Ab wann merkt man, dass ein einflussreicher Politiker beginnt, seine Bodenhaftung zu verlieren, eigenwillige Meinungen zu vertreten und sich immer öfter mit dem Staat verwechselt? (Kommentar in den OÖN)
Man merkt es spätestens dann, wenn sich seine Weitsicht in Kurzsicht und seine Umsicht in einen Tunnelblick wandeln. Und wenn er seine politischen Aufgaben nicht mehr auf der Grundlage von Gesetzen und demokratischen Dialogen erfüllt, sondern sich von persönlichen Vermutungen und subjektiven Ratschlägen aus seinem Umfeld leiten lässt.
So geschehen am vergangenen Sonntag, als Landeshauptmann Erwin Pröll in der wöchentlichen Pressestunde des ORF zornentbrannt gegen die geforderte Barrierefreiheit von Gaststätten lospolterte: „Ich sage Ihnen was sich da alles abspielt, das spottet jeder Beschreibung. Barrierefreier Zugang muss in Zukunft in jedem Gasthaus, in jedem Landwirtshaus investiert werden. Ja meine Damen und Herren, liebe Frau Chefredakteurin: Wo sind wir denn?“
Ja, das fragen sich seit Sonntag viele und nicht nur Menschen, die behindert sind. Hat Niederösterreich nicht ein modernes Gesetz gegen jede Art von Diskriminierungen? Kennt Herr Pröll nicht die UN-Behindertenrechtskonvention, die seit 2008 in Österreich auch für Länder und Gemeinden verbindlich ist und der zufolge Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt am öffentlichen Leben teilhaben sollen? (Damit sind auch Gaststätten gemeint!) Oder sind ihm gar die Bundesverfassung und das Behindertengleichstellungsgesetz nicht geläufig?
Dabei geht es bei weitem nicht nur Rollstuhlfahrer und -fahrerinnen. Auch ältere Menschen, wenn sie sich beim Gehen etwas schwerer tun, einen Rollator brauchen, alle die vorübergehend ein Gipsbein tragen oder mit einem Kinderwagen unterwegs sind, sie alle profitieren von Barrierefreiheit. Und wenn „Wirtshauskultur ein entscheidender Faktor in diesem Land ist“, wie Herr Pröll am Sonntag meinte, dann gehört es auch zu einer guten Kultur, niemandem den Zutritt zu verwehren!
Aber Herr Pröll geht noch weiter: „… ich habe den Auftrag gegeben jetzt einmal zu überprüfen, wo wir diesen Unfug abstellen können …“ Ein Landeshauptmann hat doch Juristen in seinem Büro. Sagt ihm denn niemand, dass es hier um Rechte geht, dass dieser „Unfug“ Menschenrechte sind?
Da sind sie wieder, die mangelnde Weitsicht, die fehlende Umsicht, die falschen Ratgeber. Wo wir sind, wissen wir, und wir wissen auch, wo die Rechte von älteren oder behinderten Menschen zu finden sind. Aber wo sind Sie, Herr Pröll?