführt hat.

Dies vor allem deshalb, weil es vordergründig nicht um eine effizientere und vielleicht gerechtere Gestaltung unseres Sozialsystems (Vermeidung von Doppel- und Mehrgleisigkeiten und Nutzung von Synergien z.B. im Rehabilitationsbereich etc.), sondern ausschließlich darum geht, dem Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2002 das Budgetdefizit auf Null zu bringen, durch weitere Einsparungen im Sozialbereich näher zu kommen.

Dies haben vor allem die verschiedensten Vorschläge von sog. Experten zu den Sozialleistungen für Behinderte und chronisch Kranke (z.B. Unfallversicherung, Pflegegeld etc.) sehr deutlich gezeigt.

Erschreckend, ja geradezu empörend ist, daß dabei fundamentale und bewährte Grundsätze unseres Systems der sozialen Sicherheit und Grundlagen letztendlich des sozialen Friedens in unserer Republik leichtfertig über Bord geworfen werden und die menschlich-soziale Komponente als Tragsäule unseres Kulturkreises zerstört wird . Dies sei anhand von drei Beispielen dokumentiert:

  1. Einkommensabhängigkeit des Pflegegeldes:
    Bereits vor einigen Jahren wurde im Zuge einer gleichartigen Diskussion bewiesen, daß, wenn man ab einer Einkommensgrenze in Höhe der Höchsbeitragsgrundlage in der Pensionsversicherung (rund ATS 43.000.- brutto, das sind netto rund ATS 29.000.-) Pflegegelder kürzen oder streichen will, der Aufwand der Einkommensermittlung höher ist, als der Einsparungsertrag, weshalb sinnvollerweise davon Abstand genommen wurde.Schon aus diesem Grund ist dieser Vorschlag überflüssig.

    Außerdem gilt es (einem verfassungsrechtlichen Grundsatz entsprechend) zu berücksichtigen, daß die Pflegegelder nur ein Zuschuß zu pflegebedingten Mehraufwendungen ist und „Reichere“ ohnehin höhere Eigenleistungen aufgrund ihres Einkommens zu leisten haben (z.B. höhere Zahlungen für Heimhilfen) und darüber hinaus durch höhere Steuerleistungen auch mehr zur Finanzierung der Pflegegelder beitragen.

    „Reiche“ Familien mit einem Schwerstpflegebedürftigen (Kosten für Pflege und Betreuung rund 35 – 40.0000 Schilling) werden zu Fällen für die Sozialhilfe. Der Grundsatz, ein selbstbestimmtes und selbstorientiertes Leben führen zu können wäre mit einem Schlag vernichtet und auf dem Altar der Geldbeschaffung geopfert.

  2. Streichung der Unfallrente bei Erwerbseinkommen:
    Die gesetzliche Unfallversicherung wurde vor über 100 Jahren geschaffen, um Unternehmer von ihrer oft ruinösen, auf den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts basierenden Haftung bei Arbeitsunfällen (Schadenersatzansprüche der verunfallten Arbeitnehmers) zu befreien.

    Deshalb werden Unfallversicherungsbeiträge auch nur vom Arbeitgeber bezahlt. Will man tatsächlich die Versehrtenrenten beim Zusammentreffen mit Erwerbseinkommen streichen müssen einerseits die Bestimmungen über den Schadenersatz im Privatrecht geändert werden, da zum eingetretenen Schaden ja vor allem auch Ersatz für körperliches (z. B.dauernde Schmerzen beim Verlust von Gliedmaßen) und psychisches (z. B. Benachteiligungen in Beruf und Gesellschaft, Abwenden des Ehepartner vom Verunfallten) Ungemach zählen. Oder soll es so sein, daß künftig der Verunfallte wieder seinen Arbeitgeber auf Schmerzensgeld klagen soll??

    Seinen Arbeitsplatz verliert der Behinderte dann sicher auch noch (Dann hat er wenigstens kein Erwerbseinkommen mehr und bekommt Versehrtenrente!). Vom „Versicherungsprinzip“ in der gesetzlichen Unfallversicherung kann dann jedenfalls nicht mehr gesprochen werden. Behinderte UND Unternehmer werden sich bedanken.

  3. Versicherungspflicht statt Pflichtversicherung in der Krankenversicherung:
    Abschreckendste Beispiele aus Deutschland und dem anglo-amerikanischen Raum zeigen, wie unnötig und für Ältere und Behinderte gefährlich, weil existenzbedrohend dieser Vorschlag ist. Worum geht es? Derzeit (Pflichtversicherung) ist jede/r Erwerbstätige kraft Gesetz krankenversichert und seiner jeweils zuständigen Versicherungsanstalt zugeordnet.

    Ein Wettbewerb innerhalb der Versicherungen um das Buhlen um (kostengünstige) Versicherte wird damit vermieden. Das Solidaritätsprinzip der Pflichtversicherung gewährleistet überdies Versicherungsleistungen allen Patienten ohne Rücksicht auf Alter, Gesundheitszustand oder Einkommen gleichermaßen zustehen und von der Versichertengemeinschaft je nach Einkommenshöhe anteilsmäßig finanziert werden. Versicherungspflicht bedeutet, daß zwar jeder versichert sein muß, er kann sich aber seine Versicherungsanstalt aussuchen.

    Die (dann noch?) gesetzlichen Krankenversicherungen treten gegeneinander in einen Wettbewerb ein (Werbeausgaben werden im Gegensatz zu jetzt notwendig), um möglichst viele risikoarme, sprich junge und gesunde Versicherte zu akquirieren. Ältere, behinderte und kranke Menschen werden, weil ein höheres Kostenrisiko für die Versicherung, höhere Beiträge zu entrichten haben oder Leistungseinschränkungen hinnehmen müssen (z.B. keine modernen und teureren Behandlungen). Solidaritätsprinzip ade!

Es ist höchst an der Zeit, daß (auch) in der Diskussion um die Treffsicherheit von Sozialleistungen man sich wieder der Grundwerte unseres Systems der sozialen Sicherheit, die Generationen vor uns mühsam aufgebaut wurden, besinnt. Der KOBV bekennt sich zu diesen Grundwerten der Solidarität und wird sich damit Gehör verschaffen. Der Mensch, insbesonders der behinderte und hilfsbedürftige und sein Schicksal und sein körperliches und seelisches Leid müssen Mittelpunkt und absolute Priorität politischen Handels bleiben.

Sparsamer Umgang mit öffentlichen Geldern ist nötig, darf aber nicht zur Zerstörung unseres Zusammenlebens in Frieden und sozialer Gerechtigkeit führen. Es ist zu fürchten, daß die Schmerzgrenze des Zumutbaren in Kürze erreicht ist.

Eine Diskussion um die Treffsicherheit von Sozialleistungen ist nur dann sinnvoll, wenn sie dadurch rascher und effizienter beim Normadressaten ankommen, durch Synergien vielleicht Einsparungen ermöglichen, aber jedenfalls von den bewährten Grundsätzen unseres Wertesystems ausgeht, ansonsten wird sie zur grundsatzlosen Geldbeschaffungsaktion mit ungeheurer sozialer Sprengkraft.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich