Haubner: „In Zukunft soll es Konsequenzen geben“

Die Redaktionen der Behindertenzeitschriften "BIZEPS-INFO", "Rollstuhl aktiv" und "Miteinander" haben sich mit dem Anliegen zusammengeschlossen, ein Interview mit der Sozialministerin Ursula Haubner (FPÖ) zu veröffentlichen.

Ursula Haubner
Sozialministerium

Am 12. Februar 2005 wurden die Fragen schriftlich an die Sozialministerin übermittelt und die Redaktionen von „BIZEPS-INFO“, „Rollstuhl aktiv“ und „Miteinander“ baten um eine Beantwortung bis 19. Februar 2005.

Täglich wurden wir vertröstet, weil die Antworten nicht freigegeben wurden. Wir veröffentlichten daraufhin den Artikel „Sozialministerin Haubner überfragt?„. Einen Tag später erhielten die genannten Redaktionen umfangreiche Antworten, die wir hier völlig ungekürzt und unkommentiert wiedergeben:

BIZEPS-INFO: Welche Schwerpunkte wollen Sie in Ihrer Arbeit als Sozialministerin setzen und welche konkreten kurz- und mittelfristigen Ziele haben Sie sich gesetzt?

Sozialministerin Ursula Haubner (FPÖ): Schwerpunkte meiner Tätigkeit als Sozialministerin sind u.a.: die Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes und einer fairen Schwerarbeiterregelung, weitere Verbesserungen der Situation pflegender Angehöriger, eine außerordentliche Erhöhung der Mindestpensionen und eine Verstärkung der Allianz für Familien.

BIZEPS-INFO: Zwei Jahre nach dem Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung hat sich an der Situation der von Behinderung betroffenen Menschen in Österreich nichts geändert. Nach wie vor sind Menschen mit Behinderung in vielen Bereichen des Lebens benachteiligt. In welchen Bereichen sehen Sie den massivsten Handlungsbedarf, Benachteiligungen von Menschen mit Behinderung in Österreich aus dem Weg zu räumen?

Haubner: Im Gegenteil: Zwei Jahre nach Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen hat sich sehr vieles zum Besseren verändert – allem voran die Beschäftigungssituation für behinderte Menschen durch die Fortführung der Behindertenmilliarde. Betrachtet man beispielsweise die Zahl der laut AMS arbeitslosen Menschen mit Behinderungen, so wird man feststellen, dass diese von bundesweit 40.643 im Jänner 2000 auf 33.179 im Jänner 2004 zurückgegangen ist, was einer Reduktion um 18,36 % entspricht.

Im Gegenzug dazu stieg die Anzahl der beschäftigten begünstigten Menschen mit Behinderungen von 52.333 Personen Anfang 2000 auf 59.491 Personen im Jahr 2004. Darüber hinaus haben wir durch die ‚Integrative Berufsausbildung‘ die Situation behinderter Jugendlicher verbessert – allein im Jahr 2004 haben 524 Jugendliche Ausbildungsverträge in Form einer Verlängerung der Lehrzeit oder mittels Teilqualifikation in der freien Wirtschaft abgeschlossen, in Einrichtungen waren dies weitere 774 Jugendliche.

Die Situation von Menschen mit schweren Beeinträchtigungen wurde durch die Einführung der ‚Persönlichen Assistenz am Arbeitsplatz‘ massiv verbessert. Handlungsbedarf, um noch bestehende Nachteile für Menschen mit Behinderungen aus dem Weg zu räumen, orte ich in der vor uns liegenden Verwirklichung des Behindertengleichstellungsgesetzes.

BIZEPS-INFO: Frauen mit Behinderung haben es in unserer Gesellschaft oft doppelt schwer. Was kann aus Ihrer Sicht seitens der Politik und Gesetzgebung getan werden, um die Situation von Frauen mit Behinderung zu verbessern?

Haubner: Durch die Beschäftigungsoffensive der Bundesregierung, die Behindertenmilliarde, wurden gerade Frauen mit Behinderungen besonders einbezogen. So beträgt der Anteil der Frauen an den von den Fördermaßnahmen profitierenden Personen bereits 43 %. Dieser Wert soll kontinuierlich erhöht werden. Ansprechen möchte ich aber auch die verstärkte Beachtung frauenspezifischer Problemlagen bei sämtlichen Fördermaßnahmen.

BIZEPS-INFO: Ist der zurzeit vorliegende Entwurf des Behindertengleichstellungsgesetzes aus Ihrer Sicht ausreichend, um Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen bekämpfen zu können und deren Gleichstellung zu gewährleisten?

Haubner: Seit mehr als eineinhalb Jahren steht mein Ressort in einem intensiven Diskussionsprozess mit Behindertenverbänden, mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen, den anderen Bundesministerien und dem Koalitionspartner. Die vielfach gewichtigen Widerstände gegen unseren Gesetzesentwurf zeigen deutlich auf, welche hohe gesellschaftspolitische Bedeutung dieses Behindertengleichstellungsgesetz hat.

Ich habe immer die Auffassung vertreten, dass die neuen Regelungen im wahrsten Sinne des Wortes für alle Österreicherinnen und Österreicher ‚lebbar‘ werden. So soll es in Zukunft Konsequenzen geben, wenn z.B. Menschen aufgrund ihrer Behinderung in einem Lokal nicht bedient werden oder einen Mietvertrag nicht erhalten. Auch bei baulichen oder technischen Barrieren, z.B. für blinde Menschen im Internet oder für Rollstuhlfahrer bei Gebäuden wird es Lösungen geben.

Dieses Gesetz ist als erster Schritt zu sehen, der nun nach vielen Jahren mehr gleichberechtigte Chancen für Menschen mit Behinderung bringt, und das jetzt und nicht irgendwann!

BIZEPS-INFO: Wie stehen Sie zu dem Vorschlag von ÖVP-Behindertensprecher Huainigg, das Behindertengleichstellungsgesetz mit einem sogenannten Bündelgesetz zu ergänzen, das unter anderem konkrete Regelungen in anderen Gesetzen vorsieht?

Haubner: Ich trete massiv dafür ein, dass jedes Ressort – so wie ich es gemeinsam mit meinem Staatssekretär Sigisbert Dolinschek im Sozialressort gemacht habe – in seinem Verfügungsbereich Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen ausarbeitet und dem Gesetzgeber vorlegt.

BIZEPS-INFO: Welche Bereiche und welche konkreten Gesetze sollte Ihrer Meinung nach so ein Bündelgesetz umfassen?

Haubner: Priorität hat für mich die Verankerung der Gebärdensprache in der Bundesverfassung, im Übrigen hat sich die Bundesregierung schon in ihrem Regierungsprogramm auf ein Bündelgesetz geeinigt.

BIZEPS-INFO: Welche Übergangsregelungen bezüglich Barrierefreiheit von bestehenden Gebäuden und öffentlichen Verkehrsmittel sind nach Inkrafttreten des Gleichstellungsgesetzes zu erwarten? Wird geregelt, dass neue Bauten und Anschaffungen am Inkrafttreten des Gesetzes barrierefrei zu sein haben?

Haubner: Mein Ziel ist es, dass Österreich so schnell wie möglich barrierefrei ist. Bereits jetzt stellt mein Ressort nicht unbeträchtliche Mittel zur Förderung des barrierefreien Zuganges für Unternehmen zur Verfügung. So wurden im letzten Jahr Förderungen in Höhe von mehr als 1 Mio. € für Investitionen vergeben, die die behindertengerechte Umgestaltung von Räumlichkeiten und Einrichtungen ermöglichten.

Konkret sieht unser Entwurf zum Behindertengleichstellungsgesetz vor, dass bis 31.12.2006 unter Einbeziehung der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation ein Etappenplan zum Abbau baulicher Barrieren für Bundesbauten erstellt und kontinuierlich umgesetzt wird. Bei Diskriminierungen durch Barrieren bei bereits bestehenden Bauwerken, Verkehrseinrichtungen und Verkehrsmitteln soll die Anwendbarkeit spätestens nach 10 Jahren erfolgen.

In verschiedenen Bereichen, wie z.B. bei Autobussen wird es wesentlich kürzere Übergangsregelungen geben. Wesentlich ist aber vor allem, dass die neuen Bestimmungen für alle Neubauten sowie Generalsanierungen sofort nach Gesetzwerdung in Kraft treten.

BIZEPS-INFO: Denken Sie, dass bezüglich konkreter einklagbarer Rechte im Behindertengleichstellungsgesetz mit dem Finanz-, dem Verkehrs- und dem Wirtschaftsministerium ein zufrieden stellender Konsens gefunden werden kann?

Haubner: Wichtig ist, dass ein Konsens gefunden werden kann, der die Behindertenpolitik ein weites Stück vorwärts bringt und die künftige Gesetzeslage für den Alltag brauchbar macht. Das Behindertengleichstellungsgesetz ist nicht vordergründig als ‚Strafgesetz‘ ausgerichtet, es soll vielmehr behinderten Menschen die Möglichkeiten einräumen, zu ihrem Recht zu kommen. Wichtig ist dabei, dass dieses Gesetz mit Nachdruck dazu motiviert, für Barrierefreiheit zu sorgen und Diskriminierungen abzustellen. Dies kann durch Mediation geschehen. Sollte dieses Angebot erfolglos bleiben, wird es auch die Möglichkeit geben, zu klagen.

BIZEPS-INFO: Ist es realistisch, mit einem Inkrafttreten eines Behindertengleichstellungsgesetzes noch dieses Jahr zu rechnen?

Haubner: Wir werden dieses Gesetz möglichst rasch einbringen, das Parlament wird sich damit befassen und hoffentlich im heurigen Jahr noch für eine entsprechende Beschlussfassung sorgen.

BIZEPS-INFO: Wie stellen Sie sich eine konstruktive Zusammenarbeit mit den österreichischen Behindertenorganisationen konkret vor und wie kann eine gute Kommunikation untereinander auf einer möglichst breiten Basis gewährleistet werden?

Haubner: Unser bewährter Weg des Miteinanders und der Konsensfindung auf breiter Basis – wie auch von meinem Vorgänger Herbert Haupt gepflegt – wird fortgesetzt. Staatssekretär Sigisbert Dolinschek steht nunmehr als erster Ansprechpartner für Anliegen der Mitbürger/innen mit Behinderungen zur Verfügung. Es wurden bereits Einladungen ausgesprochen, darüber hinaus sind viele Gespräche im Laufen, auch über den Behindertenbeirat.

BIZEPS-INFO: Wir danken für das Interview.

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