Barrierefreiheit möchte er in Zukunft nur mehr dort, "wo den Betroffenen auch tatsächlich geholfen ist". Wo das konkret seiner Meinung nach ist, teilte er im Interview nicht mit.

Den sozialen Wohnbau möchte Haimbuchner nicht mit 100 %iger Barrierefreiheit überstrapazieren. Hier sieht er Sparpotenzial.
Die Aufregung war groß, als Landesrat Haimbuchner Anfang Juli 2010 im Rahmen einer Pressekonferenz seine Einsparungsvorschläge bei der Wohnbauförderung präsentierte. Stein des Anstoßes war u.a. die Formulierung „Barrierefreiheit: Eine flächendeckende Barrierefreiheit ist überzogen. Die Standards für barrierefreies Bauen sind vernünftig, jedoch nur dort, wo sie tatsächlich benötigt werden. Beispielsweise in Senioren- und Pflegeheimen.“
Was damit konkret gemeint ist, war in der Tragweite nicht abschätzbar. BIZEPS-INFO führte daher folgendes schriftliche Interview mit dem oberösterreichischen Wohnbau-Landesrat, Dr. Manfred Haimbuchner (FPÖ). Die Fragen stellten Mag. Manfred Fischer und Martin Ladstätter.
Interview
BIZEPS-INFO: In Ihrem Antwortbrief an uns schrieben Sie: „Die 100%ige Barrierefreiheit für alle neu zu errichtenden Wohnungen halte ich wegen der Finanzierbarkeit für äußerst problematisch und denke, dass ein dem tatsächlichen Bedarf entsprechendes Verhältnis angestrebt werden sollte.“
Einschlägige Studien aus Deutschland, der Schweiz (Studie der ETH Zürich – Eidgenössische Technische Hochschule Zürich) und Österreich (Bundesland Tirol, Salzburg) haben laut Experten ergeben, dass im Wohnbau bei vorausschauender Planung lediglich Mehrkosten der Barrierefreiheit von 3,5 Prozent zu erwarten sind (einschl. Lift).
In einer Studie der ETH Zürich zum Thema Kosten von Barrierefreiheit kommen die Experten zum Schluss, dass sich die Mehrkosten (abhängig vom Gesamtvolumen des Gebäudes) in der Höhe der Endreinigungskosten nach Baufertigstellung bewegen. Sind diese Mehrkosten Ihrer Meinung nach wirklich nicht finanzierbar?
Landesrat Dr. Manfred Haimbuchner (FPÖ): Natürlich ist Barrierefreiheit finanzierbar. Es schmälert allerdings die Bauleistung. Das heißt, es gibt weniger Wohnungen. Daher hinterfrage ich den Sinn und spreche von Bauvorschriften, die wieder auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren sind. Damit stelle ich nicht ausschließlich die 100 %ige Barrierefreiheit in Frage. Ich kritisiere auch andere Bauvorschriften, z.B. dass Notkamine verlangt werden, die dann zu verschließen sind, oder die Vorschrift, dass pro 50 m2 Wohnfläche ein Fahradabstellplatz zu errichten ist.
Um aber bei der Barrierefreiheit zu bleiben: Liftkosten, Grundkosten für überbreite Stiegenhäuser, die Situierung von Allgemeinräumen dort, wo der Einbau von barrierefreien Wohnungen Sinn machen würde, kommt nicht nur in der Errichtung teuer, sondern auch in der Erhaltung. Experten, die davon sprechen, dass sich die Kosten hier lediglich im Bereich der Endreinigung bewegen, sind mir nicht bekannt.
BIZEPS-INFO: Sie werden in den Oberösterreichischen Nachrichten mit folgenden Worten zitiert „Nachträgliche Umbauten, wo diese benötigt werden, werden ja ebenfalls gefördert und sind billiger“. Welche Berechnungen liegen Ihrer Feststellung zu Grunde?
Landesrat Haimbuchner (FPÖ): Würde man die Frage der Barrierefreiheit nach rein mathematischen Gesichtspunkten beurteilen (wie Sie das soeben machen), dann müsste konsequenter Weise auch eine Gegenüberstellung des Bedarfs an barrierefreien Wohnungen mit der Anzahl an gehbehinderten Menschen nach sich ziehen. Ich mache das nicht und trete dafür ein, eine vernünftige, Anzahl an barrierefreien Wohnungen dort zu errichten, wo den Betroffenen auch tatsächlich geholfen ist. Ändern sich die Lebensumstände infolge durch Unfall oder Krankheit, halte ich es für sinnvoller, eine Wohnung bedarfsgerecht zu sanieren, als 100 % barrierfrei zu errichten.
BIZEPS-INFO: 22 Prozent der oberösterreichischen Bevölkerung gehören derzeit der Generation 60+ an. Ihre Zahl wird in den nächsten zehn Jahren auf 26 Prozent und damit 315.000 Personen steigen – unsere Gesellschaft wird also immer älter. Damit werden auch Menschen mit Gehbeeinträchtigungen immer mehr. Nicht barrierefreier Wohnbau bedeutet auch, dass Personen in Zukunft dazu verurteilt sind, bei Eintritt von Behinderung durch Unfall oder Alter – in einer Situation, in der sie ohnehin ausreichend Schwierigkeiten haben – die Wohnung wechseln zu müssen. Sehen Sie nicht den volkswirtschaftlichen Schaden, den Sie damit hervorrufen?
Landesrat Haimbuchner (FPÖ): Die Menschen mit Gehbehinderung werden mit zunehmendem Alter sicher mehr. Aber es werden sicher nicht 100 % der von Ihnen zitierten 26 % sein. Und selbst wenn Sie von 26 % sprechen, dann stellt sich schon die Frage, ob 74 % der Bevölkerung barrierefreie Wohnungen brauchen.
BIZEPS-INFO: Sie hielten in einem Schreiben an uns fest: „Die Standards für barrierefreies Bauen sind vernünftig, jedoch nur dort, wo sie tatsächlich benötigt werden. Beispielsweise in Senioren- und Pflegeheimen.“ Welche Bereiche wollen Sie in Zukunft KONKRET nicht mehr barrierefrei ausgestalten?
Landesrat Haimbuchner (FPÖ): Konkret sind es die 100 %, die ich nicht mehr barrierefrei fördern möchte. Eine bestimmte Anzahl an Wohnungen pro Hausanlage, ebenerdig situiert und daher leicht zu erreichen, macht Sinn, barrierefrei errichtet zu werden. Aber bei einer Dachwohnung stellt sich schon die Frage, ob hier der soziale Wohnbau nicht überstrapaziert wird.
BIZEPS-INFO: Waren Sie selbst schon ein Mal temporär behindert (Gipsfuß) und auf Barrierefreiheit angewiesen?
Landesrat Haimbuchner (FPÖ): Ja, und mein Elternhaus, in dem ich wohne, wurde auch nicht barrierefrei errichtet. Probleme gab es natürlich, aber sie waren zu bewältigen. Ihre Frage bestätigt aber etwas, was der gesamten Diskussion um die Barrierefreiheit zueigen ist: Behinderungen können vielfältig sein, gesprochen wird aber von der Gehbehinderung.
BIZEPS-INFO: Wir danken für das Interview.
Bernold,
25.09.2015, 18:44
Ich beziehe mich auf den letzten Satz Hambucher´s:
„Behinderungen können vielfältig sein, gesprochen wird aber von der Gehbehinderung“
Viel schlimmer sind aber die Behinderungen die man nicht auf den ersten Blick sieht, die sich auf den freuien Raum zwischen den Ohren bezieht.
Wen ich da jetzt meine dürfen sie sich denken.
wolfgang temmel,
11.04.2012, 14:03
setzen wir den sparstift an! ja! sparen wir solche politiker ein.
hannes wiesinger,
23.10.2010, 11:08
Herr LR Dr. Manfred Haimbuchner ist scheinbar ein Realitätsverweigerer. Nur so kann ich mir seine starrsinnige Haltung erklären. Aus seinen Antworten entnehme ich, dass er sich bisher nicht wirklich mit dem Thema und den Argumenten, die für eine barrierefrei gestaltete Umwelt im Sinne von Design for all sprechen, beschäftigt hat – siehe z. B. Kosten – sondern sich vermutlich auf die Kommentare einiger Einflüsterer verlässt, die ebenso wenig Ahnung von der Materie haben.
Diese Forderungen nach einer barrierefreien Umwelt kommen nicht von ein paar wild gewordenen Menschen mit Behinderung sondern basieren ja auf nationalem bzw. internationalem Recht. – Ich bin gerne bereit Herrn Haimbuchner ein paar Nachhilfestunden, beginnend mit Artikel 7 Abs. 1. der Österr. Bundesverfassung, zum Thema Barrierefreie Gestaltung unserer gebauten Umwelt zu geben. Bei dieser Gelegenheit könnte ich ihn auch mit ExpertInnen bekannt machen, welche ihm z. B. erklären wie viel die Bauendreinigung kostet, weil er ja diese, laut Interview, noch nicht kennt.
Ich bin nur langsam das Herumeiern bei der Beantwortung der Fragen in den bisherigen Interviews leid. Eine kurze Antwort hätte alles auf den Punkt gebracht: „Quantität vor Qualität“ – Sprich: Lieber am Ende eine höhere Anzahl von neu gebauten Wohnungen vorweisen, auch wenn sie im Bezug auf allgemeine Zugänglichkeit und Barrierefreiheit Schrott sind, als z.B. vorher einige Gedanken in Richtung Volkswirtschaft zu verlieren.
Das tragische an dieser Geschichte ist, dass durch diese Haltung irreversible Prozesse eingeleitet werden, die später, wenn man dann doch so manche Verantwortungsträger dahinter kommen, dass die Idee doch nicht so gut war, nicht barrierefrei zu bauen, nur, wenn überhaupt, mit einem eklatanten Mehraufwand wieder repariert werden können. – All diese Entscheidungen finanzieren Herr Haimbuchner und Konsorten ja nicht aus der eigenen Tasche sondern dürfen wir mit unseren Steuergeldern finanzieren!
Klaudia Karoliny,
20.10.2010, 12:04
schon was von der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung gehört, Herr LR Haimbuchner?
Von voller Teilhabe am Leben und in der Gesellschaft ist hier die Rede und von der Barrierefreiheit auch, die im übrigen für alle Menschen sinnvoll ist sowie zur Unfallverhütung beiträgt.
Jürgen Maier,
18.10.2010, 08:56
Warum wird Barrierefreiheit immer auf Menschen mit Behinderungen reduziert? Natürlich, profitieren diese von Barrierefreiheit – aber alle anderen Menschen auch! Ich möchte den Kinderwagen nicht in den ersten Stock tragen müssen. Schwere Einkäufe transportiere ich lieber mit dem Aufzug als über die Stiege. Und trotz ihrer Gehbehinderung möchte ich meine Tante zu mir in die Wohnung einladen können … Also, nicht an der falschen Stelle sparen!
Anna Meier,
15.10.2010, 10:05
Wieso ist ein Landesrat nicht daran interessiert, allen Bürgerinne und Bürgern Bewegungfreiheit zu geben. Wieso muss ich als Bürgerin solche Leute, von meinem Steuergeld bezahlen.
Solchen Personen zu sagen, das Barrierfreiheit, wenn man Sie von Beginn an plan und umsetzt kaum Mehrkosten versursacht, allen Menschen von Nutzen ist (Familen mit Kindern, älteren Personen – ah ja Herr Landesrat will ja alle ins Heim stecken – Liferanten, usw. Dass Barrierefreiheit auch volkswirtschaftlich von Nutzen ist, weil sie erwiesener Maßen Unfälle verhindert, dass es im Falle von Katastrophen weniger Opfer gibt, dass man sich in einer Barreifreien Wohnung generell wohler fühlt, das alles hat eh keinen Sinn, weil diese Leute das nicht hören wollen. Mir war immer klar, dass dort, wo die FPÖ etwas zu sagen hat, behinderte Menschen, die Ersten sind, die unter die Räder kommen. Also liebe Leute, überlegt euch gut, wem ihr eure wertfolle Stimme gebt.
Gloria Petrovics,
15.10.2010, 08:58
Da war wieder einmal die Buberlpartie am Werk … Es wird wohl nur eines helfen: den Herrn Landesrat einen Tag (oder eine Woche lang?) an den Rollstuhl „fesseln“ (wörtlich gemeint). Windeln nicht vergessen, weil er dabei auf lauter nicht barrierefreie Toiletten stoßen wird … Dann wird er vielleicht endlich am eigenen Leib merken, dass „die Probleme, die es gab,zu bewältigen sind“.
Ich habe schon viele Beamte und Politiker mittels Rollenspielen geschult,ob dieser konkrete allerdings lernfähig ist, sei natürlich dahingestellt.
wolfgang glaser,
13.10.2010, 13:54
Landesrat Haimbuchner kann einfach nicht begreifen, dass von Barrierefreiheit alle Menschen profitieren und nicht nur Menschen mit Behinderung !!!!!!
Markus Ladstätter,
13.10.2010, 09:49
Zum Thema: Abgesehen von den gesetzlichen und moralischen Verbindungen ist es einfach zu kurz gedacht.
Zwei Beispiele aus meiner Umgebung:
1. Ich konnte z.B. meine Geschwister noch nie in ihren Wohnungen besuchen weil sie eben nicht stufenlos erreichbar sind.
2. Ein Freund von mir zog in einen komplett neu aufgebautes Wohnhaus (ausgehöhlt), bei dem die Wohnung zwar mit Lift erreichbar wären, zum Lift selbst allerdings Stufen sind. 2 oder 3 Wochen nach dem Einziehen, hatte einer der Bewohner einen Unfall mit Folge Querschnittlähmung und es musste alles umgebaut werden.
Zur Person Haimbuchner: http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/560132/index.do
meia,
13.10.2010, 07:17
Zu den Ausführungen von Ing. Gerhard Lichtenauer ist fast nichts hinzuzufügen. Besonders der Satz von Landesrat Haimbuchner ist bezeichnend: „Natürlich ist Barrierefreiheit finanzierbar. Es schmälert allerdings die Bauleistung“. Er denkt auch nicht an Einsatz- und Rettungskräfte, die eventuell mit der Tragbare – „überbreite“ Stiegenhäuser benutzen müssen. Was mich wundert ist, dass Haimburger noch relativ jung ist – und scheinbar vom Bauen wenig Ahnung hat – der dafür zuständige Landesrat ist und nicht weiter denkt als ein „Maikäfer“.
Gerhard Lichtenauer,
12.10.2010, 19:01
Leider wird hier von OÖ Landesrat Haimbuchner nicht einmal im Ansatz bedacht, dass eine barrierefreie Umgebung zu 100% anzustreben ist, um mobilitätsbehinderte Menschen nicht zu diskriminieren. Denn nicht nur darin selber wohnen zu können, darf das Kriterium sein, sondern auch jemanden besuchen oder einladen zu können, ist ein wesentlicher Aspekt von gesellschaftlicher Teilhabe, Inklusion und Benachteiligungsfreiheit.
Landesrat Haimbucher steht mit seinem erklärten Vorhaben für OÖ in klarem Widerspruch zu der von FPÖ-Behindertensprecher NAbg. Norbert Hofer namens der Bundes-FPÖ erhobenen Forderung nach verstärkter Förderung von Barrierefreiheit selbst beim privaten Wohnbau (www.bizeps.or.at/news.php?nr=8055) und dem Bekenntnis zur Wahlfreiheit der Wohn- und Unterstützungsform und zum selbstbestimmtem und unterstütztem Leben behinderter Menschen Daheim statt im Heim (www.bizeps.or.at/news.php?nr=7922).
Weiters hintertreiben die Vorhaben Haimbuchers direkt die Verpflichtungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention nach einem unverzüglich zu beschreitenden Inklusionspfad, wozu sich Österreich vor zwei Jahren völkerrechtlich verbindlich verpflichtet hat und seither leider diese Verpflichtung auf allen Ebenen, so auch erklärtermaßen durch das Land Oberösterreich, eklatant missachtet.