Herr Groll ist tot!

Der Autor Erwin Riess verstarb im Alter von 65 Jahren nach einer längeren Erkrankung in Kärnten.

Erwin Riess
Alexander Golser
Erwin Riess bei der Lesung im BIZEPS 20120508
Peter Miletits

Erwin Riess war Autor und Aktivist in der Behindertenbewegung.

Nach einem – im Sinne von tatsächlichen baulichen Barrieren – hürdenreichen Studium der Theaterwissenschaft und Publizistik in Wien, arbeitete er auch als Autor in Residenz in New York.

Er war von 1984 bis 1994 Referent für behindertengerechtes Bauen im Wirtschaftsministerium  und engagierte sich für Künstler:innen mit Behinderungen im Rahmen von EUKREA, einem Netzwerk im deutschsprachigen Raum.

Erwin Riess liebte die Donau, die Binnenschifffahrt und die Weintrauben, die an den Ufern der Donau wachsen – gut vergoren natürlich. Er war einer der letzten Kommunisten mit Leib und Seele. Ein Bollwerk im Widerstand gegen den Neoliberalismus und im Aktionismus für soziale Gerechtigkeit und die Behindertenbewegung. Man hatte das Gefühl, nichts konnte ihn erschüttern, außer „die Rückgratlosigkeit der österreichischen Sozialdemokratie“. (Zitat: Erwin Riess)

Als Autor kreierte er Herrn Groll

Als Autor kreierte er Herrn Groll, der mit seinem Rollstuhl namens Joseph und dem „Dozenten“ die Welt berollte. In Romanen und Kolumnen setzte sich Herr Groll in philosophischen Gesprächen mit dem bürgerlichen Dozenten auseinander, immer klug, wortgewandt und mit fundiertem geschichtlichem Wissen. Niemals verbittert.

Buch: Herr Groll und die Donaupiraten
Otto Müller Verlag

Ich lernte ihn in den späten 90iger Jahren als Vertreter von EUKREA kennen. In einem Gespräch nach einer Vorstellung mit den „Bilderwerfern“. Er mochte das Stück nicht, zu räudig, zu offensichtlich provokant, aber er schätzte unsere Darstellung, das, was wir beim Publikum auslösten und unsere starke Prä­senz in der Wiener Theaterlandschaft.

Der Zorn der Eleonore Bathyány

Er wollte damals schon ein Stück für mich schreiben. Ein Jahr lang arbeiteten wir eng zusammen, diskutierten über die Figur bis am Ende ein eineinhalbstündiger Monolog entstand. Die Uraufführung von „Der Zorn der Eleonore Bathyány“ war im November 2003 im dietheater Konzerthaus.

Er erkannte den in mir schlummernden Zorn über die Ungerechtigkeit in der Welt und er war einer der wenigen, die wussten, dass man als Schauspieler:in mit Behinderung alle Rollen spielen konnte und wollte, nicht nur die von „behinderten Figuren“.

Cornelia Scheuer im Stück: Der Zorn der Eleonore Bathyány
Peter Miletits

In jedem Treffen, ob im Proberaum oder beim Heurigen in Stammersdorf lernte ich etwas Geschichte dazu. In jedem Gespräch war gegenseitige Wertschätzung zu spüren.

Erwins Texte zu lesen, war für mich immer wie in der Sprache baden. Es wirbelte, es sprudelte, er malte Bilder in meinem Kopf und bei niemand anderem spürte ich die Liebe zur Sprache, deren Vielschichtigkeit und Ausdruckskraft, so wie bei ihm.

Als er der Liebe wegen mehr und mehr Zeit in Kärnten verbrachte, konnte ich es kaum glauben. Erwin und Kärnten gingen in meinem Kopf nicht zusammen.

Doch er fand sogar dort, zwischen all jenen Menschen, die einer – ich sags jetzt mal schön – zweifelhaften und ablehnungswürdigen politischen Einstellung anhingen, immer noch jene, die sich in diesen ländlichen Gefilden um Weltoffenheit, Menschenwürde und Kultur bemühten.

Wir vermissen dich

Der Tod von Erwin Riess reißt ein großes Loch in eine ideologische Festung, auf die wir uns immer verlassen konnten. Die Erschütterung ist bei vielen Freunden sowie Mitstreiter:innen der Behindertenbewegung zu verspüren.

Wir vermissen dich als Freund, als Verteidiger des ursprünglichen Sozialismus und als Autor.

Lebe wohl, mon cher und Donaugrüße

Siehe auch: Nachruf von Richard Schuberth, ORF, Kurier, Standard, Kleine Zeitung, NÖN, Wiener Zeitung, ÖBR

Rückblick auf eine gemeinsame Lesung

Erwin Riess und Cornelia Scheuer lesen im Jahr 2022 anläßlich einer BIZEPS-Feier den Text „30 Jahre Peer Beratung. Eine Szene“ von Erwin Riess.

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9 Kommentare

  • Diese Worte über Erwin sind die besten, die ich in meiner vollkommenen Trauer und der unendlichen Bestürzung über seinen Tod gelesen habe.
    Ich zähle mich gern zu dem Kreis, die diesen so unendlich liebevollen und aufrechten Menschen vermissen. Ich kann es nicht fassen! Noch immer wache ich in der Nacht auf in der Hoffnung, ich habe es geträumt. Jedes mal, wenn wir uns getroffen haben, ging ich bereichert von ihm. Es wird Vergleichbares wie Erwin nicht mehr geben- es ist einfach nur trostlos ohne ihn.
    Erwin adieu- ich finde keine Worte, die die Leere, die Du hinterläßt wiedergeben.

  • Er war widerständig und unbestechlich, unermüdlich und wortgewaltig hat er sich für unsere Ziele eingesetzt.
    Wir werden ihn vermissen.

  • Danke, Herr Riess. Ich schätzte auch Ihre Beiträge und Kommentare zum assistierten Suizid.

  • Bin noch immer erschüttert und werde es wohl noch lange bleiben, von der Nachricht, dass Erwin verstorben sei. Erwin wird sehr, sehr fehlen, als Freund, als unermüdlicher Kämpfer für die Menschenrechte und als politischer Navigator, der wusste, in welche Richtung der richtige Weg führt.
    Das Vermächtnis von Erwin Riess wird bleiben, seine Texte, Kommentare und Aufrufe! Für immer!

  • Wieder fehlt einer, der vielen Menschen Motivation gegeben hat, etwas voranzutreiben. Wir wären bei der Barrierefreiheit – und bei anderen Menschenrechten – nicht so weit, wenn es nicht den Willen, den Witz und bei Bedarf auch die Lautstärke dieses guten Menschen gegeben hätte.
    Danke für Vieles.

  • Beeindruckender Mann, RIP.

  • Sehr, sehr traurig ist der Tod von Erwin! Mir fehlen gerade die Worte und ich will es nicht glauben.
    Du wirst mir als lieber Vertrauter und menschliches Vorbild, als eingefleischter Kommunist, als wortgewandter, geschichtlich bewanderter Autor, der stets penibel recherchierte, bevor er etwas zu Papier brachte – aber auch als Kämpfer in der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung in Erinnerung bleiben, so lange ich noch lebe.
    Ruhe in Frieden, Erwin. Ich werde dich vermissen! Ich stelle mir vor, du nimmst Fahrt auf an deiner geliebten Donau in eine „bessere Welt“.
    Mein Beileid Erwins Frau und seiner gesamten Familie!

  • Wieder hat die Behindertenbewegung einen wichtigen Vertreter und streitbaren Geist verloren. Er fehlt schon jetzt!

    Wünsche ihm immer eine handbreit Wasser unter dem Kiel; egal wo er jetzt ist.

  • Fassungslos soeben im Radio gehört herr Groll ist nicht mehr. Zuerst pepo und jetzt erwin. Wieder ein Aktivist von uns gegangen . Erwin hat mit mir oft telefoniert als pepo im spital war und war auch beim Begräbnis von pepo.
    Mein aufrichtiges Beileid an seine Familie
    traurige donaukanalgrüsse marina