Am 20. Jänner 2021 veranstaltete das Land Tirol eine digitale Landes-Enquete zum Thema Gewalt und Gewaltprävention für Menschen mit Behinderungen. Im Mittelpunkt der Enquete standen die Studie „Erfahrungen und Prävention von Gewalt an Menschen mit Behinderungen“ sowie Fragen der Gewaltprävention und des Umgangs mit Gewalt aus der Sicht der Praxis.
„Gewalt betrifft alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, sozialer Absicherung, sexueller Orientierung oder finanziellem Hintergrund“, streicht Gabriele Fischer, Sozialstadträtin der Tiroler Grünen in ihrem Anfangsstatement zur Tiroler Gewalt-Enquete hervor. Gewalt sei weiters ein Ausdruck von ungleichen Machtverhältnissen und Machtmissbrauch, so Fischer weiter.
Im Mittelpunkt der digitalen Landes-Enquete zum Thema Gewalt steht eine Gruppe, die sonst eher nicht in den Fokus gerückt ist, wenn es um das Thema Gewalt geht, nämlich Menschen mit Behinderungen. Mehr als sechs Stunden beschäftigten sich die Rednerinnen und Redner der Tiroler Landes-Enquete mit den Ursachen von Gewalt und den Präventionsmöglichkeiten.
Die gesamte Enquete vom 20. Jänner 2021 konnte online mitverfolgt werden und steht komplett auf YouTube zur Verfügung. Die Enquete gliederte sich in zwei Teile.
Ursachen von Gewalt und Gewaltprävention
Der erste Teil ist ganz der Studie „Erfahrungen und Prävention von Gewalt an Menschen mit Behinderungen“ gewidmet, die bereits 2019 veröffentlicht wurde. Es gibt auch eine Version in Leicht Lesen.
In einem ausführlichen Vortrag stellt Hemma Mayrhofer die Ergebnisse der Studie vor. (BIZEPS berichtete über die Studie ausführlich)
Die Studie erhob österreichweit die Gewalterfahrungen von Menschen mit Behinderungen und ermittelte, wie oft diese von verschiedenen Formen von Gewalt betroffen sind.
Man unterscheidet zwischen psychischer, körperlicher, seelischer, sexueller und struktureller Gewalt. Die Ergebnisse der Studie, wie Mayrhofer sie ausführlich schildert, stimmen nachdenklich, denn sie zeigen eindeutig, dass Menschen mit Behinderungen sehr viel häufiger von Gewalt betroffen sind als Menschen ohne Behinderungen.
Im zweiten Teil ihres Vortrages schildert Mayrhofer die Einflussfaktoren, die zur Entstehung von Gewalt führen. Einflussfaktoren sind zum Beispiel das Aufwachsen in einem gewalttätigen Elternhaus, ein hoher Unterstützungsbedarf und zu wenig Betreuerinnen und Betreuer in den Einrichtungen.
Mayrhofer betont zum Abschluss ihres Vortrages, dass ein wesentlicher Punkt zur Verhinderung von Gewalt die Sprechmächtigkeit einer Person sei. Das heißt, die Möglichkeit, Gewalterfahrungen als solche benennen zu können. Sprechmächtigkeit sei aber nicht nur eine individuelle Kompetenz, sondern auch eine strukturelle Aufgabe. Das heißt Einrichtungen müssen ein Klima schaffen, in dem über Gewalt gesprochen werden kann.
Anschließend kommt Alfred Rauchegger, er war Mitglied des ethischen Beirates der Studie. Er legt besonderen Wert darauf, dass es die Ergebnisse der Studie auch in leichter Sprache gibt und macht auf das Begleitheft der Studie aufmerksam, in dem die wichtigsten Ergebnisse der Studie in leichter Sprache vorgestellt werden. „Ein wichtiger Punkt ist für mich, dass alle Menschen mit Behinderungen eine Beratung zum Thema Gewalt bekommen sollen.“, führt Rauchegger aus.
Dies beinhaltet für ihn, dass alle Gewaltberatungsstellen barrierefrei zugänglich sein müssen.
Im Folgevortrag nehmen Sabine Mandl und Anna Schachner zum Thema „Schutz- und Risikofaktoren gegen Gewalt“ Stellung.
Wichtig ist hier zum Beispiel die Organisationskultur, also wie in einer Institution mit dem Thema Gewalt umgegangen wird. So braucht es zum Beispiel Fortbildungsmöglichkeiten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Klientinnen und Klienten.
Auf der Ebene der Klientinnen und Klienten sind es wiederum zum Beispiel Privatsphäre, eine Möglichkeit zur Mitsprache bei den Regelungen der Einrichtungen und Wahlmöglichkeiten, die bei der Prävention von Gewalt eine Rolle spielen. Zu starre Regelungen seien an sich schon eine Form von Gewalt betonen die Vortragenden.
Einblicke und Schlussfolgerungen aus der Praxis
War der Vormittag sehr theoretisch, geht es in den Nachmittagsstunden mehr um die Praxis.
Es werden konkrete Beispiele und Lösungsvorschläge aus der Sicht von Peer-Beratungsstellen und Frauenberatungsstellen genannt.
Elisabeth Udl und Isabell Naronnig stellen die Arbeit des Vereins Ninlil und das Projekt Zeitlupe vor. Die Beispiele, die sie aus ihrem Arbeitsalltag aus der Beratung von Frauen mit Behinderungen erzählen, gehen unter die Haut und zeigen, wie subtil Gewalt manchmal sein kann und dass sie mit Machtmechanismen und Abhängigkeit zusammenh
Nach einem ausführlichen Einblick in ihre praktische Arbeit stellen Elisabeth Udl und Isabell Naronnig noch wichtige Forderungen gegen Gewalt auf.
Es ist wichtig, dass Menschen mit Behinderungen als Expertinnen und Experten in eigener Sache wahrgenommen und ernstgenommen werden. Auch ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben verhindert Gewalt. Um dieses selbstbestimmte und unabhängige Leben zu ermöglichen, braucht es Persönliche Assistenz für alle und in allen Lebensbereichen.
Im letzten Teil der Enquete stellt Gabriele Plattner das Tiroler Frauenhaus vor. Das Tiroler Frauenhaus arbeitet daran, dass sein Angebot für Frauen mit Behinderungen zugänglich ist. Es bemüht sich darum, dass unterschiedliche Formen der Barrierefreiheit eingehalten werden.
So gibt es das Beratungsangebot des Frauenhauses auch in leichter Sprache und in Österreichischer Gebärdensprache. Die Beratungsstelle und das Schutzhaus sind auch baulich barrierefrei gestaltet. Es gibt zum Beispiel Türöffner, Aufzüge mit Lichtsignal und Spracheingabe sowie barrierefreie Sanitäranlagen.
Am Ende der Enquete sind sich alle einig: Es muss noch viel getan werden, was die Verhinderung von Gewalt für Menschen mit Behinderungen betrifft.