Franz-Joseph Huainigg

Hilfe, die Laienhelfer kommen?

Ein Artikel von Abg. Franz-Joseph Huainigg in der Presse vom 17. März 2007.

„Die Blase muss katheterisiert werden. Der Schleim wird von der Lunge abgesaugt. Flüssigkeit und Medikament müssen in die PEG Sonde gespritzt werden. Ein Notfall kann jederzeit eintreten. Die Kanüle verstopft. Keine Luft. Kanülenwechsel“, schildert Franz-Joseph Huainigg seinen Lebensalltag und fordert Unterstützung für pflegende Angehörige und eine gesetzliche Legitimation für Laienhelfer.

7:00 Uhr morgens, der Wecker läutet zum dritten Mal. Meine Frau steigt müde und mit schweren Gliedern aus dem Bett. Es war wieder eine turbulente Nacht: Um 22:00 Uhr absaugen des Schleims aus der Atemkanüle, Kathetern der Blase, Lagern. Drei Polster unter die rechte Hand, zwei Polster unter die linke, der Kopf wird mit Keilen und Spezialkissen gelagert.

Die Hände sind steif und müssen mit aller Kraft aufgedehnt werden. Dazu steigt sie aufs Bett und zieht an den Händen, bis diese die ideale Position haben. Dann ein spastischer Krampf und die Lagerung beginnt von vorne.

23:00 Uhr: Ich bin gelagert. Ein letzter prüfender Blick meiner Frau. Ein Gute-Nacht-Kuss. Licht aus. Endlich schlafen. Um 2:00 Uhr Früh ist meine Blase voll und muss dringend entleert werden. Judit steht auf und kathetert. Eine gut eingeübte Tätigkeit, die sie im wahrsten Sinne des Wortes im Schlaf beherrscht.

3 Uhr 23: Der Alarm der Beatmungsmaschine reißt uns erneut aus dem Schlaf. Die Beatmungskanüle ist mit Schleim und Feuchtigkeit verstopft und muss abgesaugt werden.

5 Uhr 12: Ich wache nach einem spastischen Krampf auf, mein Kopf ist bedrohlich nach hinten an den Polsterrand gerutscht, meine Arme befinden sich nicht mehr auf den Polstern. Die Beatmungsmaschine heult regelmäßig im Rhythmus meines Atems, meine Frau schläft neben mir tief und fest. Ich zögere, wecke sie dann mit schlechtem Gewissen. Wieder steht sie auf, bringt meinen Körper in die richtige Position.

6 Uhr 45: Der Wecker läutet Judit muss aufstehen. Mit Ringen unter den Augen geht sie in den Arbeitsalltag. Zuvor noch ein kurzes Spiel mit unserer Tochter, frühstücken in den Kindergarten und dann noch schnell ein Abschiedskuss und die Worte „Ich liebe dich“.

80% aller pflegebedürftigen Menschen werden in Österreich zuhause von ihren Angehörigen gepflegt. Sie leisten hochprofessionelle und unbezahlbare Arbeit. Ihnen wird viel zugemutet. Wenn im AKH zwei Pfleger meine Blase katheterisierten, durfte meine Frau zusehen.

Nach der Entlassung hatten wir zwar die notwendigen Katheter, die sterilen Tupfer, die Handschuhe, das Desinfektionsmittel, aber nicht das notwendige Know-How. Erst nach unzähligen Telefonaten fanden wir heraus, dass es beim Sozialen Stützpunkt eine „Katheter-Schwester“ gibt, die meine Frau anlernte.

Die „Respiratory Care Unit“ (RCU) auf der Pulmologie des Otto-Wagner-Spitals gab hingegen ihr Wissen gleich weiter. Meine Frau wurde von den Krankenschwestern und -pflegern professionell im Umgang mit der Beatmungsmaschine, dem Absauggerät, dem Wechsel der Kanüle der PEJ/PEG Sonde eingeschult. Trotzdem blieb bei der Entlassung die Unsicherheit.

Was tun wenn der Alarm der Beatmungsmaschine schrillt? Was, wenn die Befeuchtungsmaschine plötzlich aussetzt? Was wenn die Kanüle augenblicklich verstopft und ich keine Luft bekomme?

Angst vor dem Wechsel der Atemkanüle.

Meine Frau wollte für die ersten Wochen eine ambulante diplomierte Krankenschwester organisieren, die uns hilft den Alltag zu bewältigen. Das stellte sich als äußerst komplex heraus, da diese hochspezialisierten Aufgaben nur eine Intensivkrankenschwester mit Zusatzausbildung durchführen darf. In einem ähnlichen Fall, entlastete eine diplomierte Krankenschwester die pflegende Ehefrau, in dem sie stundenweise die Überwachung ihres beatmeten Mannes übernahm.

Während die Ehefrau einkaufen ging und Besorgungen erledigte, saugte die ambulante Krankenschwester bei Bedarf die Atemkanüle ab und sicherte so das Überleben des Mannes. Als dies bei ihrem Arbeitgeber ruchbar wurde, verbot ihr die Hilfsorganisation mit Hinweis auf die gesetzlichen Bestimmungen diese Tätigkeit. „Ich darf nur noch absaugen, wenn sie anwesend sind“, sagte die diplomierte Krankenschwester. Die Ehefrau musste lachen: „Genau dann brauche ich sie ja nicht!“.

Würde ich eine Hilfsorganisation oder auch einen mobilen Dienst der Gemeinde beauftragen, mich zu betreuen und zu pflegen, wäre es aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen notwendig, dass rund um die Uhr eine Intensivkrankenschwester an meinem Bett oder beim Rollstuhl sitzt.

Denn ein Notfall lässt sich bei beatmeten Personen nicht vorhersehen und kann jederzeit eintreten. Die Kanüle verstopft. Keine Luft. Bebeuteln, Spülen und nochmals absaugen. Wenn auch das nicht mehr geht: Kanülenwechsel.

Die 24-Stunden-Betreuung und Pflege durch eine solche Fachkraft kann nicht einmal mit dem Gehalt eines Abgeordneten bezahlt werden geschweige denn, dass sich das die öffentliche Hand leisten könnte (Kostenpunkt: mindestens € 40.- pro Stunde). Die Alternative, dass man alle diese Menschen dann in einer stationären Einrichtung pflegt und betreut, beraubt ihnen Lebensperspektiven, reisst Familien auseinander und stellt letztlich eine grobe Verletzung der Menschenwürde dar.

Wie sieht aber mein Alltag aus?

Wer leistet die Betreuung rund um die Uhr? Die Ethnologie-Studentin, die Studentin der Ernährungswissenschaft, die Studienabbrecherin, etc. katheterisieren die Blase, pflegen das Tracheostoma und die PEG/PEJ Sonde, entfernen durch Absaugen den Schleim aus der Atemkanüle … kurz gesagt: neun Laienhelfer, so genannte persönliche Assistentinnen, leisten hochprofessionelle Pflege- und Betreuungsdienste.

Daneben geben sie mir das Essen führen mich mit dem Rollstuhl zu Besprechungsterminen, tippen Texte die ich ihnen diktiere, halten mir das Telefon…. Weil sie all das tun, was auch meine Ehefrau tut, entlasten sie sie und machen es uns möglich, das Leben zu genießen, eine Familie zu sein und zu arbeiten.

Wie funktioniert Laienhilfe? Wichtige Grundlage für die Hilfeleistungen, welche den individuellen Bedürfnissen entsprechen, ist eine fundierte Einschulung. Diese erfolgte bei mir ursprünglich vom Otto-Wagner-Spital wo persönliche AssistentInnen wie auch meine Frau von Intensivkrankenschwestern und -pflegern nach einem standardisierten, und von der RCU selbst entwickelten Lehrprogramm eingeschult worden sind.

Die durchgeführte Ausbildung wurde protokolliert und jeder Lernerfolg durch eine Art Prüfung dokumentiert. Sollten zu Hause Fragen oder irgendwelche Probleme auftauchen, gibt es jederzeit die Möglichkeit nachzufragen. Neue Laienhelfer werden jetzt von uns eingeschult, wobei meine Frau die Rolle der gefürchteten „Prüferin“ übernommen hat und auch künstlich Stresssituationen schafft, um abzuklären, wie die neue Assistentin dann wohl reagiert, wenn es wirklich ernst werden sollte.

Ja, dürfen´s denn das überhaupt?

Bleibt die typisch österreichische Frage: „Ja, dürfen´s denn das überhaupt?“ Pflegende Angehörige sind vom GUK (Gesunden- und Krankenpflegegesetz) ausgenommen und können nach dem Ärztegesetz für (fast alle) Tätigkeiten unterwiesen werden. Sie werden zu hochprofessionellen ExpertInnen, wie beispielsweise die Mutter eines beatmeten Kindes, die kürzlich bei einem Spitalsaufenthalt darauf bestand, selbst die Kanüle ihres Kindes abzusaugen.

Was pflegende Angehörige tun können, sollten auch Laienhelfer – nach einer entsprechenden Einschulung und mit Einverständnis des behinderten Menschen bzw. des Angehörigen tun dürfen. Die Verantwortung wird nicht, wie in einem Spital an den Arzt oder die Krankenschwester abgegeben, sondern bleibt beim behinderten Menschen. Er behält die Eigenverantwortung über sein Leben, leitet an und ermächtigt gut eingeschulte Personen seines Vertrauens zu spezifischen Handlungen.

Der Assistent/die Assistentin übernimmt keine medizinische Verantwortung, sondern leistet, sollte ein unvorhergesehener Notfall eintreten, übliche Hilfeleistungen wie das Rufen der Rettung. In Österreich gibt es 60 – 100 beatmete Personen. In derzeit politisch und auf gewerkschaftlicher Ebene diskutierten Modellen zu der bis zu 24h Betreuung wird strikt zwischen Betreuung und Pflege unterschieden. Eine Unterscheidung, die im Lebensalltag behinderter Menschen nicht zweckmäßig und letztlich auch nicht möglich ist.

Es ist nicht erstrebenswert und schlichtweg nicht machbar, wenn sich ununterbrochen verschiedenste FachexpertInnen wie Krankenschwestern, – pfleger, PflegehelferInnen, Heimhilfen oder Haushaltshilfen jeweils die Klinke in die Hand geben, weil der eine nur tun darf, was der andere nicht tun darf etc. Der Mensch und seine Bedürfnisse lassen sich nicht nach gesetzlichen oder berufsrechtlichen Gesichtspunkten einteilen. Benötigt werden Personen, deren Hilfeleistungen nach den individuellen Erfordernissen und Bedürfnissen ausgerichtet sind.

Keine Angst, hier wird nicht das Wort geredet für eine neue Berufsgruppe. Nein ganz im Gegenteil. Für die bis zu 24h Betreuung braucht es Laienhelfer, die für die individuellen Bedürfnisse der betreuten Person gezielt geschult sind und diese auch nur bei dieser Person ausüben dürfen.

Die Qualitätssicherung passiert einerseits durch die betroffene Person bzw. ihre Angehörigen selbst und andererseits – je nach Situation – durch ein Monitoring, vereinbarte Visiten mit einem anerkannten Dienst oder eben durch das Krankenhaus selbst, wie es bei beatmeten Personen derzeit der Fall ist.

Menschen mit einem hohen und unvorhersehbaren Betreuungs- und Pflegebedarf rund um die Uhr zu unterstützen, heißt entweder ihnen 24 Stunden eine diplomierte Kraft zur Seite zu stellen und diese dann auch zu finanzieren oder aber Laienhelfer bedarfsorientiert auszubilden.

Das Modell der persönlichen Assistenz entspricht am ehesten dem Bestreben behinderter Menschen nach Eigenverantwortung für ihr Leben und individueller Unterstützung. Es braucht daher eine gesetzliche Basis für die Laienhilfe, damit mehr Menschen zu Hause leben können und damit eine echte Entlastung pflegender Angehöriger möglich wird.

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